Seit Wochenbeginn herrscht wieder Leben in vielen Schulen in Singen und dem Hegau. Denn die Schüler sind kurz vor den Pfingstferien in den Regelunterricht zurückkehrt. Auch in der Haldenwang-Schule in Singen ist dies der Fall. Dort lernen Nicole, Simon und Alexander gemeinsam mit ihren Lehrerinnen Antje Hertkorn, Sophie Engelberg und Miriam Mangold. Mit einem Unterschied allerdings: Das Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) mit den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung sowie körperliche und motorische Entwicklung ist schon seit Monaten im Regelbetrieb.
Und das ist aus mehreren Gründen problematisch, denn hier kommen auf zu wenig Raum viele Menschen zusammen, für die eine Corona-Infektion besonders gefährlich ist. Auch dass Menschen mit Behinderung theoretisch Priorität bei Impfungen haben, bringt keine Entlastung. Denn viele der Eltern lassen die Schüler bisher nicht impfen, weil sie bei ihren Kindern besondere Nebenwirkungen fürchten (siehe rechts). Und Apelle ans Ministerium bleiben bislang ohne Ergebnis, wie Melanie Geiges, Vorsitzende des Elternbeirates, kritisiert: „Schreiben an das Kultus- und Sozialministerium mit der Bitte um Beachtung unserer Situation im häuslichen Betreuungsumfeld und einer Erarbeitung für ein Konzept für SBBZ bleiben seit November unbeantwortet.“

Ebenso hätten Ideen und Vorschläge aus der Elternschaft sei Beginn des Jahres 2021 kein Gehör in Stuttgart bei den Ministerien gefunden. Der Druck sei hingegen hoch bei Schulleitung, Lehrern, Betreuungskräften und Eltern. „Es ist schwer, einen Ausbruch in der Schule zu verhindern und trotzdem allen Anforderungen und Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden“, so Geiges.
SBBZ-Schüler gehören zur höchsten Risikogruppe
Auch Schulleiter Daniel Baerwind sorgt sich angesichts des anhaltenden Regelbetriebes mit Präsenzunterricht um seine Schüler und sein Kollegium. Er betont: „Unsere Schüler gehören zur aller höchsten Risikogruppe.“ Viele seiner Schüler hätten Vorerkrankungen, etwa Trisomie 21. „Wir haben Schüler, die Corona auf keinen Fall bekommen dürfen“, macht der Schulleiter deutlich. Man werde deshalb alles tun, dass das Virus nicht in die Schule gelange. Auch der Umstand, dass die Haldenwang-Schule weiter offen bleibe, wenn der Inzidenzwert über 150 steige, sorge im Kollegium für Unverständnis. „Das ist für uns unverantwortlich und auch im Kollegium nur sehr schlecht vermittelbar“, sagt Baerwind.

Melanie Geiges weiß, was die Lehrer im SBBZ seit Ausbruch der Pandemie leisten. „Der Präsenzunterricht an der Haldenwang-Schule ist für viele Eltern eine große Hilfe im Pandemie-Alltag,“ betont sie. Aber viele machen sich auch Sorgen, da die Gefahr einer Ansteckung in der Schule zu hoch sei. Denn viele Kinder und Jugendliche könnten im Unterricht keine Masken tragen. „Und durch die notwendige Hilfe oder Pflege durch die Lehr- oder Betreuungskräfte kann der Mindestabstand nicht eingehalten werden“, so Geiges weiter.
Raumnot erschwert die Situation
Für Daniel Baerwind würde die Einführung von Wechselunterricht samt Notbetreuung für eine Entlastung sorgen. „Dann hätten wir deutlich weniger Menschen in den Klassenzimmern und würden damit die Ansteckungsgefahr für Eltern, Lehrer und Betreuungspersonal minimieren“, sagt er. Aber da gibt es ein entscheidendes Problem: Die Haldenwang-Schule sei schlichtweg zu klein. „Das schaffen wir von den Räumlichkeiten gar nicht“, sagt Baerwind.
Oder anders formuliert: Die Schule platzt schon ohne Pandemie aus allen Nähten. Baerwind spricht Klartext: „Wir warten schon seit Jahren auf einen Erweiterungsbau.“ Wechselunterricht brauche mehr Räume und dann bliebe nicht genügend Platz für eine Notbetreuung. „In der jetzigen Situation merken wir, dass wir an die Kapazitätsgrenzen stoßen“, so Baerwind.
Er rechnet vor: Die Haldenwang-Schule hat aktuell 148 Schüler, die von 81 Lehrkräften unterrichtet werden. Die Klassenstufen reichen von der Grund- bis zur Berufsschule. 18 Klassenzimmer stehen dafür zur Verfügung. Aber Baerwind bräuchte schon jetzt rechnerisch sechs mehr, nämlich 24 Klassenzimmer. Auch Elternsprecherin Melanie Geiges weiß um die Problematik. Eine aktuelle Umfrage unter den Eltern bringt nämlich zum Vorschein: „Der Bedarf an einer Notbetreuung ist so hoch, dass es keinen großen Unterschied zum Regelbetrieb machen wird.“ Viele Eltern seien nicht nur an der Grenze der Belastbarkeit angekommen, sondern hätten diese schon seit Monaten überschritten.
Zwei neue Container sollen kommen
Aber zumindest in einer Angelegenheit deutet sich eine Entspannung an: Bald könnte es mehr Räume an der Haldenwang-Schule geben. Laut Daniel Baerwind soll im Sommer mit zwei zusätzlichen Container aufgestellt werden. Dies bringe Verbesserung der Situation – aber nur auf Zeit.
Breites Meinungsbild bei Impfungen
- Reihenfolge oder Risiko: Laut Melanie Geiges, Elternbeiratsvorsitzende der Haldenwang-Schule, biete die Möglichkeit einer Impfung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung zum jetzigen Zeitpunkt keine Lösung. „Es geht nicht darum, wann die Kinder berücksichtigt werden“, sagt sie. Sondern es gehe darum, wie jeder Einzelne für sich entscheide, ob das Risiko einer Impfung oder einer eventuellen Ansteckung höher sei. Wie im Rest der Gesellschaft sei auch bei den Eltern ein breites Meinungsbild vorhanden. Schulleiter Daniel Baerwind berichtet, dass sich in seiner Schule eher wenige Schüler für eine Impfung entscheiden würden. „Die Eltern sind sehr vorsichtig, da es mit Blick auf Kinder mit Beeinträchtigungen wenig aussagekräftige Daten gibt“, sagt er. Zudem würden sich Eltern wie in einem Feldversuch fühlen. „Die Unsicherheit dieser Eltern, ihren Kindern eventuell mit dem Impfstoff langfristig zu schaden, ist hoch“, ergänzt Geiges. Für andere sei die Impfung hingegen die einzige Möglichkeit, sich wieder sicher mit ihren Kindern im öffentlichen Raum zu bewegen und sie zur Schule zu schicken.
- Hohe Impfbereitschaft: Anders sieht dies bei den Lehrkräften der Haldenwang-Schule aus. Laut Daniel Baerwind gebe es eine hohe Impfbereitschaft im Kollegium in der Haldenwang-Schule: „Wir sind beinahe alle durchgeimpft.“