Gedeckte Tische, gesellige Menschen, freundliches Personal mit Stoffschürzen und hohe Decken, die in einer eindrucksvollen Kuppel münden: Ein Anblick, der manchen eher an das Münchner Hofbräuhaus erinnern könnte als an ein Kirchengebäude. Doch der Schein trügt. Die Lutherkirche in Singen wird jedes Jahr für 14 Tage zur Kantine für die Stadt und zum Treffpunkt für Menschen aus allen Schichten. Bis Sonntag, 28. Januar, sind statt Kirchenbänken gedeckte Tafeln in der Singener Lutherkirche zu finden.

In diesem Jahr begrüßt die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) bereits zum siebten Mal die Bürger abseits von Stand und Konfession, Alter und Herkunft in der Singener Lutherpfarrei zur sogenannten Vesperkirche. Überdies wurde in diesem Jahr zur Eröffnung auch eine Aktion mit bunten Fäden gesponnen: Die Gäste durften viele Teilstücke zu einem langen Strang zusammenknoten, der die Verbundenheit über Gesellschaftsschichten hinweg widerspiegeln sollte.

Die Lutherkirche wird mit ihrer Vesperkirchen-Aktion für zwei Wochen zur Kantine.
Die Lutherkirche wird mit ihrer Vesperkirchen-Aktion für zwei Wochen zur Kantine. | Bild: Lara Reinelt

Mit einem ökumenischen Festgottesdienst haben Pfarrerin Andrea Fink-Fauser, Dekan Markus Weimer für die evangelische Kirche sowie der katholische Kollege Bernhard Knobelspies mit Singens alt-katholischem Pfarrer Andreas Sturm die 160 Besucher begrüßt – unter anderem auch den Singener Oberbürgermeister Bernd Häusler.

Vesperkirche als Protest gegen die Armut

Für Pfarrerin Fink-Fauser als Mit-Initiatorin ist und bleibt die Vesperkirche ein Stück gelebte Vision: Das Projekt sei wie in einigen Bibelgeschichten ein Fest an Tischen, bei dem Menschen aus allen Himmelsrichtungen zusammenkämen und ihre Lebensgeschichten – egal ob schöne oder traurige – miteinander teilen können: „Es ist ein Protest gegen Armut und die Spaltung unserer Gesellschaft“, erklärt Fink-Fauser. Deshalb freue sich das gesamte Vorbereitungsteam sowie das ökumenische Team jedes Jahr aufs Neue auf dieses Projekt.

Der Eröffnungs-Gottesdienst war ganz auf den Sinn der Vesperkirche gerichtet. So auch eine Lesung biblischer Verse, denen eigene projektbezogene hinzugefügt wurden: „Einsam sein hat seine Zeit, in Gemeinschaft leben hat seine Zeit.“

Dekan vergleicht es mit einem Dachschaden

Dekan Markus Weimer stellte in seiner Festpredigt sogar eine Verbindung zu Wundern her. Er sprach über „Die Heilung des Gelähmten“ aus dem Markusevangelium und schlug den Bogen zu einem aktuellen Ereignis in Paris, bei dem ein kleiner Junge vom Balkon stürzte und aufgefangen wurde. In beiden Fällen sei dabei ein Dach zu Bruch gegangen. „Das Dach spielt eine besondere Rolle in unserem Leben“, erklärt Weimer. Oftmals sei das Weltbild der Menschen recht festgefahren, ein Dach könne einengend sein. Ein Dachschaden könne dann für Offenheit und Vertrauen sorgen. Es hieße: unter offenem Himmel zu leben.

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Mit einem Lächeln im Gesicht sagt der Dekan: „Auch das liebevolle Team der Vesperkirche hat einen Dachschaden. Sie haben mit diesem Projekt etwas Neues gewagt und sind ihren eigenen Weg gegangen.“

Gemeinschaft ist wichtig für den Zusammenhalt

Der kircheneigene Posaunenchor unter der Leitung von Andreas Gerlach und Martina Bischofberger begleitete den Gottesdienst musikalisch zwischen den Predigten. Dabei wurden einige Kirchenlieder rund um das Thema Gemeinschaft gesungen, wie beispielsweise „Wir wollen aufstehen, aufeinander zugehen“ oder „Aus den Dörfern, aus den Städten“.

Andreas Sturm zufolge erzeuge das Projekt der Vesperkirche genau diese Gemeinschaft. „Wir brauchen Gemeinschaft, gemeinsame Liebe und Orte zum Kraftholen“, erklärt der Pfarrer der Alt-Katholiken in der Stadt. Und Pfarrer Knobelspies machte deutlich, dass das symbolische Teilen des Brotes für die Stärkung dieser Gemeinschaft sorgen solle.

Von 11.30 bis 14 Uhr gibt es Essen

Im Anschluss an den Gottesdienst galt die Vesperkirche als offiziell eröffnet. Sowohl Fleisch- als auch vegetarische Gerichte sowie verschiedene Kuchen waren gegen eine Spende erhältlich. Die Kollekte dieses Tages sei für die Vesperkirche bestimmt, wie Pfarrerin Fink-Fauser bezüglich der Spenden erklärt. An diesem Wochenende übernahm das Küchenteam der evangelischen Pflegeeinrichtung ‚Haus am Hohentwiel‘ die Verpflegung der Menschen im Gotteshaus. Das Kuchenangebot kam durch Spenden verschiedener Bäckereien und Privatpersonen zusammen.

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In den kommenden zwei Wochen wird es in der Kirche täglich von 11.30 Uhr bis 14 Uhr eine Essensausgabe geben. Jeder ist willkommen und bezahlt für ein Drei-Gang-Menü das, was er kann. Angekündigte Höhepunkte sind der Familiengottesdienst am nächsten Sonntag, 21. Januar, und der Bilderrückblick mit einem gesanglichen Auftritt des Gottmadinger Pop- und Gospelchors zum Finale am 28. Januar.