Die Festung Deutschland – wie Nazi-Propaganda in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs die dem Untergang geweihte Heimat bezeichnete – war längst sturmreif geschossen, als an jenem 15. April vor 75 Jahren die französischen Truppen bei Kehl den Rhein überquerten. Selbst eingefleischte Nationalsozialisten unterm Hohentwiel haben das bereits erkennen können, wie die ehemalige Stadtarchivarin Reinhild Kappes in ihrer Chronik zu den letzten Kriegstagen in der Stadt für das Singener Jahrbuch festgehalten hat. Sie warnten in einer Ratssitzung angesichts der heranrückenden Kräfte der alliierten Truppen, dass „doch immer Gefahr bestünde, dass man eines Tages zusammengewalzt würde.“ Längst war die Postkartenidylle des Nationalsozialismus purem Elend gewidmet, der Glanz großer Festspiele auf dem Hohentwiel der täglichen Sorge vor Fliegerangriffen gewichen.
Weshalb die Festungsruine selbst nach der Einnahme durch napoleonische Truppen so mythologisch aufgeladen blieb, erläutert Frank Thomas Lang vom Landesbetrieb Schlösser und Gärten: „Er war eine fast uneinnehmbare Festung der Herzöge von Württemberg und entwickelte sich im 19. Jahrhundert zum patriotischen Sehnsuchtsort. Kein Wunder, dass die Nationalsozialisten den Berg propagandistisch nutzten“, beschreibt er und verweist auf eindrucksvolle Quellen aus dem Singener Stadtarchiv. Zeitgenössische Fotografien und Postkarten unterstreichen die symbolische Bedeutung, die Festungsruine und Berg für die Nationalsozialisten hatten. So belebten die Nazis die Hohentwielfestspiele, die es bereits im Kaiserreich und der Weimarer Republik gab. Sie sollten zeigen, dass das nationalsozialistische Deutschland dem kulturellen Aufbau zugewandt sei. Eine zeitgenössische Fotografie aus dem Stadtarchiv Singen zeigt Schauspieler und Publikum auf dem Festspielplatz vor der monumentalen Karlsbastion. Der Hohentwiel sollte zu einem Mittelpunkt badischer Kultur werden.

„Bereits 1933 – also im Jahr der sogenannten Machtergreifung – erschien eine symbolträchtige Postkarte: Über dem Hohentwiel geht die Hakenkreuz-Sonne auf“ – was den Anbruch einer neuen Zeit symbolisieren sollte, entpuppte sich im Rückblick als Beginn einer Katastrophe, die vor 75 Jahren ihr Ende fand. In Singen wurde der Untergang des Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg rund zwei Wochen vor dem offiziellen Kriegsende in Europa besiegelt.
Und einmal mehr haben die Franzosen dabei den Hohentwiel ins Visier genommen. „Fest steht, dass die ehemalige Festung Hohentwiel am Kriegsende beschossen wurde – das erste Mal nach über hundert Jahren und das letzte Mal in ihrer Geschichte“, so Frank Thomas Lang vom Landesbetrieb Schlösser und Gärten. Die französischen Besatzungstruppen setzen sich gegen fanatische Hitler-Anhänger zur Wehr und beschossen dabei auch den Hohentwiel.
Mehr Info im Internet:
http://www.festungsruine-hohentwiel.de
Der Hausberg
- Lange Geschichte: Über 1100 Jahre alt ist die Festungsruine des Hohentwiel. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die bislang uneinnehmbare Festung an die Truppen der Franzosen übergeben, die die Burg schleiften.
- Aktuelle Probleme: Derzeit ist der Hohentwiel, wie alle Monumente der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, geschlossen.(bie)