Die Corona-Pandemie ist im Wirtschaftsleben noch lange nicht vorbei. Viele Betriebe haben weiterhin mit den Folgen zu kämpfen, beispielsweise der Einzelhandel. Das ist ein Grund, warum im Handel die Karten nun neu gemischt werden. „Lange war nicht klar, wie es nach Corona am Markt weitergehen wird“, sagt Fanni Wöhrle. Sie arbeitet in dem bekannten Schuhhaus in der Singener Freiheitstraße, das ihr Ehemann Falk Wöhrle in vierter Generation führt. Nun stehe die Frage im Mittelpunkt: Was brauchen wir für die Zukunft? Denn: „Wir wollen nicht in Konkurrenz zum Online-Handel treten. Unsere Dienstleistung ist das Persönliche“, sagt die studierte Soziologin. Daher macht das Ehepaar bald aus zwei Geschäften nur noch eins.

1927 haben die Vorfahren von Falk Wöhrle das Schuhgeschäft in der Freiheitstraße eröffnet, Urgroßvater Theodor Wöhrle hat als Schuhmacher in der aufstrebenden Industriestadt Singen angefangen. Die Schuhmacherei gehört für die Familie seit Jahrzehnten der Vergangenheit an, doch der Handel mit Schuhen ist geblieben. Falk Wöhrle ist seit 2019 Chef des Schuhhauses und seit Sommer 2023 Vorsitzender des Handelsverbandes Südbaden in Singen – in Nachfolge seines Vaters Hans, von dem er auch das Schuhhaus übernommen hat.

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Nun steht eine Neuausrichtung an, wie Falk Wöhrle kürzlich bekannt gegeben hat. Die Filiale unter dem Namen Franco Bonoldi in der Hegaustraße, die sein Vater 1992 eröffnete, soll im Lauf des Frühjahrs schließen. Ein Teil des Sortiments soll ins Haupthaus in der Freiheitstraße umziehen.

Weniger Fläche, andere Nutzung

Die Umstrukturierung soll sich auch dort zeigen: „Es wird ladenbauliche Veränderungen geben“, sagt er. Dadurch wolle man das Sortiment auf kleinerer Fläche zeigen. Die Wöhrles gehen damit einen ähnlichen Weg wie beispielsweise das Modehaus Heikorn, das sich ebenfalls verkleinert hat. In die frei werdende Fläche in der alten Sparkasse will die Firma Barfüßer mit einem Brauhaus einziehen.

Doch zum Bild gehört auch, die Ladenfläche im Schuhhaus außerhalb der Öffnungszeiten anders zu nutzen. Fanni Wöhrle organisiert zum Beispiel Gesundheitsseminare. Das sei ein Puzzlestück der Neuausrichtung, sagt ihr Mann.

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Als Handelsverbands-Vorsitzender blickt Falk Wöhrle auch auf die Situation des gesamten Handels in einer Zeit, in der die Corona-Hilfen abgerechnet werden und viele Betriebe die staatliche Unterstützung teilweise oder ganz zurückzahlen mussten oder müssen. Der Umfang der Rückforderungen sei in vielen Fällen noch gar nicht ganz klar.

Doch Wöhrle sieht noch viele andere Punkte, weshalb der Handel in Bewegung gekommen ist – Inflation und den Verlust von Kaufkraft zum Beispiel. Das betrifft nach seiner Einschätzung nicht nur den stationären Handel: „Auch die Online-Umsätze stagnieren, in diesem Bereich gab es 2023 ebenfalls Insolvenzen.“ Erschwerend komme hinzu, dass viele große Hersteller den Händlern zunehmend vorschreiben würden, was diese zu tun hätten.

Verbraucher sind momentan sehr vorsichtig

Ähnlich sieht es Claudia Kessler-Franzen, städtische Wirtschaftsförderin und Geschäftsführerin des Standortmarketingvereins Singen aktiv. Nach der Corona-Pandemie hätten sich nahtlos weitere Krisen wie Kriege, Energiekrise und Inflation angeschlossen. „Die Mischung aus allem lässt die Konsumenten verständlicherweise vorsichtig sein“, so Kessler-Franzen auf Nachfrage. Da sei zu beobachten, dass Händler ihr Konzept überdenken und sich klarer positionieren. Teilweise seien Öffnungszeiten auch aufgrund von mangelndem Personal verkürzt worden.

Bei seinem Schuhhaus sei fehlendes Personal nicht das entscheidende Thema gewesen, sagt Falk Wöhrle. Aber leichter werde es auch nicht, gutes Personal zu finden. Alle Mitarbeiterinnen aus der Filiale Franco Bonoldi hätten denn auch das Angebot bekommen, im Unternehmen zu bleiben, sagt Wöhrle.

„In Singen stimmt die Kaufkraft noch“

Doch er gibt auch zu, dass der Handel im Allgemeinen ganz ähnliche Probleme habe wie die öffentliche Hand. Die Kosten, zum Beispiel für Energie und Personal, würden schneller steigen als die Umsätze: „Bei den Kundenzahlen kommen wir erst langsam wieder ans Vor-Corona-Niveau.“ Aber er verweist auch auf die Nähe zur Schweiz: „In Singen stimmt die Kaufkraft noch.“ Dennoch müsse man ernst nehmen, dass den Menschen weniger Geld zum Konsumieren bleibe.

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Droht nun ein neuer Leerstand in der Innenstadt, wenn Franco Bonoldi auszieht? Falk Wöhrle erwartet das nicht. Ein Makler suche bereits einen neuen Mieter, es gebe einige Interessenten: „Das ist eine Toplage“, sagt er. Seine Ehefrau Fanni ergänzt, dass die städtische Tourist-Info ins selbe Gebäude einziehen werde, in die Räume des früheren Sporthauses Schweizer. Das dürfte Menschen anziehen.

Diese Einschätzung kann auch Claudia Kessler-Franzen grundsätzlich treffen: „Entstehende Leerstände, insbesondere in den guten Lagen, sind bisher recht schnell und teilweise nahtlos nachvermietet worden.“ Bis auf einen oder zwei Fälle sehe man in Singen keinen strukturellen Leerstand. Prominente Leerstände in der Innenstadt sind derzeit zum Beispiel die frühere Mango-Filiale und die ebenfalls geschlossene McDonald‘s-Filiale in der Innenstadt.