Man kann es Zufall, Schicksal oder auch Glück nennen, dass der heute 28-jährige Munir aus Aleppo in Syrien im Frühsommer 2015 auf den ehemaligen Deutschlehrer Karl Bosch trifft. Aus der Bekanntschaft entwickelt sich eine Erfolgsgeschichte, an der auch Maria Luisa Jessen sowie Heide und Rudolf Heeder großen Anteil haben. Bei einem gemütlichen Kaffeeplausch berichten sie nicht ohne Stolz von ihren gemeinsamen Erlebnissen.

Die ersten Kontaktversuche auf Englisch

Munir kam am 4. April 2015 in Deutschland an, war erst in Meßstetten, ab 5. Mai in der Gemeinschaftsunterkunft in der Zoznegger Straße. In Syrien hatte er als angelernter Damenschneider gearbeitet. Er spricht etwas Englisch, das half bei Kontaktversuchen. "Ich wolle unbedingt Deutsch lernen und habe angefangen, mit Ute Braun, einer Erzieherin, zu sprechen." Sie lernten sich besser kennen und er fasste Vertrauen zu ihr, da sie auch bei Festen im Wohnheim half.

So wird Karl Bosch zum Helfer

Bei der Verabschiedungsfeier für Pfarrer Philipp Jägle kam Karl Bosch ins Spiel. "Frau Braun sagte mir, ein junger Mann brauche dringend Hilfe in deutscher Sprache. Ich wohne gegenüber der Gemeinschaftsunterkunft, unsere Balkone lagen so, dass wir uns fast ansehen konnten." Seit diesem Zeitpunkt hilft er dem Syrer. Dessen Aufenthaltserlaubnis kam schnell nach drei Monaten. Karl Bosch fuhr mit ihm nach Konstanz oder zum Jobcenter, organisierte einen Sprachkurs. Mit Erhalt der Aufenthaltserlaubnis musste Munir das Wohnheim verlassen. Das Landratsamt stellte ihm eine Unterkunft in Büsingen. Von dort fuhr der Syrer mit dem Rad nach Schaffhausen und im Zug nach Singen zum Sprachkurs.

Munir kann in der Bootsattlerei anfangen

Im Hintergrund wurden weitere Fäden gesponnen. Von Maria Luisa Jessen, die mit Heide Heeder im Keller der Unterkunft Sachspenden für Flüchtlinge annahm, kam der Tipp, dass die Hildra Bootsattlerei in Zizenhausen immer Leute suche. Stadträtin Jessen, Munir und Karl Bosch sprachen dort vor und hatten Erfolg: Nach dem Sprachkurs durfte Munir eine Lehre zum Polsterer und Dekorationsnäher machen. Im September 2016 begann er als einziger Auszubildender des Betriebs.

Wie ein Syrer mit deutschen Fachbegriffen klarkommt

Damit kam die die nächste Hürde, denn im Blockunterricht in Stuttgart hatte Munir Probleme, den Dialekt zu verstehen und die Schreibschrift der Lehrerin an der Tafel zu lesen. Er machte Fotos und bekam Zusatzunterricht. Das Berufsschulzentrum Stockach half. "Die Fachbücher haben wir durchgearbeitet. Er hat alle Wörter unterstrichen, die er nicht verstand. Wir sind schier verzweifelt, so ein Fachbuch stellt sich wie eine Doktorarbeit dar", erzählt Karl Bosch. Die Zwischenprüfung bestand Munir nicht und wollte ein Jahr aussetzen. Weil das Jobcenter dies nicht erlaubte, besuchte er Sonderkurse am Samstag. Rudolf Heeder half beim Verstehen der Fachbegriffe. Der Syrer habe lediglich eine rudimentäre Grundausbildung in Syrien erhalten und konnte noch nicht Prozentrechnen, berichtet Bosch. Sie hätten schließlich jemanden gefunden, der Mathe unterrichtete.

Auch die Deutschen profitieren vom interkulturellen Austausch

Maria Luisa Jessen fragte schließlich bei Heeders an, ob sie sich vorstellen könnten, Munir in ihrer Einliegerwohnung aufzunehmen. "Bei ihm war es immer sauber und ordentlich", erklärt Heide Heeder. Im Juli 2017 zog Munir ein. Jeden Tag fährt er mit dem Rad zur Arbeit. "Ich bin gleich gut klar gekommen dort. Sie haben mir viel geholfen. Wir verstehen uns", freut er sich. Die Gesellenprüfung bestand er im August und bekam einen unbefristeten Arbeitsvertrag. In Deutschland habe er gelernt, pünktlich zu sein: "Das gibt es in Aleppo nicht." Die Deutschen finden es bereichernd, durch Munir andere Sichtweisen kennenzulernen. "Wir können mit ihm über Inhalte sprechen, über Traditionen. Er sagt seine Meinung, das finde ich großartig", lobt Karl Bosch. Er wünsche sich, dass manche Bücher auch in Arabisch gedruckt würden, um diese Gedankengänge zu transportieren.

Rudolf Heeder bestätigt: "Munir ist offen, nicht die Religion ist entscheidend, sondern unser Herz."Und wie sieht der junge Mann seine Zukunft? "Wenn ich gut verdiene und davon leben kann, bleibe ich hier."