Wer durch die Straßen der Stockacher Oberstadt geht, sieht zwar historische Häuser, doch die Geschichte und ihre Geheimnisse liegen tief unten in den Kellern verborgen. Mittelalterliche Keller, um genau zu sein. Keller, die vom Stockach vor dem Jahr 1704 erzählen. Denn in jenem Jahr sind die ursprünglichen Gebäude einem Stadtbrand zum Opfer gefallen, den bayerische Truppe nach einer Belagerung der Stadt gelegt hatten.

Das genaue Ausmaß der Zerstörungen ist nur bedingt bekannt, erklärte der Historiker und frühere Stadtrat Thomas Warndorf bei einer Führung durch drei der zahlreichen historischen Keller, die nur selten zugänglich sind, mit ihren Geheimnissen. Zwar seien Listen für den Wiederaufbau erstellt worden, doch ähnlich wie heute Versicherungsbetrug vorkommen könne, sei damals vielleicht auch hier und da übertrieben worden.

Thomas Warndorf erklärt die Funktion des Kellerraums: Hier war vor Jahrhunderten eine Brauerei.
Thomas Warndorf erklärt die Funktion des Kellerraums: Hier war vor Jahrhunderten eine Brauerei. | Bild: Löffler, Ramona

Stockach gehörte 1704 zu Vorderösterreich und Geld für den Wiederaufbau kam aus Innsbruck. Die Gebäude seien zum Teil größer wiederaufgebaut worden, als die Keller sind. Und so mancher Keller hat die Stadtmauer als Außenwand. Außerdem sind manche Keller mit Tunneln verbunden, die irgendwann einmal zugemauert wurden.

Zweistöckiger Brauerei-Keller an der Stadtmauer

Ein Keller direkt an der mittelalterlichen Stadtmauer befindet sich unter dem Reisebüro am Marktplatz. Er reicht über zwei Ebenen und erzählt die Geschichte eines ehemaligen Gasthofs mit Brauerei. Warndorf erklärte den Teilnehmern der Führung eindrücklich, wie vor mehreren hundert Jahren gebaut und Bier kühl gelagert werden konnte.

Keller hätten Fensterkamine gehabt, durch die warme Luft aufsteigen konnte. So sei ein Keller kühl und trocken geblieben. Warndorf schilderte den interessierten Zuhörern zum Beispiel auch, mit welchen ausgefuchsten Methoden die damaligen Wirte schwere Bierfässer steile Treppen hinaufbekamen. Sie nutzten dazu eine spezielle Konstruktion mit Hanfseilen. Das Bier sei allerdings vom Alkoholgehalt her nicht mit dem heutigen vergleichbar gewesen.

Dieses historische Schild hängt an der Kellertür unter dem Reisebüro.
Dieses historische Schild hängt an der Kellertür unter dem Reisebüro. | Bild: Löffler, Ramona

Straßen sind höher als früher

Eine Überraschung für die Teilnehmer: Früher waren Kellerzugänge von außen nicht so tief wie heute, denn die Straßen sind heute höher als früher. In den vergangenen Jahrhunderten seien die Straßen der Stockacher Oberstadt mit jeder Sanierung und Leitungsverlegung ein Stückchen höher geworden.

Aber auch die Keller hätten sich verändert, da nach dem Brand von 1704 Kreuzgratgewölbe für mehr Stabilität der neuen Häuser nachgerüstet worden seien. So seien in den Kellern die verschiedenen Bauzeiten in der Architektur ablesbar.

Zu Elementen, die mehrere Jahrhunderte unverändert überstanden haben, gehören kleine Wandnischen, in die Kerzen gestellt worden sind. Am Boden wären die Kerzen zu gefährlich gewesen: „Brandgefahr war der Feind der Häuser im Mittelalter“, erklärte Warndorf.

Thomas Warndorf schließt den Keller zu Stockachs erster Kegelbahn auf.
Thomas Warndorf schließt den Keller zu Stockachs erster Kegelbahn auf. | Bild: Löffler, Ramona

Während der Keller unter dem Reisebüro und der Keller des Alten Forstamts, der auch zu Führung gehörte, auch heute noch unterschiedlich stark genutzt sind, konnten die Teilnehmer auch einen Keller sehen, in dem die Zeit stehengeblieben ist: der Keller unter dem Trödelladen.

Die erste Kegelbahn und alte Tunnel

Eine unscheinbare Tür mit einem verschnörkelten Eisengitter, kaputten Fenstern und Ketten bot den Zugang zu dieser Zeitkapsel, in der seit vielen Jahrzehnten gesammelte Flaschen und Weinregale nicht mehr angerührt worden sind.

Ein zugemauerter Gang.
Ein zugemauerter Gang. | Bild: Löffler, Ramona

Dieser Keller hat zwei Besonderheiten: Dort war die erste Kegelbahn der Stadt, die zur Gaststätte Germania gehörte, und ein zugemauerter Gang führte früher in den Nebenkeller. Solche Tunnel sind in der Oberstadt häufig – sie wurden zum Beispiel im und nach dem Zweiten Weltkrieg genutzt. Warndorf erzählte sogar von einem Gang unter der Pfarrstraße hindurch, der inzwischen nicht mehr zugänglich sei.

Der Keller unter der früheren Germania. Die Tür führt zur Pfarrstraße.
Der Keller unter der früheren Germania. Die Tür führt zur Pfarrstraße. | Bild: Löffler, Ramona

Die Kellerführung, die nur zwei Mal im Jahr stattfindet, offenbarte viele Geheimnisse. Manche wie die Tunnel oder die Wandnischen konnte Warndorf erklären, andere seien bis heute noch nicht gelüftet.

Ein Geheimnis, das die Teilnehmer aufgrund einer schweren Platte nicht anschauen konnten, ist eine Eiswanne unter dem Kellerboden des Gewölbes unter dem Trödelladen. „Das ist heute selten“, sagte Warndorf. „Im Winter wurde im Eisweiher Eis geschlagen und dort gelagert. Das Eis hat sich bis April oder Mai gehalten.“ So sei der Eisweiher im Osterholz auch zu seinem Namen gekommen.

Stumme Zeitzeugen in einer Kellernische.
Stumme Zeitzeugen in einer Kellernische. | Bild: Löffler, Ramona

Kellerlokal unter dem alten Rathaus

Warndorf erzählte in der Hauptstraße noch so manche Geschichte von den zahlreichen Gaststätten, Brauereien und deren Kellern. Der schönste Keller der Stadt habe zum Gasthaus „Deutsches Haus“ gehört – die heutige Hauptstraße 13. Dort gebe es ein kathedralenartiges, riesiges Gewölbe, das inzwischen aber für die Mieter in kleine Einheiten unterteilt worden sei. Im Keller des alten Rathauses (Hauptstraße 12/14) habe sich bis in die 1970er-Jahre noch ein Lokal befunden, sei dann aber aufgrund der Anforderungen an den Brandschutz geschlossen worden.

Das heutige Kulturzentrum Altes Forstamt hat einen Keller, an dem ebenfalls viel Stadtgeschichte ablesbar ist. Dort seien Teile einer mutmaßlich früheren Stadtmauer enthalten, erklärte Warndorf. Was heute ein kleines Fenster Richtung Hauptstraße ist, sei früher eine Tür gewesen, als das Straßenniveau noch niedriger gewesen sei. An Fasnacht sei unten eine Besenwirtschaft über eine Rutsche durch diese Tür erreichbar gewesen.

Das kleine Fenster im Forstamt-Keller war früher eine Tür. Doch außen ist die Straße im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte höher ...
Das kleine Fenster im Forstamt-Keller war früher eine Tür. Doch außen ist die Straße im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte höher geworden, so dass nur eine Fenstergröße übrig blieb. | Bild: Löffler, Ramona

Der Keller des Kulturzentrums hatte laut Warndorf über die Jahrhunderte so manche Funktion, die an die des Hauses gekoppelt war, zum Beispiel vorderösterreichisches Rentamt oder badisches Forstamt. Über einen der Kellerräume sagte Warndorf: „Hier kommen 500 Jahre Stockacher Baugeschichte zusammen.“