Bernd Forster hat sich einen Traum erfüllt: Vor knapp zehn Jahren pilgerte der Wahlwieser auf dem Camino Francés, dem wohl bekanntesten Jakobsweg, rund 800 Kilometer von Saint-Jean-Pied-de-Port in Frankreich nach Santiago de Compostela.

Jetzt hat Forster seinen persönlichen Reisebericht als Taschenbuch veröffentlicht. Er schreibt über seine Erlebnisse, stellt Menschen vor, die er unterwegs kennengelernt hat, fügt Karten und Etappeninformationen hinzu und gibt Tipps zur praktischen Vorbereitung auf das Abenteuer Jakobsweg. Im Interview erzählt er von seiner Reise, die bis heute nachwirkt.

Wie kam es zu dem Wunsch, auf dem Jakobsweg zu pilgern?
Nachdem mir klar geworden war, dass ich das gesunde Verhältnis von Privat- und Berufsleben komplett aus den Augen verloren hatte, stand ich mit 51 Jahren vor einer beruflichen Neuorientierung. Mir kam das Buch „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling in den Sinn, und eine lange vorab vereinbarte verlängerte Urlaubszeit machte es möglich: Ich wollte mir eine Auszeit nehmen, um auf einer Pilgerwanderung viel Zeit zum Nachdenken zu haben und mir über meine persönliche Neuorientierung klar zu werden.
Wie waren die Rahmenbedingungen?
Insgesamt plante ich 40 Tage Urlaub ein, inklusive Anreise, Pilgerweg, Rückreise und ein paar Tagen Erholung von den zu erwartenden Strapazen. Starttermin war Mitte April.
Wie haben Sie Ihre Erinnerungen notiert?
Ich habe Tagebuch geführt. Das hatte ich immer in der Seitentasche meiner Hose stecken. Und nach der Reise habe ich ein Fotobuch für die Familie gemacht. Da stand schon ein Teil meines Buchinhalts drin.
Hatten Sie denn damals schon vor, ein Buch über Ihre Erlebnisse zu schreiben?
Nein, ursprünglich waren die Notizen nur für mich gedacht. Man vergisst sonst vieles. Eigentlich schreibe ich immer wieder was auf. Ich habe zum Beispiel auch einen Blog über unsere Australien-Reise gemacht. Und unter dem Namen Steckenpferd-Reisen teilen meine Frau Lis und ich viele unserer Reiseerlebnisse in den sozialen Netzwerken.
Wann haben Sie das Buch geschrieben und wie lange hat es gedauert?
Weihnachten 2019 habe ich angefangen und im Lockdown 2020 Zeit dafür gehabt. Ein halbes Jahr lang hatte ich zu tun. 2000 Buchstaben am Tag waren mein Ziel.
Wie war es, nach Jahren wieder so tief in die Erinnerungen einzutauchen?
Wenn man einmal da war, bleibt der Bezug. Wenn man irgendwo spazieren geht oder wandert, läuft man immer wieder an Wegweiser zum Jakobsweg hin. Da schmunzeln meine Frau und ich immer. Mit meinen Mitpilgern treffen wir uns noch immer jedes Jahr für zwei Tage. Der erste Tag geht meist mit dem Austauschen von Erinnerungen drauf.
Würden Sie den Jakobsweg nochmals gehen? Und wenn ja, wieder alleine?
Wahrscheinlich würde ich die Zeit von meiner Frau nicht mehr kriegen (lacht). Aber es war schon ganz besonders. Es gab keine Zwänge, die man im Vorfeld hatte, keine festen Arbeitszeiten – alles war weit weg. An die Stelle rückten Blasen und Schmerzen, die Sorge, nicht zu wissen, wo man in dieser Nacht schläft, Regen und Schnee. Und doch war es mit die schönste Zeit meines Lebens. Ich habe ganz unterschiedliche Menschen verschiedenen Alters kennengelernt. Man trifft sich nicht jeden Tag, aber sieht sich alle paar Tage irgendwo wieder.
Die Stimmung kann schwanken. Ich habe nie Tränen gehabt, auch wenn Hape Kerkeling schreibt: „Irgendwann weint jeder.“ Aber als wir in Santiago ankamen, habe ich ein Bild von der Kirche gemacht und zwei Minuten später rief Lis an. Ob das ein Zufall war? Da flossen bei mir doch die Tränen.
Seine Frau ergänzt: Ich möchte nicht die ganze Strecke wandern, aber die vielen Orte würde ich schon gerne sehen. Wir wollen zusammen zum Jakobsweg – als Selbstversorger mit dem eigenen ausgebauten Fahrzeug.
Wie war das Einleben nach dieser langen Auszeit?
Vorher habe ich jedes neue Thema auf einen Stapel getan, den ich gar nicht mehr abarbeiten konnte. Danach waren alle Themen abgeschlossen, die Vorgehensweise war klar, mich hat nichts mehr belastet. Das Erlebte wirkt ewig lang. Ich glaube, jeder findet das, was er sich erhofft hat.
Helfen Ihnen die gewonnenen Einsichten und sind Sie heute anders als davor?
Früher habe ich Marathon und 24-Stunden-Läufe absolviert, ich hatte also Erfahrung im Durchhalten. Durch das Pilgern und Loslassen bin ich offener, freier und entspannter geworden. Und ich lasse nicht mehr zu, dass die Anforderungen an mich über ein gewisses Level kommen.