Viele besorgte Blicke richten sich derzeit auf den Krieg in der Ukraine. Während dort auch nach mehreren Wochen noch unerbittlich gekämpft wird, macht man sich in Stockach bereits Gedanken um die Nachkriegszeit. Denn Kriege sind nicht nur gefährlich solange die Schlachten toben, sie hinterlassen auch Spuren, die für die Zivilbevölkerung noch Jahre nach Kriegsende tödlich sein können, weiß Philipp von Michaelis, Geschäftsführer und Mitbegründer von Global Clearance Solutions (GCS).

Vorbereitungen für die Nachkriegszeit laufen auf Hochtouren

Das deutsch-schweizerische Unternehmen ist auf Kampfmittelbeseitigung spezialisiert und produziert in Stockach seit 2007 Maschinen, die eine schnelle und effiziente Räumung von Minenfeldern ermöglichen. „Dieses Thema wird in der Ukraine schon jetzt aktuell“, erklärt von Michaelis im Gespräch mit dem SÜDKURIER bei einem Rundgang durch die Produktionshalle.

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Durch die Verlagerung der russischen Truppen in den Osten der Ukraine seien bisherige Gefechtszonen wieder frei. Was zurückbleibe seien Minenfelder und Blindgänger, die beseitigt werden müssen, weil sie eine große Gefahr für die Binnenflüchtlinge, die jetzt wieder in diese Gebiete zurückkehren, darstellen. Zudem habe trotz des Krieges inzwischen die Aussaat von Getreide begonnen. Durch die Kontamination von Ackerflächen seien die Landwirte in der Ukraine deshalb mitunter großen Gefahren ausgesetzt. Deshalb sei es wichtig, belastete Flächen möglichst schnell wieder freigeben zu können.

Flüchtlinge sollen für die Gefahren sensibilisiert werden

Eines der wichtigsten Themen sei in diesem Zusammenhang jetzt die Aufklärung. „Im Nachgang zu bewaffneten Konflikten muss die Zivilbevölkerung für die Gefahren, die durch Minen bestehen, sensibilisiert werden“, sagt von Michaelis. Deswegen sei das Unternehmen derzeit im Gespräch mit mehreren Ministerien, um ein Ausbildungsprogramm für ukrainische Flüchtlinge auf die Beine zu stellen. „Unsere Idee ist, dass wir die Geflüchteten während ihrer Zeit in Deutschland ausbilden und ihnen das nötige Wissen mit an die Hand geben, um mit den Gefahren vor Ort umgehen zu können und das Wissen dann auch als Multiplikatoren weiterzugeben.“

Projektkoordinatorin Rebekka Cammerer hat in diesem Bereich bereits Erfahrung. Im vergangenen Jahr war sie für eine ähnliche Aufklärungskampagne im Irak. „Wir haben spezielle Flyer, beispielsweise für Kinder oder Bauern entwickelt, auf denen erklärt wird, wie Minen aussehen können und wie man sich im Gefahrenfall richtig verhält“, erklärt sie und zeigt einen Flyer mit comicartigen Bildern und arabischer Schrift, die möglichst einfach und verständlich gestaltet sind. „Genau das Ggleiche müssen wir jetzt eigentlich schon in der Ukraine machen“, fügt sie an. Dafür will das Unternehmen seine eigenen Ressourcen kostenlos zur Verfügung stellen. „Die Ausbildung der Zivilbevölkerung ist für uns eine Pro-Bono-Angelegenheit“, macht von Michaelis deutlich.

Produktionsleiter Stephan Gamp und Projektkoordinatorin Rebekka Kammerer an einem Dieselmotor, der bald in eines der Minenräumgeräte für ...
Produktionsleiter Stephan Gamp und Projektkoordinatorin Rebekka Kammerer an einem Dieselmotor, der bald in eines der Minenräumgeräte für die Ukraine verbaut werden soll. | Bild: Dominique Hahn

Bestellungen aus der Ukraine bereits in Produktion

Während das Ausbildungsprojekt erst noch in den Startlöchern steht, hat die Produktion von Minenräumfahrzeugen für die Ukraine bereits begonnen. In der Stockacher Werkshalle wird derzeit fleißig an den Spezialgeräten geschraubt, die schon Ende Mai/Anfang Juni in die Ukraine ausgeliefert werden. Dort sollen sie dabei helfen, alle Arten von Minen und Blindgängern zu beseitigen.

Von der kleinen Antipersonenmine bis hin zur Panzerabwehrmine. Dafür kommt eine acht Tonnen schwere Plattform mit Raupenantrieb zum Einsatz, die mittels einer Fernbedienung gesteuert werden kann. „Diese motorisierte Plattform verfügt über eine standardisierte Aufnahme für verschiedene Anbaugeräte, wie sie beispielsweise bei Baufahrzeugen zum Einsatz kommt“, erklärt von Michaelis.

Zwei kleinere Minenräumgeräte sind stehen bereits fertig zur Auslieferung in der Stockacher Produktionshalle.
Zwei kleinere Minenräumgeräte sind stehen bereits fertig zur Auslieferung in der Stockacher Produktionshalle. | Bild: Dominique Hahn

So könne das Gerät, das speziell gegen Splitter geschützt ist, unter anderem mit einer Minenfräse aus gehärtetem Stahl ausgerüstet werden. Mit 600 Umdrehungen pro Minute wühle sich diese bis zu 30 Zentimeter tief durch den Boden und zerstöre die dort befindliche Munition oder bringe sie zur Explosion.

Bis zu 10.000 Quadratmeter am Tag

„Die besondere Konstruktion der Fräse ermöglicht es, der Druckwelle einer Explosion einfach ungehindert zu entweichen, ohne dass größere Beschädigungen am Gerät entstehen können. Dabei machen wir uns eine Kombination aus Physik und gutem Maschinenbau zunutze“, erläutert von Michaelis. Grundlage für dieses Konzept sei eine Mulchfräse aus der Forstwirtschaft. Mit einer solchen Maschine könne pro Tag eine Fläche von bis zu 10.000 Quadratmetern geräumt werden. „Bei einer Entminung per Hand schafft man pro Tag maximal 50 bis 100 Quadratmeter“, sagt von Michaelis.

Vereinte Nationen als größter Kunde

Zu den Kunden des Unternehmens, das bis 2015 noch Minewolf hieß, zählen Regierungen und Hilfsorganisationen. „Unser größter Kunde sind die Vereinten Nationen“, sagt von Michaelis. Aber auch Wirtschaftsunternehmen haben eine Verwendung für die Geräte aus Stockacher Produktion. „Wenn in einem betroffenen Land etwa eine Straße oder Eisenbahnstrecke gebaut werden muss, kann es mitunter sein, dass die entsprechenden Flächen zunächst geräumt werden müssen“, erklärt von Michaelis.

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Das Problem sei, dass es oft keine Aufzeichnungen über Minenfelder gebe. Dann müsse zuerst eine Risikoanalyse durchgeführt werden. Dazu spreche man etwa mit der Bevölkerung vor Ort oder mit ehemaligen Soldaten, um herauszufinden, wo genau Kampfhandlungen stattgefunden haben. Im zweiten Schritt könne dann die Räumung der Verdachtsflächen erfolgen. Das Team von GCS, das aus insgesamt rund 100 Mitarbeitern besteht, wovon über 60 fest in Stockach arbeiten, betreue die Projekte auch selbst vor Ort.

Dafür sei die Sicherheitslage natürlich entscheidend. Man könne erst tätig werden, wenn die Kampfhandlungen an einem Ort nicht mehr aktiv sind. Auch wenn die Sicherheitslage in der Ukraine derzeit noch schwierig ist, werden zwei Mitarbeiter des Unternehmens zusammen mit den Geräten dort hin reisen, um mit der Arbeit in den nicht mehr umkämpften Gebieten zu beginnen. „Für unser ganzes Team ist es unglaublich erfüllend, die Wirkung unseres Tuns zu sehen“, sagt von Michaelis.