Sie kamen zwei Mal und blieben dann: Vor 80 Jahren zogen französische Truppen in Stockach, aber auch den Umland-Gemeinden ein. Ihre Ankunft signalisierte, dass der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Am 21. April 1945 kamen die Soldaten aus Richtung Tuttlingen nach Stockach, fuhren in den Panzern jedoch weiter.

Es war die motorisierte Einheit der ersten französischen Armee, die von General Jean de Lattre de Tassigny befehligt wurde, wie Hartmut Rathke im Buch „Stockach im Zeitalter der Weltkriege“ beschreibt: „Als die Nachricht vom Nahem der französischen Truppen, die aus Tuttlingen kamen, Stockach erreichte, ergriffen die örtlichen NS-Führer die Flucht und ermöglichten damit eine weitgehend kampflose Übernahme der Stadt durch Bürgermeister Adolf Wendling.“

Erinnerungen an den Einmarsch

Eine kleine Widerstandsgruppe in der Stadt verhinderte, dass die Panzersperren geschlossen wurden, damit die Stadt nicht beschossen wurde. Viele Stockacher waren in Luftschutzbunkern, doch Zeitzeugen erinnern sich an das Rattern der Panzer. Im Rahmen der SÜDKURIER-Serie „Gedächtnis der Region“ erzählten im Jahr 2015 mehrere Stockacher über ihre Erinnerungen an diese Zeit.

Der inzwischen verstorbene Stockacher Ehrenbürger Heinrich Wagner erinnerte sich zum Beispiel, dass die Familie auf halber Höhe zur Nellenburg gewesen sei, als die Soldaten in Stockach einzogen. Wagners Vater konnte ein wenig Französisch und habe ihnen „Pas tirez!“ (Nicht schießen) entgegen gerufen. „Wenn jemand Französisch sprechen konnte, waren die Franzosen ganz anders“, erklärte Wagner, der bei Kriegsende 13 Jahre alt gewesen war.

Während des Zweiten Weltkriegs hieß die Goethestraße Adolf-Hitler Straße. In vielen Städten wurden Straßen nach NS-Größen umbenannt. Die ...
Während des Zweiten Weltkriegs hieß die Goethestraße Adolf-Hitler Straße. In vielen Städten wurden Straßen nach NS-Größen umbenannt. Die alten Namen kehrten nach dem Krieg schnell zurück. Bild: Stadtarchiv Stockach

Bürgermeister als Geisel

Die französischen Soldaten nahmen den damaligen Bürgermeister als Geisel nach Tuttlingen und zogen zunächst nach Owingen und Überlingen weiter, ehe sie am 24. April zurückkehrten. In der Zwischenzeit kam die SS in die Stadt und bei der Rückeroberung der Stadt gab es Todesopfer verschiedener Nationalitäten. Die SS erschoss 16 ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene sowie fünf französische Soldaten.

Beim zweiten Einmarsch besetzten die Franzosen die Stadt. Sie wollten zehn prominente Stockacher erschießen und die Stadt in Brand stecken, da beim Rückeroberungsversuch der SS viele französische Soldaten gestorben waren. Doch dazu kam es letztendlich nicht. Die Männer wurden nach Verhören wieder freigelassen.

So sah das braune Haus (ehemaliges Kaufhaus) auf den Gustav-Hammer-Platz zum Ende des zweiten Weltkriegs aus. Es wurde später ein Museum ...
So sah das braune Haus (ehemaliges Kaufhaus) auf den Gustav-Hammer-Platz zum Ende des zweiten Weltkriegs aus. Es wurde später ein Museum und in den 1970ern abgerissen. Bild: Stadtarchiv Stockach, Bildarchiv Foto Hotz | Bild: Stadtarchiv Stockach

Die Rettung der Stadt

„Dank der flehentlichen Bitten von Pfarrverweser Alois Mutz“ konnte das Anzünden der Stadt abgewendet werden, schreibt Rathke. Mutz, der sich Verhören unterziehen musste, und der neu eingesetzte Ernst Sigel sowie Professor Wilhelm Liebherr „setzten sich intensiv für die Rettung der Stadt und ihrer Bewohner ein“, so Rathkes Buch. „Da alle drei keine Nazis waren, glaubten die Franzosen schließlich ihrer beeideten Aussage, dass das Massaker von der Radolfzeller SS und nicht von Stockachern begangen worden sei, worauf die Geiseln wieder freigelassen wurden.“

Diese Stele im Stockacher Stadtgarten erinnert an die Opfer in der Zeit vom 21. bis 24. April 1945 in Stockach sowie den Einsatz von ...
Diese Stele im Stockacher Stadtgarten erinnert an die Opfer in der Zeit vom 21. bis 24. April 1945 in Stockach sowie den Einsatz von Pfarrer Alois Mutz und Bürgermeister Ernst Sigel. | Bild: Löffler, Ramona

Die Franzosen quartierten sich in vielen Häusern ein. Bei Familie Wagner musste die Schwester für den Koch der französischen Offiziere Geige spielen. Und Fritz Metterhauser Senior erzählte in der SÜDKURIER-Serie, dass das Wohnzimmer zu einem Lazarett umfunktioniert worden war und eine Rot-Kreuz-Flagge am Fenster gehangen habe.

Die eigentlichen Hausbewohner mussten sich überall zurückziehen und auf kleinem Raum zusammenleben, um für die Soldaten und Offiziere Platz zu machen. Bei den Metterhausers dauerte es rund ein Jahr, bis sie ihr Haus wieder ganz für sich hatten und in die Parterre-Wohnung zurück durften.

Ein weiteres Büro im braunen Haus. Bild: Stadtarchiv Stockach, Bildarchiv Foto Hotz
Ein weiteres Büro im braunen Haus. Bild: Stadtarchiv Stockach, Bildarchiv Foto Hotz | Bild: Stadtarchiv Stockach

Ein Kasino in Nenzingen

Auch in Nenzingen quartierten sich Franzosen ein, wie es in Heinrich Rehms Buch „Nenzingen – Geschichte und Geschichten“ heißt. Das damalige Gasthaus Bahnhof wurde zu einem Kasino und es herrschte Wohnungsnot, da viele Evakuierte aus Bochum und Dortmund nach Nenzingen kamen. Nach der offiziellen Kapitulation am 8. Mai 1945 kehrten die ersten Nenzinger Soldaten aus Kriegsgefangenschaft in Amerika, Frankreich und Russland heim.

Ausgangssperre und mehr

Überall sammelten die Besatzer Fotoapparate und Radios ein. Doch die Stockacher gaben nicht einfach so alles ab. Manche Familien versteckte ihre Sachen oder gab nur einen Teil heraus. So wurden zum Beispiel der Kohlenkeller zum Versteck. Außerdem mussten die Bürger auch bestimmte Kleidungsstücke beim Gesundheitsamt abgeben, zum Beispiel Anzüge, Schuhe und auch Betttücher.

Das braune Haus von außen. Bild: Stadtarchiv Stockach, Bildarchiv Foto Hotz
Das braune Haus von außen. Bild: Stadtarchiv Stockach, Bildarchiv Foto Hotz | Bild: Stadtarchiv Stockach

Ab dem 25. April gab es zudem eine Ausgangssperre. Ohne einen Laissez-Passer (Passierschein) waren Reisen in andere Besatzungszonen nicht möglich. Einen solchen Passierschein brauchten zum Beispiel auch die Bodmaner Bürger, wenn sie nach Radolfzell wollten, erzählt Wilderich Graf von und zu Bodman auf Anfrage nach Informationen aus dem Gräflichen Archiv: „Der Bodanrück war mit einem breiten Stacheldrahtzaun zwischen Radolfzell und Bodman vom Hegau abgetrennt.“

Dieser Artikel erschien erstmals im April 2020.