Die spielenden Kinder und die Frauen, die sich unterhalten, wirken auf den ersten Blick eigentlich normal. Aber ihre Gesichter sind geprägt von den schrecklichen Erlebnissen, die sie auf dem Weg aus dem ukrainischen Kriegsgebiet nach Stockach durchgemacht haben. Sie kommen aus dem Bereich der Städte von Odessa und Kiew.

Die meisten der 20 Flüchtlinge, die nun im Badischen Hof leben, sind Frauen und Kinder. Nur zwei oder drei Männer sind dabei, denn viele durften nicht ausreisen. Die meisten seien in der Hoffnung hier, dass der Krieg schnell vorbei sei, sagt Mathias Tonigold, einer der Besitzer, der über Freunde und Geschäftspartner schon seit Jahren von der angespannten Situation in der Ukraine mitbekommen hat. „Es trifft die Schwächsten, die nichts dafür können.“

Wie der Badische Hof zur Unterkunft wurde

Dass die Ukrainer nach Stockach und in das leerstehende Hotel ziehen konnten, haben sie einer Gruppe von engagierten Mitbürgern zu verdanken. Maryna Perschel, die regelmäßig in Überlingen zu Gast ist und über die der SÜDKURIER bereits berichtet hat, hat Kontakte zum Ehepaar Kristina und Anatoli Moor sowie Achim Niess und Mathias Tonigold hergestellt. Die vier sind geschäftlich miteinander verbunden und wollen dieses Jahr den Badischen Hof umbauen. Doch bis es soweit ist, dürfen dort nun ganz unkompliziert vorübergehend Menschen wohnen, die alles auf der Flucht zurücklassen mussten. Für manche ist es sogar nicht die erste Flucht vor einem Krieg.

Die Entscheidung, den Badischen Hof herzurichten und zur Verfügung zu stellen, sei sehr schnell gefallen. Der ehemalige Besitzer Hermann Schmeißer habe sie tatkräftig unterstützt. Die Flüchtlinge können nun zwei bis drei Monate im Badischen Hof bleiben. Kristina Moor versucht gerade alle Formalia wie Krankenversicherung mit dem Landratsamt zu klären. Das sei nicht so einfach, erzählt sie.

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Schwierige und dramatische Flucht

Aber wie genau gelangten die Familien nach Stockach? Kristina Moor erklärt, Maryna Perschel habe zum Teil den Transport organisiert. Die Leute hätten bereits an der Grenze auf die Ausreise gewartet. Manche seien aber auch mit dem eigenen Auto hergefahren. So erzählen Tatjana Kovalova und Irina Sitkova aus der Nähe von Odessa von ihrer dramatischen Flucht mit acht Kindern in zwei Autos. Das Ehepaar Moor übersetzt. Die Angst sei groß gewesen und an der rumänisch-ungarischen Grenze hätten sie sechs Stunden gewartet und seien nicht weitergelassen worden. Das Problem sei gewesen, dass drei der Kinder nur die Geburtsurkunden aber keine biometrischen Pässe gehabt hätten.

Die Lage mit der Polizei sei bedrohlich gewesen. Andere Autos seien umgekehrt, doch die beiden Mütter wollten nicht aufgeben, obwohl es Nacht und sehr kalt gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt seien sie bereits drei Tage lang unterwegs gewesen. Sie hätten geschrien, geweint und gebetet. Der sieben Monate alte Säugling habe ohne heißes Wasser für Brei nichts zu essen gehabt.

Schließlich hätten die Polizisten aus den angrenzenden Ländern die Schlagstöcke weggepackt und sie sogar umarmt. Die Vorgabe zu den Pässen sei zwischenzeitlich zurückgenommen worden und die Familien hätten letztendlich nach Ungarn einreisen dürfen. Dieser ganze Vorfall an der Grenze sei sogar in den ungarischen Medien live übertragen worden, erzählen die beiden Mütter. Sie seien dankbar für die Unterkunft in Stockach und dass ihre Kinder jetzt sicher seien. Viele Bekannte und Verwandte seien noch in der Heimat und würden sich dort in Katakomben verstecken.

Sie stellen den Badischen Hof zur Verfügung (v. li.): Achim Niess, Kristina Moor, Anatoli Moor, Mathias Tonigold. Unten an der Tür ist ...
Sie stellen den Badischen Hof zur Verfügung (v. li.): Achim Niess, Kristina Moor, Anatoli Moor, Mathias Tonigold. Unten an der Tür ist ein weißes Schild mit dem Spendenbedarf. | Bild: Löffler, Ramona

Die Erinnerungen lösen Tränen aus

Familie Furmann aus Kiew – eine Frau mit zwei Kindern und die Schwiegertochter mit zwei Kindern – hat deutsche Wurzeln. Mann und Sohn sind noch in der West-Ukraine und und leisten dort humanitäre Hilfe, erzählt die 50-Jährige auf Russisch, das dort gesprochen werde, während Kristina Moor übersetzt.

Die zweifache Mutter erinnerte sich unter Tränen an den 24. Februar zurück, als um 5 Uhr morgens die Fenster von Explosionen vibrierten. Ihre Schwiegertochter habe dann bei ihr angerufen und habe aus Erfahrung direkt reagiert und ihr gesagt, sie solle sofort packen. Die Schwiegertochter habe bereits einen Koffer mit den wichtigsten Dingen gerichtet gehabt.

Zuerst seien alle in die West-Ukraine, später über eine kirchliche Organisation nach Rumänien, wo sie aber nicht bleiben hätten können. Über Maryna Perschel gelangten die sechs schließlich nach Stockach. Die 50-Jährige weiß durch Kontakte, was momentan in ihrer Heimat passiert. Viele würden sich unterirdisch verstecken: „Zuerst wollen die Kinder nicht unter die Erde und jetzt haben sie Angst, rauszugehen.“

Vor dem Badischen Hof steht inzwischen dieses Schild. Darauf soll immer aktualisiert werden, was gerade an Lebensmitteln gebraucht wird. ...
Vor dem Badischen Hof steht inzwischen dieses Schild. Darauf soll immer aktualisiert werden, was gerade an Lebensmitteln gebraucht wird. Kleiderspenden kamen schon so viele, dass der Überschuss nun an das Rote Kreuz geht. ACHTUNG: Das Foto zeigt den Stand vom 7. März vormittags. | Bild: Löffler, Ramona

Was an Spenden gebraucht wird und was nicht

Die 20 Flüchtlinge leben sich nun langsam in Stockach ein. Sie seien schon wie eine Familie, sagt Anatoli Moor. Für die Kinder sei das Nebenzimmer des Badischen Hofs zum Spielzimmer umfunktioniert worden. Alle seien dankbar über die Hilfsbereitschaft, die sie hier erfahren. Einige Bekannte von Kristina Moor bringen Lebensmittel oder sogar Einkaufsgutscheine vorbei.

Spontan kommen auch andere Leute, beispielsweise am Montagvormittag ein Mann, der einen großen Karton Lebensmittel bringt. Er sei am Wochenende schon mal da gewesen, um Spenden zu bringen, und wolle noch mehr helfen, sagte er auf Nachfrage. Er habe das Schild mit dem Bedarf an der Tür gesehen und sei direkt einkaufen gegangen.

Am Wochenende ging bereits eine große Welle der Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge im Badischen Hof durch Facebook-Gruppen aus dem Raum Stockach. Am Ende kamen so viele Spenden, dass eine ganze Garage nun voll Kleidung ist und an das Rote Kreuz gehen wird, wie das Ehepaar Moor erzählt. Aber was wird jetzt noch gebraucht? Lebensmittel, Hygieneartikel und Geld für Öl, damit die Heizung läuft. Am Eingang steht ein Schild mit Zettelchen, auf denen die Flüchtlinge den Bedarf notieren und aktualisieren. Fragen werden per E-Mail an info@moor-apartments.de beantwortet.

Es sollen noch weitere Flüchtlinge kommen, aber der Platz im Badischen Hof ist belegt. Falls jemand eine freie Wohnung habe, könne er sich melden, sagt Anatoli Moor.