Ein großes Bauvorhaben im Himmelreich kündigt sich schon seit längerem an. Bislang ist allerdings nicht öffentlich geworden, welches Unternehmen sich im dritten Bauabschnitt des Gewerbegebietes ansiedeln will. Nun sind die beiden Unternehmer, die hinter dem Projekt stehen, an die Öffentlichkeit gegangen. Uli Kammerer und sein Sohn Christopher wollen mit ihrer Unternehmensgruppe nach Stockach ziehen. Damit werden mehrere Firmen von unterschiedlichen Standorten (siehe Kasten) in einem einzigen Neubau zusammengebracht. Dieser soll den Namen Euregio Medtec 2050 tragen, sagt Uli Kammerer. Die Investitionssumme beziffert er mit 18 bis 20 Millionen Euro, das Ziel sei, einen der modernsten Standorte der Medizintechnik zu schaffen. Der Baubeginn soll möglichst bald erfolgen, spätestens im nächsten Frühjahr. Der Umzug ist für Ende 2021 angepeilt.
Viele Menschen auch in der Region dürften Erfahrungen mit Produkten des Unternehmens gemacht haben, ohne es zu wissen. Denn das Kerngeschäft der Kammerer Medical Group ist die Herstellung von medizinischen Instrumenten, mit denen Chirurgen Implantate in den Körper einpflanzen. Uli Kammerer nennt Implantate für Wirbelsäule, Hüfte, Knie und Schulter als Beispiele. „Zehn Global Player teilen sich 85 Prozent des Implantate-Markts“, sagt er. Sieben dieser zehn Unternehmen seien wiederum Kunden bei ihnen. Die Implantatehersteller würden die Instrumente an die Operateure mitgeben: „Für jedes Implantat gibt es einen eigenen Instrumentensatz.“

Die Produkte müssen besonderen Bedingungen standhalten. Denn die Instrumente werden bei hohen Temperaturen sterilisiert. Die Materialien, aus denen sie bestehen, Metall und Kunststoff, dehnen sich dabei aber unterschiedlich aus, sagt Uli Kammerer. Dadurch sei bei herkömmlichen Techniken ein winziger Spalt entstanden, in dem sich Keime festsetzen könnten. Die entscheidende Innovation sei dann Helmut Weber gelungen, dem Gründer von Weber Instrumente mit Sitz in Emmingen, das heute zur Kammerer Medical Group gehört. Durch ein Verfahren der Vulkanisierung werde die Spaltbildung vermieden, sagt Kammerer. Und Bohrer des Unternehmens würden es schaffen, 300 Millimeter tief mit 1,8 Millimeter Durchmesser zu bohren – was extreme Präzision voraussetzt.
Medizinproduktegesetz wirbelt den Markt durcheinander
Die Unternehmen der Kammerer Gruppe sind in einem besonderen Markt aktiv, der in der letzten Zeit durch das neue Medizinproduktegesetz durcheinandergewirbelt wurde. Damit verbunden sind aufwendige Verfahren der Zertifizierung und Dokumentation, die manch ein kleines, hochspezialisiertes Medizintechnikunternehmen vor ernsthafte Probleme stellen. Die beiden Unternehmer schlugen daher den Weg ein, die Fertigungstiefe zu erhöhen. Damit ist gemeint, dass man mehr Fertigungsschritte im eigenen Unternehmen hält, statt Teile zuzukaufen, und so an Masse gewinnt.
Die Fertigungstiefe wolle man bei etwa 90 Prozent halten, sagt Christopher Kammerer. Vor diesem Hintergrund sei auch der Kauf des Zerspanungsbetriebs in Bodman nach dem Ruhestand von Norbert Drechsler zu sehen. So habe man eine eigene Zerspanungstechnik bekommen, sagt Christopher Kammerer. Die heutige Kammerer Medtec fertigt laut eigenen Informationen Dreh- und Frästeile für die Medizintechnik, Weber Instrumente in Emmingen stellt die Instrumente her. Auch Entwicklung und Forschung laufen im eigenen Betrieb.
All das soll nun zusammen mit Partnern an einem Standort konzentriert werden. Allein der Aufwand für den Materialtransport sei derzeit groß, wie Uli Kammerer erklärt. Für Stockach habe zum Beispiel gesprochen, dass es in der Region viele Arbeitskräfte mit Erfahrung in Dokumentation und Zertifizierung gebe, sagt er. Viele Mitarbeiter der Kammerer-Unternehmen kämen zudem ohnehin schon aus dem Landkreis Konstanz und dem Bodenseekreis. Und das Konzept der Stadt Stockach sei schlüssig und die Grundstücksgröße ideal gewesen, sagt Uli Kammerer. Denn man habe sich durchaus unter Gewerbeflächen in mehreren Orten umgesehen.
Langfristige Verträge mit Abnehmern sorgen für Zuversicht
Die Zuversicht für so eine große Investition nehmen die Unternehmer aus langfristigen Verträgen mit ihren Abnehmern und aus dem Wissen, dass das Unternehmen von den Kunden in immer mehr Zukunftsprojekte eingebunden wurde. Wenn man bei einem solchen Lieferantenentwicklungsprogramm dabei sei, sei das eine Auszeichnung, sagt Uli Kammerer. Auch der aufwendige Zulassungsprozess der Instrumente sorge für Kundenbindung: Wer die Dokumente dafür bereitstelle, sei nicht so einfach austauschbar, sagt Uli Kammerer. Von derzeit etwa 80 Arbeitsplätzen wolle man im ersten Bauabschnitt in Stockach auf 150 bis 180 kommen. Ein zweiter Abschnitt könnte die Zahl auf 250 erhöhen.
Ideen für weitere Innovationen haben die Kammerers auch schon. Am neuen Standort wollen sie intelligente Instrumente entwickeln, bei denen man Daten auslesen könne, so Christopher Kammerer. Dafür gebe es auch Zusammenarbeit mit mehreren Hochschulen, sagt sein Vater. Die Technik könnte beispielsweise dokumentieren, wie oft ein Instrument sterilisiert wurde, oder Operateure während des Eingriffs auf Fehler aufmerksam machen, so Uli Kammerer.