Wegen sexuellen Übergriff an einer geistig behinderten Klientin verurteilte das Schöffengericht Sigmaringen einen ehemaligen Auszubildenden zum Jugend- und Heimerzieher aus dem Kreisgebiet zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten zur Bewährung.
In der Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher
Aus der von Staatsanwalt Markus Engel verlesenen Anklage ging hervor, dass der 28-jährige Angeklagte nach dreijähriger Tätigkeit in der Eingliederungshilfe einer Stiftung im Oktober 2017 mit einer Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher begonnen hatte. Im Frühjahr 2018 soll es dann in seiner Wohnung zu den Taten gekommen sein. Der Angeklagte soll die geistig behinderte 28-Jährige geküsst, an Brust- und Oberschenkel angefasst und gestreichelt sowie dazu gebracht zu haben, ihn mit der Hand sexuell zu befriedigen. Auch eine geistig behinderte 17-jährigen Jugendliche soll er an der Brust und am Oberschenkel angefasst und geküsst haben. Aufgedeckt wurden die Taten als sich die 28-Jährige im Heim offenbarte, die Heimleitung die Vorfälle überprüfte und der Vater der 28-Jährigen im Mai 2019 Strafanzeige erstattete.
Heimleitung löst sofort den Vertrag
Die Heimleitung reagierte konsequent und löste den Ausbildungsvertrag sofort auf. Zum Auftakt der Verhandlung erklärte der Angeklagte in Begleitung seines Anwalts, dass alle Anschuldigungen falsch seien. Sowohl die Jugendliche wie die junge Frau seien nie in seiner Wohnung gewesen. Eine Heimerziehungspflegerin berichtete im Zeugenstand, dass sich die 28-Jährige ihr anvertraut habe und unter diesem Vorfall leide. Das Opfer benötige daher mehr Angebot, um sich abzureagieren.
Vater wurde durch Frage der Tochter aufmerksam
Die Befragung der 28-Jährigen erfolgte auf Antrag der Nebenklägervertreterin und von Staatsanwalt Engel unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Angeklagte wurde aus Gründen des Opferschutzes ebenfalls ausgeschlossen. Mit der Vernehmung zahlreicher weiterer Mitarbeiter der Einrichtung, eines Kriminalbeamten und dem Vater der 28-Jährigen wurde das Verfahren fortgesetzt. Der Vater berichtete, dass seine Tochter an jedem zweiten Wochenende zu ihm nach Hause komme. Dabei habe er von dem Vorfall erfahren, nachdem ihm seine Tochter mehrmals die Frage gestellt hatte: „Soll ich Dir ein Geheimnis verraten?“ Der Vater zeigte sich überzeugt, dass seine Tochter den Vorfall nicht erfunden habe. Über einen solchen Vorfall habe sie auch bis dahin zum ersten Mal erzählt. Der Vater des Opfers schloss seine Aussage mit dem Hinweis, dass seine Tochter nicht vor Gericht erscheinen wollte, weil sie Angst vor dem Angeklagten habe.
Fachpsychologin ordnet Aussagen der Frauen ein
Breiten Raum nahm in der Verhandlung das Gutachten der Fachpsychologin Simone Bahlo (53 Jahre) vom Institut für Rechtsmedizin aus Tübingen über die Aussage-Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit der Opfer ein. Der 17-Jährigen bescheinigte die Sachverständige eine Beeinträchtigung der Intelligenz auf niedrigem Niveau. Auch eine Minderung vom autobiografischen Gedächtnis könne sie nicht ausschließen. Doch die Jugendliche sei durchaus in der Lage, Ereignisse wahrzunehmen, im Gedächtnis zu behalten und das dann eingeschränkt wiedergeben zu können. Bei der 28-Jährigen habe sie zwar fest gestellt, dass es bei ihren Angaben zu einer Vermischung ihrer Fantasie und der Realität gekommen sei. In der Verhandlung habe sie jedoch versucht, sich zu erinnern und abzurufen, was sie abgespeichert habe. Das Opfer sei aufgeklärt und verfüge über eigene sexuelle Erfahrungen. Sie habe Bindungsstörungen, die dazu führen können, dass sie Dinge gegen ihren eigenen Willen tue. Zwar könne sie vielleicht keine Details zum Ablauf der Tat schildern, doch es sei unwahrscheinlich, dass sie sich das alles allein ausgedacht habe. Bei der Frage der Wahrscheinlichkeit, wie viel ihrer Aussage von der Fantasie beeinflusst worden sei, verwies die Fachpsychologin auch darauf, dass es Hinweise dafür gebe, dass die Tat konkret geschehen sei. Ein Anhaltspunkt dafür sei beispielsweise, dass die 28-Jährige berichtet hatte, dass sie die Tür seinerzeit abgeschlossen habe. Dass das sexuelle Erlebnis jedoch zur einer Ausgestaltung ihrer Aussage führen könne, wollte die Sachverständige jedoch nicht ausschließen.
Bei den Angaben zur Person berichtete der bisher völlig unbescholtene Angeklagte, dass er mittlerweile eine kaufmännische Berufsausbildung mit Erfolg abgeschlossen habe. Er beklagte jedoch, dass es keinerlei Schutz-Mechanismen für die Mitarbeiter in den Pflege-Einrichtungen gebe. Wenn die Klienten eine Ortschaft weiter wohnen würden, wäre ein Kontakt mit ihnen auch nicht möglich.
Öffentlichkeit ausgeschlossen
Aufgrund der Gesetzeslage fanden auch die Plädoyers der Staatsanwaltschaft, der Nebenklägervertreterin und des Verteidigers des Angeklagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, bevor Richter Jürgen Dorner nach einer längeren Beratung das Urteil verkündete. Der Angeklagte erhielt wegen einem sexuellen Übergriff eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, die für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er muss auch die Kosten des Verfahrens und der Nebenklage bezahlen. Seinem Opfer, der 28-jährigen Frau wurde vom Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 2500 Euro plus Verzinsung zugesprochen. Vom Vorwurf der sexuellen Belästigung der Jugendlichen wurde der Angeklagte freigesprochen. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass es nicht erwiesen sei, dass es bei ihr zu einer Berührung mit sexueller Absicht kam.
Gericht hält Aussage der 28-Jährigen für glaubhaft
In seiner Urteilsbegründung verwies Richter Dorner darauf, dass es nach dem Gutachten der Fachpsychologin glaubhaft sei, was die Verletzte geschildert habe. Es gebe keinen Grund, warum die 28-Jährige das erfunden haben soll. Neben dem Schmerzensgeld für das Opfer habe man den Angeklagten auch zur Übernahme weiterer zivilrechtlicher Forderungen verurteilt. Gemeint sind damit die Behandlungskosten des Opfers, die bereits an den Sozialversicherungsträger abgetreten sind.