Nach vier Verhandlungstagen, der Vernehmung von sieben Zeugen, wobei als letzte Zeugin die Mutter des mutmaßlichen Opfers befragt wurde, hat das Schöffengericht einen 45-jährigen Mann vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Er war beschuldigt worden, sich im Februar 2020 an der Nichte seiner Lebensgefährtin vergangen zu haben. „Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass das vorhandene Beweismaterial nicht ausreicht“, erklärte Richter Jürgen Dorner, dass bei ihm und seinen beiden Schöffen zu viele Zweifel und Widersprüche nach der vielstündigen Verhandlung geblieben waren. „Es ist allerdings ein Freispruch mit Bauchschmerzen“, ergänzte Dorner, denn es gab durchaus Indizien, die für die Schuld des Beschuldigten sprachen. So blieb ungeklärt, wie die DNA des Mannes an den Slip des Opfers gekommen war.
„Kein Kontakt mehr mit der Schwester“
Am letzten Verhandlungstag wurde die Mutter mit einem Nachrichtenverlauf konfrontiert, die der Beschuldigte nach der Tatnacht an ihre Tochter geschickt hatte. Schon am ersten Verhandlungstag hatte Richter Dorner den Chatverlauf vorgelesen: „Es tut mir leid. Ich würde ihr nie so etwas antun“, hatte der Beschuldigte an die Tochter der Zeugin geschrieben und als Antwort erhalten: „Fahr zur Hölle“. Die Mutter bestätigte, dass sie das gelesen hatte. Dies könnte man als Entschuldigung für den Übergriff verstehen. Die Mutter relativierte aber diese Aussage mit dem Hinweis, dass der Beschuldigte sich nicht richtig ausdrücken könne. Seit jenem Tag hat sie keinen Kontakt mehr zu ihm und auch mit ihrer Schwester, der Lebensgefährtin des 45-Jährigen, herrscht seit Verhandlungsbeginn Funkstille.
„Die Familie zerbricht an den Ereignissen“
„Was könnte ihre Tochter dazu gebracht haben, bewusst eine falsche Aussage zu machen?“, fragte der Staatsanwaltsvertreter. „Das kann ich nicht sagen“, bestätigte die Mutter aber, dass die 18-Jährige vor Monaten ihre Anzeige zurückziehen wollte und mutmaßte, dass ihr wohl alles zuviel wurde. Sie habe in der Tatnacht von ihrer Tochter eine WhatsApp-Nachricht erhalten, diese aber nicht gelesen. Am Folgetag gab es ein Gespräch, wobei sie erstmals von dem Geschehen und dem mutmaßlichen Geschlechtsverkehr erfuhr. Ihre Tochter sei ein normales junges, aber verwöhntes Mädchen und man habe ein gutes Verhältnis. Derzeit befinde sie sich in einem Opferschutzprogramm und warte auch auf einen Therapieplatz. „Das ist alles mit Emotionen verbunden“, erklärte sie den Umstand, dass ihre zweite Tochter, die vor zwei Wochen als Zeugin aussagte, in einem Brief die Darstellung ihrer Schwester massiv anzweifelt. Jeder habe eine andere Meinung, fügte die 55-Jährige hinzu, dass die Familie an den Ereignissen zerbreche.
Öffentlichkeit wird bei den Schlussplädoyers ausgeschlossen
Richter Dorner ordnete eine fünfminütige Sitzungspause zum Corona-Fensterlüften an. Dann kam von der Staatsanwaltschaft der Antrag, die Öffentlichkeit bei den Schlussplädoyers auszuschließen. Dies sei rechtlich notwendig, da die Öffentlichkeit zuvor schon ausgeschlossen worden war. Es dauerte 35 Minuten, bis sich die Türen wieder öffneten und 20 Minuten später verkündete Richter Dorner das Urteil. Aus seiner kurzen Begründung war war zu entnehmen, dass Pflichtverteidiger Karl Abt in seinem Schlussplädoyer auch den Versuch unternommen hatte, eine Erklärung für die vermeintliche Falschaussage des Opfers zu liefern. Möglicherweise seien die Streitigkeiten zwischen der jungen Frau und ihrer Tante, von dem diese als Zeugin berichtet hatte, ausschlaggebend gewesen. Das Mädchen hatte vor der vermeintlichen Tat drei Jahre überwiegend im Haushalt der Tante gewohnt, weil sie nach Aussage der Mutter nicht mit ihr in eine andere Gemeinde umziehen wollte. Weil die Tante der jungen Frau strengere Regeln als im mütterlichen Haushalt vorgab, kam es öfters zu Auseinandersetzungen und möglicherweise wollte diese nun mit der Anzeige gegen den Lebensgefährten der Tante die Rückkehr zur Mutter beschleunigen beziehungsweise rechtfertigen.
Revision gegen Urteil ist noch möglich
Neben dem Freispruch verkündete Richter Dorner weitere Bestandteile des Urteils. Demnach übernimmt die Staatskasse die Kosten für das Verfahren, das heißt, der Beschuldigte hat finanziell keine Belastung. Anders sieht es hingegen bei der Anzeigenerstatterin aus. Hier urteilte das Schöffengericht, dass die 18-Jährige die Kosten für die von ihr beauftragten Anwältin zu bezahlen hat, die während der Verhandlung als Nebenklägerin agierte, um die Interessen ihrer Mandantin zu wahren. Diese Kosten könnten sich bis auf 1500 Euro summieren. Allerdings könnte es noch ganz anders kommen. Denn der Staatsanwaltsvertreter, der für den Beschuldigten nach Informationen des SÜDKURIER drei Jahre Haft ohne Bewährung gefordert hatte, könnte noch Revision gegen das Urteil des Schöffengerichts einlegen.