Der Corona-Ausnahmezustand wird für die Zukunft seine Spuren im Schulalltag hinterlassen, auch wenn die Pandemie längst beendet sein sollte. Das ist auf den Punkt gebracht das Ergebnis einer Pressekonferenz, zu der das Staatliche Schulamt Albstadt und das Regierungspräsidium Tübingen eingeladen hatten. Sowohl Schulamtspräsident Gernot Schultheiß als auch Regierungspräsident Klaus Tappeser gehen davon aus, dass die Digitalisierung an allen allgemeinbildenden Schulen durch die Erfahrungen der Coronazeit einen deutlichen Aufschwung erfahren hat, der auch die Zukunft bestimmen wird.
Digitales pädagogisch sinnvoll in den Unterrichtsalltag einbauen
Der Schulanschluss an die digitale Welt ist nicht allein eine technische Aufgabe. Auch die Lehrer müssen sich verstärkt Gedanken darüber machen, wie sie die neuen Möglichkeit pädagogisch sinnvoll in den Unterrichtsalltag einbauen können. Mit welchen Schwierigkeiten sich Schulleitung und Lehrer in den Wochen des erzwungenen Fernunterrichts gegenüber sahen, schilderte Hardy Fredrich. Der Pädagoge ist Hausherr an der Sigmaringer Theodor-Heuss-Realschule und gleichzeitig Sprecher der Sigmaringer Schulleiter.
Nachholbedarf in vielerlei Hinsicht
Das Grundsatzproblem sieht Rektor Hardy Fredrich nicht nur in den fehlenden oder völlig unzureichenden Breitbandanbindungen in der ländlichen Region. Auch psychologisch sieht er einen deutlichen Nachholbedarf. Er berichtete: „Zunächst mussten wir die Liste der E-Mail-Adressen der Eltern aktualisieren.“ Dabei zeigte es sich, dass viele Adressen für die elektronische Post veraltet waren und einige Eltern überhaupt keinen E-Mail-Anschluss hatten.
Fast noch schwerer wiegen Datenschutzbedenken mancher Erziehungsberechtigter. Beispielsweise lehnten es manche Eltern und Schüler ab, sich am Fernunterricht per Videoschaltung zu beteiligen. Fredrich: „Sie wollen sich nicht im Internet zeigen.“ Solche Widerstände machten nach den Erfahrungen des Sigmaringers allerdings nur einen kleinen Teil der Probleme aus. Gravierender sei die mangelnde technische Ausstattung in manchen Elternhäusern. So gebe es nicht überall die Möglichkeit, die von der Schule per E-Mail versandten Unterrichtsmaterialien auszudrucken. Die Mehrzahl der Eltern und Schüler haben sich nach den Beobachtungen des Schulleiters mit der neuen Situation allerdings abgefunden.
Familien haben zu wenige Endgeräte
Wie schwierig gerade die technische Seite für Eltern mit mehreren Schulkindern ist, machte Bärbel Göttling-Lebherz von der Ebinger Schalksburgschule deutlich: „Diese Familien haben zu wenige Endgeräte, wenn online alle Kinder zur gleichen Zeit lernen sollen und ein Elternteil auch noch im Homeoffice arbeiten soll.“
In Sigmaringen griffen die Schulen auf alle denkbaren Zustellmöglichkeiten zurück. Beispielsweise fuhren sie die Materialien per Fahrrad aus, andere Familien im großen Einzugsbereich der Realschule erhielten den Lernstoff mit der Post.
Die psychologischen Barrieren sind nicht nur bei Vätern und Müttern zu finden, sondern auch bei manchen Lehrkräften. Sie erfahren derzeit, wie sinnvoll und notwendig der Einsatz moderner Technik sein kann. Dabei mussten Pädagogen sehr viel Improvisationstalent beweisen. Denn vorgefertigte Lösungen aus dem Kultusministerium standen und stehen nicht bereit.
Völlig neue Problemstellungen
Die Digitalisierung ist eine Aufgabe, die die Kultusbürokratie und die Landesregierung noch einige Zeit beschäftigen werden. Derzeit stellen sich aber den Schulleitungen noch ganz andere und zwar ganz praktische analoge Probleme. Hier sieht sich das Schulamt als Ansprechpartner gefordert. Gernot Schultheiß: „80 Prozent der Telefongespräche, die meine Mitarbeiter führen, gelten der Beratung von Lehrern und Schulleitungen.“ Nach Ansicht des Albstädters sind die Schulen im Amtsbereich mit sehr wenigen Ausnahmen personell gut aufgestellt, um die Herausforderungen meistern zu können.
Ein Teil der Schüler hat Präsenzunterricht in der Schule
Derzeit besucht erst wieder ein Teil der Schüler den Präsenzunterricht in der Schule. Die geforderten Sicherheitsabstände erfordern jetzt in der Regel zwei statt nur einem Klassenzimmer. Solange noch nicht alle Schüler zum Unterricht kommen, spiele das Platzproblem keine Rolle. Wenn die Hygienemaßnahmen aber über den Sommer hinaus gelten sollten, sehen sich die Schulleitungen vor völlig neuen Problemstellungen. Nachmittags könne an Sigmaringer Schulen, so Fredrich, wegen der mangelhaften Busverbindungen nicht unterrichtet werden. Modelle wie tages- oder wochenweiser Präsenzunterricht müssten vor diesem Hintergrund diskutiert werden.