Über ihre schwarzes Oberteil fallen lodernd rot die langen Haare, die Lippen sind nicht weniger rot geschminkt. Alraune ist keine Gewöhnliche, wie man hier in der Region sagen würde. Ostern dieses Jahr haben die Textilkünstlerin und ihr Mann Hans Siebert im Gregoriushaus, einem früheren und vom Verfall bedrohten Pilgerhaus, ein privates Museum eröffnet.

Würste und Fleisch in rauen Mengen – ein Blick in die Metzgerei „Schweinesbein“. Doch warum kletterte Marie Schweinesbein auf die Theke ...
Würste und Fleisch in rauen Mengen – ein Blick in die Metzgerei „Schweinesbein“. Doch warum kletterte Marie Schweinesbein auf die Theke und steht mitten in der Käse-Auslage? Das ist auch ein Alraune-Rätsel. | Bild: Johanson, Kirsten

In der Metzgerei Schweinesbein

Einmal abgesehen von der Wohnung des Paares ist so gut wie jedes Zimmer des historischen Gebäudes ein Panoptikum, das Besucher staunen lässt. 22 Räume hat Alraune mit ihren Figuren fantasievoll in Szene gesetzt. Zu den Figuren kommen aus Stoff genähte Accessoires und Einrichtungsgegenstände. Schon allein die Fleisch- und Wurstauslage in der Metzgerei Schweinesbein ist sehenswert. Überhaupt: Anspielungen auf die Metzgerei gibt es immer wieder zu entdecken. Beim barocken Festmahl des Barons von Stoff kann es durchaus sein, dass eine Dame einen Fascinator aus Schweineohren auf dem Kopf trägt. Der Bogen für den Kontrabass ist eine Hartwurst und Schnitzel werden gebügelt.

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Nicht niedlich

Alraunes Privat-Museum ist weder ein Puppen- noch ein Spielzeugmuseum. Die Exponate – menschengroße, mit Polyester ausgestopfte Textil-Figuren – sind nicht in Vitrinen untergebracht. Es handelt sich bei ihnen nicht um süße Püppchen mit Schlafaugen und Schmollmund. Was Alraunes Nähatelier verlässt, ist nicht makellos, nicht geschönt – aber schaurig-schön. Doppelkinn, Warze, dunkle Augenringe, tiefe Falten und speckige Bäuche sind nichts Ungewöhnliches. „Meine Kunst-Menschen sind verwitterte Gestalten, gelebtes Leben ist ihnen anzusehen.“

Die Fritzy-Zwillinge zersägen einen Gourmet-Kritiker.
Die Fritzy-Zwillinge zersägen einen Gourmet-Kritiker. | Bild: Johanson, Kirsten

Spinnendompteur Tony Moreno, die Fritzy-Zwillinge, der Verwandlungskünstler Ottokar – zu jeder Figur gibt es eine skurrile Geschichte, eingerahmt und für die Museumsbesucher nachzulesen. Schwarzer Humor blitzt an allen Ecken und Enden durch, nicht nur bei Frau Doktor Kreuz-Rot und ihrem Hausmacher-Botox oder im Roulette-Salon mit berühmt-berüchtigten Zeitgenossen. Promi-Figuren näht Alraune allerdings selten. Von Angela Merkel sind nur noch Fotos zu sehen. Sie hat die 2006 entstandene Figur 2015 demontiert. Diese Freiheit nimmt sie sich. „Ich bin ein bisschen anarchisch“, lächelt sie. Eine Anstellung als Kostümbildnerin an einem Theater kann sie sich nicht vorstellen. „Nö“, winkt sie ab. Sie ist ein freiheitsliebender Mensch und behält die Fäden lieber in der eigenen Hand.

Alraune im Mops- und Mäuse Circus Minelli. Die aktuelle Ausstellung ist noch bis zum 19. Oktober geöffnet. Danach wird umgebaut zu ...
Alraune im Mops- und Mäuse Circus Minelli. Die aktuelle Ausstellung ist noch bis zum 19. Oktober geöffnet. Danach wird umgebaut zu „Alraunes wundersamer Senioren-Residenz“. Die neue Saison beginnt am Ostersonntag 2026. | Bild: Johanson, Kirsten

Viele Details zu entdecken

Was sie ausstellt, ist witzig, surreal und manchmal makaber bis unheimlich, sagt sie selbst. Sei es die Katze mit zwei Köpfen oder die Spinne mit Frauenkopf. Es gibt überaus viele Details zu entdecken. Den originalgroßen Ape – natürlich auch aus Stoff – kann man freilich nicht übersehen, aber es lohnt sich immer, genau hinzuschauen. Treffender als sie selbst kann man es wohl nicht zusammenfassen: „Alraunes weiche Anderswelt wächst zwischen Alltag und Irrsinn.“

Der Roulette-Salon.
Der Roulette-Salon. | Bild: Johanson, Kirsten

Zwischen Alltag und Irrsinn

Auf dem Rundgang dürfen die Besucher mit Stoffwürsten dekorierte Hüte ausprobieren, ein paar Zimmer weiter sind es Toupets der Frisörmeisterin Bäbberle. Das sorgt natürlich für Erheiterung. Fühl-Objekte unter Servierglocken laden im großen Saal zum Betasten ein, so etwa metallisch schimmernde Rollmöpse oder Brezeln aus Samt. „Mir geht es nicht darum, vordergründig witzige Szenerien zu gestalten. Bleibt jemandem das Lachen auch mal im Halse stecken, ist alles gut. Hinter der Fassade oberflächlichen Vergnügens tun sich unversehens Abgründe auf. Im Dahinter liegt das Eigentliche“, beschreibt Alraune ihr Anliegen.

„Mit der Alraunewelt aus Stoff verwirklicht sich Alraune selbst“, sagt Ehemann Hans Siebert.
„Mit der Alraunewelt aus Stoff verwirklicht sich Alraune selbst“, sagt Ehemann Hans Siebert. | Bild: Johanson, Kirsten