Jeden Tag geraten Flüchtlinge im zentralen Mittelmeer in Seenot. Meist legen die Boote in Libyen ab. Was die Menschen in die Arme von Schleusern treibt, sind Hunger, Arbeitslosigkeit, Folter, Naturkatastrophen und auch Kriege. Der Meßkircher Stadtrat und Unternehmer Thomas Nuding ist wieder von einem Einsatz als Seenotretter zurückgekehrt. Dieses Mal ging die Aktion der „Mission Lifeline“ von Licata aus ins maltesische Meer. Licata liegt südostlich von Agrigent auf der italienischen Insel Sizilien. Am 16. Juli war die neunköpfige Crew der „Mission Lifeline Search and Rescue“ in See gestochen, nachdem für die neuen Mitglieder Trainings stattgefunden hatten. Thomas Nuding ist Geschäftsführer einer eigenen NGO (Nichtregierungsorganisation), der Sarah-Seenotrettung. Sarah ist die Abkürzung für „Search And Rescue for All Humans“ und ist eine Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich für die zivile Seenotrettung engagiert. Weil die NGO kein eigenes Boot hat, fährt er bei anderen Organisationen mit.

Menschen fahren auf überbesetzten, kleinen Holzbooten übers Meer

Schon nach rund 20 Stunden auf der „Rise Above“, einem Sportboot zur Rettung von Geflüchteten, entdeckte die Crew ein sehr kleines Holzboot, das mit 37 Personen besetzt war. Mitten auf dem Mittelmeer in Richtung Lampedusa trieb das völlig überladene Boot. „Schnell war klar, wenn sich einer im Boot bewegt, kippt das gesamte Holzboot um“, schildert Thomas Nuding die dramatische Situation. Die Helfer verteilten sofort Rettungswesten und informierten die Behörden in Malta und Italien. Es stellte sich heraus, dass der Motor des Bootes überhitzt war und das Benzin im Rettungsboot knapp war.

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Behörden reagieren nicht

Die Weiterfahrt im Konvoi ist mühsam: Immer wieder muss der Motor gekühlt werden, immer wieder fällt einer der Geflüchteten kurz von Board. Die Weiterfahrt ist aber wichtig, um die italienische Rettungszone zu erreichen. „Keiner will die Geflüchteten“, erklärt Nuding. Es ginge um jeden Zentimeter auf dem Mittelmeer, keiner fühle sich für die Ertrinkenden zuständig. Oft warten die Retter stundenlang auf Antworten von Behörden.

Zusammengepfercht sitzen die Geflüchteten eng beieinander auf ihren Holzbooten. Die Boote drohen zu kentern, weil sie hoffnungslos ...
Zusammengepfercht sitzen die Geflüchteten eng beieinander auf ihren Holzbooten. Die Boote drohen zu kentern, weil sie hoffnungslos überladen sind. | Bild: Danillo Campailla

Schleuser schicken überfüllte Boote auf das Mittelmeer

Plötzlich taucht ein weiteres Boot auf, ein sehr kleines Holzboot. An Bord sind Frauen und Kinder. Auch dieses Boot droht zu kippen. Das Rettungsboot geleitet den Konvoi in die italienische Rettungszone nahe Lampedusa, wo die 57 Flüchtlinge von der italienischen Küstenwache übernommen und an Land gebracht werden. Nach einer kurzen Pause geht es weiter. Am darauffolgenden Tag, gegen 18 Uhr entdeckt die Crew ein Holzboot, das mit 63 Personen überfüllt ist und nur noch knapp über dem Meeresspiegel fährt. Die Situation an Bord beschreibt Nuding als „katastrophal“. Die drohende Nacht verschärft die Situation, durch die Schwimmwesten ist der Platz noch enger auf dem Boot. „Wenn einer rausfällt und das Boot weiterfährt, findest du diesen Menschen nie mehr“, sagt Thomas Nuding.

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Behörden an Land fühlen sich nicht zuständig

Eine Stunde lang versucht die Crew verzweifelt Hilfe von Italien oder Malta zu bekommen. Beide Küstenwachen schweigen. Eine Frau befand sich in einem psychischen und physischen Ausnahmezustand, vermutlich ein Trauma aufgrund ihrer Erlebnisse auf der Flucht. Die Crew entscheidet sich, die Geflüchteten an Bord aufzunehmen. Es sind völlig erschöpfte Männer, Frauen und Minderjährige aus Pakistan, Bangladesch, Marokko, Syrien, Ägypten, Äthiopien und Somalia. Eine weitere Person ist ebenfalls krank, spuckt Blut. Am nächsten Tag trifft die Bordärztin die Entscheidung zur Evakuierung von zwei Personen: die schwer traumatisierte Frau und ein Junge mit einer nicht behandelbaren Sepsis. Wieder versucht die Crew einen Hafen zu finden, wieder vergehen qualvolle Stunden des Wartens. Dann kommt die italienische Küstenwache und übernimmt zumindest die beiden Patienten.

Diese Flüchtlinge wurden vor dem Ertrinken gerettet und von der Crew mit Wärmefolien und Schwimmwesten ausgestattet. Im Hintergrund das ...
Diese Flüchtlinge wurden vor dem Ertrinken gerettet und von der Crew mit Wärmefolien und Schwimmwesten ausgestattet. Im Hintergrund das offene Meer. Sie waren mehrere Tage auf Holzbooten unterwegs. Über Schleuser sind sie von Libyen aus gestartet. | Bild: Danillo Campailla

Abgekartetes Spiel: Rettungsboot muss teuer desinfiziert werden

Für die Retter geht die Suche nach einem Hafen weiter. Währenddessen bricht die Dichtung an der Pumpe der Wasseraufbereitungsanlage. Der Wassertank leert sich, es bleibt nur noch der Flaschenvorrat, der für 69 Menschen reichen muss. Es folgten Streitgespräche mit Hafenmeister und Küstenwache, bis am 22. Juli abends die erlösende Nachricht kommt: Das Schiff darf in den Hafen Augusta einfahren als „Hafen der Sicherheit“ (Port of Safety). Um 4 Uhr morgens erreicht die „Rise Above“ die Küste bei Augusta. Bei Sonnenaufgang darf Thomas Nuding als Kapitän in den riesigen Industriehafen einfahren. Nach der Rettung will die Crew erneut ausfahren, um weitere Menschen zu retten. Der Hafenmeister von Augusta unterstellt der Crew, unter den Geflüchteten seien Corona-Fälle gewesen. „Das hat nicht gestimmt. Wir und auch das medizinische Personal der italienischen Regierung haben alle getestet“, erzählt Thomas Nuding. Vielleicht ein abgekartetes Spiel. Der Hafenmeister organisiert eine italienische Spezialfirma, die das Boot für rund 2000 Euro desinfiziert. Nach der Reinigung darf das Boot ausfahren. Vier Boote innerhalb 36 Stunden, die Crew benötigt eine Pause und will nur noch mal kurz tanken.

Bild 3: 100 Menschen vor dem Ertrinken gerettet: Meßkircher als Seenotretter auf dem Mittelmeer
Bild: Danillo Campailla

Mission endet leider früher als geplant

Beim Tanken geht allerdings der Getriebeschalter kaputt. Eine weitere Ausfahrt ist dadurch nicht mehr möglich. „Unsere Mission wurde dann früher beendet, als geplant“, bedauert der Meßkircher. Ziel sei es aber, wieder nach Licata zurückzukehren. Tag für Tag würden auf dem Meer Menschen ertrinken. „Die Gleichgültigkeit der Menschen ist schlimm“, kritisiert er die Menschen in Deutschland. Viele würden die Rettungsaktionen und auch sein persönliches Engagement gut finden, die Spendenbereitschaft sei aber gering, bedauert Nuding. Viele Deutsche würden auf hohem Niveau jammern, leben aber im absoluten Überfluss und Wohlstand. Zeitgleich ertrinken auf dem Meer Tag für Tag Menschen. Thomas Nuding und seine Organisation, die Sarah-Seenotrettung hoffen, bald ein Boot kaufen zu können.