Schwungvoll greift Kristina Halcinova nach ihrem Schrauber. Dann federt sie leichtfüßig Tritt für Tritt die Leiter hinauf aufs Dach. Auf fünf Metern Höhe überblickt sie die Dächer von Bichtlingen, während sie auf dem Dach des Hauses im Talweg arbeitet. Höhenangst ist für sie kein Thema – sonst hätte sie diese Ausbildung gar nicht begonnen. Die Sonne scheint, und heute wird das Dach aufgerichtet. Kristina Halcinova ist im zweiten Ausbildungsjahr zur Zimmerin und die erste Frau, die beim Meßkircher Unternehmen Holzbau Schweikart diese Ausbildung absolviert.
Traum von handwerklicher Ausbildung
Kristina Halcinova, von allen nur Krisi genannt, ist 20 Jahre alt und hat einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen. Ursprünglich stammt sie aus der Slowakei. Vor zehn Jahren kam sie nach Deutschland, besuchte das Gymnasium in Mengen, spielte in ihrer Freizeit leidenschaftlich Fußball – immer mit den Jungs, auch auf hohem Niveau, wie sie betont. Doch ein Kreuzbandriss beendete abrupt ihre sportliche Karriere. „Das Sportabitur konnte ich auch nicht mehr machen.“ Stattdessen entschied sie sich für eine Ausbildung zur Zimmerin.
Schon als Teenie auf dem Bau
Baustellen sind ihr vertraut – bereits als Teenagerin arbeitete sie mit ihrem Vater zusammen auf dem Bau. „Ich wollte unbedingt etwas Handwerkliches machen, etwas, das mir Spaß macht“, sagt sie entschlossen. Ihre Eltern, beide in praktischen Berufen tätig, unterstützen sie dabei. „Meine Mutter war früher Konditorin und arbeitet jetzt als Altenpflegerin. Mein Vater ist gelernter Schlosser und auf dem Bau tätig. Sie finden es großartig, was ich mache.“
Zusage von Holzbau Schweikart
Doch der Weg zur gewünschten Ausbildung war nicht einfach. „Ich wollte sofort anfangen“, betont Kristina. Ein anderer Betrieb hatte ihr zwar eine Zusage geschickt, allerdings erst für das nächste Jahr. „Das Warten kam für mich nicht in Frage“, schildert sie. Über die Sozialen Medien stieß sie auf Holzbau Schweikart in Meßkirch. „Ich habe dort angerufen und konnte zwei Stunden später vorbeikommen. Am Abend hatte ich schon die Zusage in der Tasche.“ Diese schnelle Reaktion bestärkte sie in ihrer Entscheidung.
Ein körperlich anstrengender Job
Ihr Ausbildungsleiter bei Schweikart, Ralf Buck, gibt zu, anfangs skeptisch gewesen zu sein. „Es ist ein harter Job. Ob das körperlich für eine Frau machbar ist, war die große Frage.“ Doch die 20-Jährige überzeugte schnell. Ihre Noten waren hervorragend, und sie zeigte von Anfang an, dass sie die körperlichen Anforderungen meistern kann. „Wir achten natürlich darauf, dass sie nicht die schwersten Lasten hebt, aber ansonsten macht sie alles wie die anderen auch“, berichtet Buck. Besonders beeindruckt ist er von ihrer Auffassungsgabe: „Kristina denkt mit. Wenn sie etwas lernt, versteht sie es sofort. Bei den Jungs muss ich öfter erklären.“
Sie ist voll integriert
Im Betrieb wird kein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Auszubildenden gemacht. Das Arbeitsklima ist familiär, der Ton oft rau, doch die junge Frau passt sich an. „Die ersten paar Wochen waren die Jungs vielleicht etwas zurückhaltend, aber das hat sich schnell gelegt“, sagt Buck. „Heute ist sie voll integriert“. Das bestätigt auch die 20-Jährige: „Ich fühle mich hier sehr wohl, und wenn ich Hilfe brauche, bekomme ich sie.“
Vorurteile noch präsent
Pressesprecher Udo Steinort von der Handwerkskammer Reutlingen sagt auf Anfrage, dass der Frauenanteil in der Zimmererausbildung im Kammerbezirk langsam wächst. Aktuell sind 25 von 290 Auszubildenden weiblich. Im Landkreis Sigmaringen allerdings verharrt der Frauenanteil seit Jahren auf konstant niedrigem Niveau. Aktuell sind es zwei Frauen in Ausbildung – genauso viele wie vor zehn Jahren. „Vorurteile und tradierte Denkmuster sind immer noch präsent“, teilt Steinort mit.
Es bewerben sich wenig Frauen
Das Handwerk wirbt intensiv um Nachwuchskräfte. Die Kammer beteiligt sich am Projekt „Ausbildungsbotschafter“, bei dem Azubis an Schulen über ihren Alltag berichten. Seit etwa einem Jahr wird im Kammerbezirk ein Mentorinnen-Netzwerk aufgebaut.
Viele Betriebe haben noch nie eine Frau ausgebildet. „Es gibt immer noch Vorbehalte, vor allem wegen der körperlichen Anforderungen“, sagt Ralf Buck. Matthias Binder, Ausbilder bei Alber Holzbau in Meßkirch, ergänzt: „Wir freuen uns über Frauen im Handwerk und haben auch schon eine ausgebildet, aber es bewirbt sich gerade einfach keine.“
Frauen bringen neue Sichtweisen
„Die Bereitschaft der Betriebe ist durchaus da, nicht nur wegen der schwierigen Situation auf dem Ausbildungsmarkt“, sagt Binder. „Eine Frau frischt das Betriebsklima positiv auf und bringt neue Perspektiven mit.“
Praktikum hilfreich
Kristina Halcinova zeigt, dass die Branche im Handwerk profitiert, wenn mehr Frauen den Mut haben, aufs Dach zu steigen. „Ich würde jeder jungen Frau raten, einfach mal ein Praktikum zu machen“, ermutigt sie. „Man muss es ausprobieren, dann merkt man schnell, ob es das Richtige für einen ist.“ Für sie sei es die beste Entscheidung gewesen. „Das Gefühl, oben auf dem Dach zu stehen und zu sehen, was man geschafft hat, ist unbeschreiblich.“
Reinschnuppern hilft bei der Entscheidungsfindung
Für junge Menschen, die sich noch unsicher sind, ob das Handwerk der richtige Berufszweig ist, ermöglichen Praktikumstage vom 14. bis 31. Oktober Einblicke in verschiedene Handwerksberufe. Auch während der Schulzeit kann nach Absprache daran teilgenommen werden. Weitere Infos und Anmeldung: praktikumswoche.de/sigmaringen
- Auf der Website der Kreishandwerkerschaft Sigmaringen sind 13 Innungen aufgeführt, die ausbilden. Die Kreishandwerkerschaft bietet eine zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung von Ausbildungsplätzen. Auf www.handwerk.de/infos-zur-ausbildung finden sich ausführliche Profilbeschreibungen. Persönliche Einblicke in Handwerksberufe bietet der Instagram Kanal www.instagram.com/dashandwerk
- Im ersten Lehrjahr verdienen Auszubildende im Bauhandwerk zwischen 800 und 1100 Euro brutto, im dritten Lehrjahr bis zu 1500 Euro. Die Karrieremöglichkeiten sind breit gefächert: Nach der Ausbildung kann eine Weiterbildung zum Meister oder Techniker erfolgen. Der Meistertitel ermöglicht nicht nur die Selbstständigkeit, sondern auch Führungspositionen in größeren Betrieben.
- Um mehr Frauen in handwerkliche Berufe zu integrieren, unterstützt die Kreishandwerkerschaft Sigmaringen durch Mentoringprogramme. Berufserfahrene Meisterinnen und Unternehmerinnen begleiten weibliche Auszubildende bis zu sechs Monate.