Im Rahmen der Interkulturellen Wochen hat die evangelische Kirchengemeinde von Meßkirch zu einem Gottesdienst in den Paul-Gerhardt-Saal eingeladen. Pfarrerin Anja Kunkel und Prädikantin Mechthild Grau sowie die Organistin Natalia Gries freuten sich über einen vollen Saal mit Besuchern. „Alte Heimat – Ankommen – neue Heimat?“, lautete das Motto dieser besonderen Veranstaltung, bei der Menschen unterschiedlichster Herkunft über ihre Erfahrungen sprechen konnten.

Flucht und Vertreibung prägten Nachkriegszeit

Im Gottesdienst erinnerte die Pfarrerin zunächst an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Flucht und Vertreibung lange Zeit den Alltag prägten. Es gab Neuankömmlinge, die alles verloren hatten, und die überlebenden Alteingesessenen, die mit den Flüchtlingen überfordert waren, weil sie selbst damit zu tun hatten, ihr Leben neu zu ordnen. Dazu kam die Angst der einen, als Eindringlinge abgelehnt zu werden, und die der anderen, das, was man noch sein Eigen nennen konnte, teilen zu müssen. Situationen, die sich derzeit so überall auf der Welt, aber im Strom der Zeiten immer wieder abspielen würden. „Es ist oft fast schon der Normalfall, aus der Heimat wegzumüssen“, sagte Kunkel.

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Heimat und Heimatlosigkeit ziehen sich durch die Menschheit

Auch durch die Geschichte der Menschheit ziehe sich das Thema Heimat und Heimatlosigkeit wie ein roter Faden, denn Heimat habe immer etwas mit Herz und Gefühl, aber ganz bestimmt immer mit Erinnerungen zu tun. Gerüche, bestimmte Speisen, eine Melodie – solche Wahrnehmungen würden sich unauslöschlich eingraben und bei einer Reaktivierung schmerzlich Vermisstes wachrufen. Die einzige Heimat, die einem niemand nehmen könne, sei die Glaubensheimat, so die Pfarrerin. „Das Gefühl der Herzensvertrautheit mit Gott kann überall hin mitgenommen werden“. Es würde Heimatgefühle schenken, egal, wohin einem das Schicksal verschlagen hat und diese Vertrautheit sei, da in Herz und Seele verankert, sozusagen verlust- und diebstahlsicher. Nichtsdestotrotz sei der gewaltsame Verlust der physischen und psychischen Heimat ein Trauma, egal ob Krieg oder wirtschaftliche Not der Grund hierfür waren.

Benjamin Amosa aus Nigeria (links) und Ayouba Atarigbe aus Togo berichten über ihre Erfahrungen mit Integration, Heimatverlust und dem ...
Benjamin Amosa aus Nigeria (links) und Ayouba Atarigbe aus Togo berichten über ihre Erfahrungen mit Integration, Heimatverlust und dem Finden einer neuen Heimat. | Bild: Susanne Grimm

Geflüchtete berichten aus ihren Erfahrungen

Mit Andreas Schmidt aus Kasachstan, Valeria Volkova aus der Ukraine, Ayouba Atarigbe aus Togo und Benjamin Amosa aus Nigeria ließ Anja Kunkel vier Menschen zu Wort kommen, die aus unterschiedlichen Gründen ihre neue Heimat entweder ganz oder vorübergehend in Deutschland gefunden haben. 1995 kam der heute 35-jährige Andreas Schmidt mit seiner Familie aus Kasachstan. Er berichtete, wie er damals als Achtjähriger den Verlust seiner Heimat empfunden hat. Als Kind hatte er kein Mitspracherecht, als die Spätaussiedlerfamilie beschloss, in das Land der Vorfahren überzusiedeln. Alles, was ihm vertraut war – Freunde, Umgebung, Sprache – alles war weg. Es gab keine Sprachklassen oder Integrationskurse wie heute. „Zwei Jahre habe ich gebraucht, um die Sprache zu sprechen und innerlich anzukommen“.

Integration über Vertrauensperson in Meßkirch

Prädikantin Mechthild Grau befragte Benjamin Amosa, wie es für ihn war, in Deutschland anzukommen. Der Nigerianer schilderte in kargen Worten seine Odyssee als „schwierigen Weg nach Europa“. Über viele Stationen sei er schließlich 2018 in Meßkirch gelandet und habe hier eine Vertrauensperson gefunden, die ihm bei der Integration geholfen habe. Heute spielt er im Meßkircher Fußballverein und hat bei der Firma Irßlinger Arbeit gefunden. Wie Mechthild Grau sagte, wolle er nicht zu seinen Fluchtgründen gefragt werden, die Erinnerungen seien zu schmerzhaft. „Nur so viel: Sein Vater und seine Schwester sind getötet worden“.

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Die Sprache als Schlüssel zur Integration

Ayouba Atarigbe kam 2015 über Bayern nach Sigmaringen. Er berichtete vom Glück, in diesem Jahr seine Mutter in Togo besuchen zu können, doch das Glück sei überschattet gewesen vom Tod seines Vaters. „Ich habe meine Familie seit 2015 nicht mehr gesehen. Es tut mir weh, dass ich meinen Vater nicht mehr sehen konnte“, sagte er mit belegter Stimme. Auf die Frage, was ihm hier geholfen hat, Fuß zu fassen, sagte er: „Die Sprache zu erlernen hat mir geholfen“. Er habe die Sprachklasse in der Berta-Benz-Schule besucht, konnte eine dreijährige Ausbildung als Straßenbauer machen und habe nun einen festen Arbeitsvertrag bekommen.

Ukrainerin baut Vorurteile ab

Für die 21-jährige Valeria Valkova ist alles noch ganz neu. Die Ukrainerin sprach auf Russisch, von Andreas Schmidt ins Deutsche übersetzt, über ihre Flucht vor dem Krieg in ihrem Heimatland, der Hoffnung auf einen Sieg ihres Landes und Angst vor den Deutschen, die sie für kalt und streng gehalten hatte. „Die Wärme und das herzliche Willkommen, dass ich hier erfahren habe, hat mich überrascht und sehr gefreut“. Alles sei hier eine Herausforderung, die Sprache, die Schrift, was selbst das Einkaufen schwierig mache. Sie will nicht einfach abwarten, bis der Krieg vorbei ist, sondern die Zeit nutzen. „Ich will hier Kultur und Traditionen kennenlernen und mich weiterentwickeln“.

„Ich hatte Angst vor Deutschland“Valeria Volkova aus der Ukraine
„Ich hatte Angst vor Deutschland“Valeria Volkova aus der Ukraine | Bild: Susanne Grimm

Mitgestalterin dieser Veranstaltung waren neben der Organistin Natalia Gries, die aus Lettland stammt und mit eigenen Beiträgen zum Gelingen des Abends beitrug, auch Alexandra Litwin und Larissa Rektha, beide aus der Ukraine. Sie rundeten die Veranstaltung mit Gesang, Klavier- und Geigenspiel ab.