Viele ältere Menschen erzählen mir in den letzten Wochen von ihren eigenen, schmerzhaft erlebten Erinnerungen und Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg. Das Bedürfnis darüber zu reden ist groß. Als Kriegskinder haben sie Bombardierung, Gewalt, Flucht, Hunger und oft auch den Tod ihrer Väter oder anderer Familienangehöriger erleben müssen. Welche nachhaltigen und traumatischen Erfahrungen das für Familien bedeutet, ist bis heute zu spüren. Nicht verarbeitete Trauer, Schmerz und Ängste werden oftmals auf die nachfolgende Generation übertragen.
In einem Artikel vom 9. März berichtet der SÜDKURIER über das Kindheitstrauma von Wladimir Putin. Das rechtfertigt in keinster Weise sein brutales Vorgehen in der Ukraine, doch macht die transgenerationale Perspektive deutlich, was traumatische Erfahrungen an neuem Leid über Generationen hinweg auslösen können. Gerade deshalb fühlen und leiden sehr viele ältere Menschen in diesen Tagen besonders mit den Menschen und den Kindern in der Ukraine.
Aus der Geschichte nichts gelernt
Warum lernen wir nicht aus unserer Geschichte? Wie viel Schmerz löst dieser Krieg aktuell und für die nachfolgenden Generationen aus? Warum verstehen wir nicht, dass die seelische Gesundheit eines jeden Menschen Liebe, Sicherheit, Schutz, Freiheit und Frieden braucht?
Ein älterer Mann stellte mir letzte Woche die Frage: „Und wo ist in all diesem Leid Gott? Da kommt man schon ins Zweifeln.“ Sicher und zu Recht darf diese Frage gestellt werden. Mir hilft in diesem Punkt die zutiefst menschliche Erfahrung von Jesus in seinem Ruf am Kreuz: Mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Diese dunkelsten Erfahrungen sind ein Teil menschlichen Lebens. Diese Erfahrung hat auch Jesus gemacht. Und genau deshalb kann ich seinen anderen Worten glauben, die dem Leben und dem Heil der Menschen dienen. Sei es in der goldenen Regel: Alles war ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen oder im Doppelgebot der Liebe: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten, wie dich selbst.
Gewalt ist keine Lösung
Die Selbstverantwortung hat Gott uns gegeben, es gilt jetzt mit wachem Blick, langem Atem und großem Herz solidarisch zu sein mit Menschen, die Leid erfahren und auf der Flucht vor Krieg zu uns kommen. Haben wir den Mut sie aufzunehmen, ihnen zuzuhören und ihnen sichere Räume anzubieten. Halten wir aber auch die Hoffnung hoch, dass Gewalt nie eine Lösung sein kann, dass Krieg wieder und wieder seelische Verletzungen hervorruft.
Einfache Antworten gibt es nicht
Vielleicht ruft Gott uns in diesen Tagen zu: Mein Mensch, warum hast du mich und mein Versprechen auf ein Leben in Fülle verlassen? Gewiss eine provozierende Frage und einfache Antworten gibt es in diesen Tagen nicht.
Versuchen wir jedoch umzusetzen, was wir vom Leben und von der Botschaft Jesus verstanden haben. Schätzen wir trotz allem die Freude, die Kostbarkeit und die Schönheit menschlichen Lebens gerade in diesen Tagen der Fastenzeit. Wir wissen um den Karfreitag, wir wissen aber auch um Ostern!