Vor etwas mehr als fünf Jahren ist die Welt aus den Fugen geraten. Während sich die Deutschen in der Corona-Pandemie eine Schlacht um Klopapierrollen geliefert haben, hungerten die Bewohner einer ägyptischen Kleinstadt. Die gebürtige Pfullendorferin Jessica Rilli erlebte und überlebte die Pandemie in einem fremden Land mit einer fremden Kultur. Das sind ihre Erinnerungen.
Knochenjob Gastronomie
Jessica Rilli hat für ihre 33 Jahre schon viel gesehen von der Welt. Die gelernte Hotelfachfrau wollte weg von ihrer Heimatstadt, war Servicekraft in einem Vier-Sterne-Hotel in der Schweiz, war als Saisonarbeiterin für 50 Gäste eines Campingplatzes in Italien zuständig. Nebenher belegte sie Tauchkurse. Aber von der Gastronomie hatte sie bald genug. „Das ist ein harter Knochenjob für einen lächerlichen Lohn mit immer mehr unfreundlichen Gästen“, sagt Rilli über den Beruf, den sie eigentlich ihr Leben lang ausüben wollte. „Irgendwann hatte ich die Schnauze voll.“

Also suchte sich nach einer neuen beruflichen Erfüllung. Sie unterschrieb in München einen Ausbildungsvertrag für Büromanagement. Sie fing dort aber nie an. Denn im Sommer 2019, kurz vor dem Ausbildungsstart, war sie mit ihrer Mutter in Ägypten im Tauchurlaub, wo sie bei ihren vielen Tauchgängen im Roten Meer von der Basisleiterin einer deutschen Tauchschule angesprochen und gefragt wurde, ob sie sich nicht vorstellen könnte, sich in Ägypten zur Tauchlehrerin ausbilden zu lassen.
Traumhafter Start
Und so kam es. Vier Wochen nach ihrem Urlaub buchte Rilli ein One-Way-Ticket nach Ägypten. „Geplant waren anderthalb Jahre“ sagt Rilli. Die ersten Monate waren traumhaft: schönes Wetter, Palmen, Sandstrände, und freundliche Touristen, meistens deutsche Urlauber. „Aber es war trotzdem harte Arbeit – bei zwei bis fünf Tauchgängen pro Tag und einem freien Tag in der Woche“, so Rilli, die ein wenig arabisch lernte, um sich in ihrem Wohnort Safaga, einer Hafenstadt doppelt so groß wie Pfullendorf, mit den Bewohnern unterhalten zu können. Der Ort ist etwa 70 Kilometer von Hurghada entfernt. „Die Bevölkerung ist streng muslimisch, das Dorf hat aber wenig Infrastruktur.“
Was dann folgte, stand nicht auf dem Plan von Jessica Rilli: Der Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020, von der anfangs niemand wusste, wie lange sie dauert. Also blieb Rilli, die kurz zuvor ihre Ausbildung zur Tauchlehrerin erfolgreich beendet hatte, aber ihren Job plötzlich nicht mehr ausüben konnte. „Von heute auf morgen war hier alles dicht“, sagt sie.
Existenzen sind gefährdet
Ohne die Tausende von Touristen waren die Existenzen vieler Bewohner von Safaga gefährdet. Staatliche Zuschüsse wie in Deutschland gab es nicht. Es ging ums Überleben. „Grundnahrungsmittel wie Reis, Nudeln, Bohnen wurden immer knapper oder teurer, manche Leute waren fast am Verhungern.“ Es herrschte zudem ein Angelverbot, gegen das oft verstoßen wurde, um sich wenigstens von Fischen ernähren zu können.
Leid und Kummer
Ein guter Bekannter von ihr aus dem Dorf war nach wenigen Wochen abgemagert, weil er die Lebensmittel unter seinen fünf Kindern verteilen musste. Rilli selbst konnte auf ihre Ersparnisse zurückgreifen. Sie sah jeden Tag Leid und Kummer einer armen Bevölkerung, die sich mit der Situation aber abfand.
Keine Ausgangssperre
Anders als in Deutschland wurde in Safaga keine Ausgangssperre verhängt, sodass sie sich frei bewegen konnte. Es wurde streng darauf geachtet, dass die Maskenpflicht in öffentlichen Gebäuden eingehalten wurde, wenngleich sich viele Bewohner nicht einmal eine Maske für umgerechnet 50 Cent leisten konnten. „Da wurden Masken aus den Mülltonnen geholt, gewaschen und wieder getragen“, sagt Rilli, die im Kontakt mit ihren Bekannten in Deutschland war. „Ich konnte es nicht glauben, dass sie sich darüber geärgert haben, wegen Corona auf ihren Urlaub verzichten zu müssen.“
„Ich hatte Angst, dass er den Flug nicht übersteht.“Jessica Rilli, Tauchlehrerin in Ägypten
Und mit dem nächsten Flugzeug zurück nach Deutschland? Ging nicht. Denn Rilli hatte in der Zwischenzeit einen Straßenhund, dem sie den Rückflug im Frachtraum des Flugzeugs nicht zumuten wollte. „Ich hatte Angst, dass er den Flug nicht übersteht.“ Mit dem Ende der Pandemie kamen im Sommer 2021 wieder die Touristen. „Wir wurden förmlich überrannt“, sagt sie.
Auf Dauer keine Option
Das Leben in der Kleinstadt pulsierte wieder, doch Rilli merkte immer mehr, dass das Leben unter eingeschränkten Möglichkeiten auf Dauer keine Option für sie war. Arbeiten, am freien Tag nach Hurghada zum Einkaufen, Erholung zu Hause. „Viel mehr habe ich nicht gemacht und konnte man auch abseits der Touristenattraktionen nicht.“ Sie fühlte sich wie einer Blase – nur mit Palmen und Sonnenschein.
Zwei verschiedene Kulturen
Und so verabschiedete sich Rilli gedanklich immer mehr von Ägypten, fasste im Juni 2024 den Entschluss, trotz des Risikos, mit ihrem Straßenhund in ihre Heimat zurückzufliegen. Aus den geplanten anderthalb Jahren wurden es letztendlich fünf Jahre. Fünf Jahre, die ihr die Augen geöffnet haben, die ihr den Unterschied zweier völlig verschiedener Kulturen aufzeigten: die gläubigen Ägypter, die sich in Demut üben, und die Deutschen, die – so Rilli – „in einer krassen Konsumgesellschaft leben“.
Schritt in die Selbstständigkeit
Mittlerweile hat sich Rilli wieder an die deutschen Gewohnheiten und Gepflogenheiten gewohnt. Ihr erster Einkauf hatte sie überfordert, „weil es einfach alles gibt“. In Ägypten konnte in einem kleinen Tante-Emma-Laden das Notwendigste besorgt werden. Rilli wohnt aktuell in Herdwangen, hat sich als Haushaltshelferin selbstständig gemacht und einen Kundenstamm aufgebaut, der ihr ausreicht, um davon leben zu können. Nebenher jobbt sie noch gelegentlich als Servicekraft im Hotel Krone in Pfullendorf.
Ihre Zukunft lässt sie offen
Ob sie in Deutschland, in Herdwangen oder vielleicht in Pfullendorf sesshaft bleibt? „Das weiß ich nicht. Vielleicht versuche ich noch einmal etwas anderes aus, wobei meine Reisen durch den Straßenhund eingeschränkt sind.“ Eine Rückkehr nach Ägypten, um dort ihre berufliche Laufbahn fortzuführen, schließt sie aus. Einen Tauchurlaub aber nicht. Aber nur mit Hin- und Rückflug.