„Der Herrgott hat mir ein überaus langes Leben geschenkt und dafür danke ich ihm. Wenn er mich zu sich ruft, bitte ich ihn, zu bedenken, dass es kein Spaziergang war.“ Mit diesen Worten hat Josef Unger seine Familie und Freunde am 2. Dezember eingeladen. Gemeinsam feiern sie ein besonderes Fest: „Der Unger Sepp wird 100 Jahre alt“, wie es der Jubilar selbst formuliert.

Lokalreporter aus Leidenschaft

Zum Geburtstag gratuliert an dieser Stelle auch das SÜDKURIER-Team, denn „unser“ Josef Unger ist Lokalreporter aus Leidenschaft. Wenn ein Unfall passiert oder wie kürzlich die Ostrach wegen Hochwassers über die Ufer tritt, hat er seine Kamera schon im Anschlag. Für gute Motive hat der versierte Fotograf ein besonderes Auge – legendär sind seine Bilder vom Bannwaldturm, den er wie kaum ein anderer imposant in Szene setzt, und auch die Natur im Pfrunger-Burgweiler Ried hält er in all ihrer Schönheit immer wieder für die SÜDKURIER-Leser fest. Doch es sind nicht nur seine journalistischen Fähigkeiten, die Josef Unger zu einem Reporter par excellence machen, der auch über die Grenzen von Ostrach hinaus geschätzt wird. Es ist seine Liebe zur Heimat und ihrer Geschichte, die in vielen Texten durchscheint und den Lesern aus dem Herzen spricht. Es ist auch die große Verbundenheit zu seiner Heimatzeitung, die ihn als Journalisten auszeichnet: Für den SÜDKURIER berichtet er seit dem Jahr 1954.

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Diese Aufnahme zeigt den Jubilar mit einem besonderen Gepäckstück: Den Holzkoffer, mit dem er aus dem Zweiten Weltkrieg heimkehrte und den er bis heute aufbewahrt. | Bild: Familie Unger

Er wollte Pfarrer werden

In seiner gemütlichen Stube in Dichtenhausen lässt er im Gespräch mit dieser Zeitung sein langes, erfülltes Leben Revue passieren. Nicht von seiner Seite weicht an diesem Nachmittag der Kater seiner Enkelin, den Josef Unger liebevoll „Paulus“ nennt, wenngleich sein echter Name Bob ist. Geboren ist Josef Unger am 2. Dezember 1923 in Dichtenhausen. „Ich bin Inflationsware“, kommentiert er die historischen Verhältnisse mit dem ihm eigenen trockenen Humor. Ein Ei habe damals 150 Mark gekostet. Aufgewachsen ist er mit zwei Schwestern auf dem elterlichen Hof. Als Schüler hat er einen Traum: „Ich wollte Theologie studieren und Pfarrer werden.“ Doch das 1933 erlassene Reichserbhofgesetz der Nationalsozialisten macht seine Zukunftsvision zunichte. Landwirtschaftliche Betriebe müssen zwingend an den Erben übergehen; der Boden gilt als „unveräußerliches Gut“.

Mit 18 in den Krieg

18 Jahre jung ist Josef Unger, als er in den Zweiten Weltkrieg ziehen muss. Gerade hat er die Landwirtschaftsschule in Pfullendorf ...
18 Jahre jung ist Josef Unger, als er in den Zweiten Weltkrieg ziehen muss. Gerade hat er die Landwirtschaftsschule in Pfullendorf absolviert. | Bild: Familie Unger

So ist es die Landwirtschaftsschule in Pfullendorf, die Josef Unger besucht. Als er am letzten Schultag im Jahr 1942 nach Hause kommt, liegt auf dem Tisch ein Dokument, das sein Leben verändern wird: der Stellungsbefehl. Mit 18 Jahren zieht der Dichtenhausener in den Zweiten Weltkrieg; zunächst zur Ausbildung nach Frankreich, dann nach Russland, wo die Wehrmacht in den Trümmern von Stalingrad kapituliert hat. „Ich habe den Rückzug vom Dnepr bis nach Berlin durchgestanden“, schildert Josef Unger. Er berichtet von einem prägenden Kriegserlebnis im Jahr 1945 in Polen, von wo aus er Frankfurt an der Oder erreichen will. Unter eine Brücke sucht er gemeinsam mit Kameraden Schutz vor einem russischen Panzer, doch die Kugeln töten die anderen sieben jungen Männer; Josef Unger findet sich schwer verletzt im tiefen Schnee wieder. Er verbindet sich selbst und erreicht auf deutschen Fahrzeugen sein Ziel.

Schlimme Erlebnisse prägen ihn

Der grausame Krieg lässt den Verletzen trotzdem nicht aus seinen Fängen: Nach dem Aufenthalt im Reservelazarett in Sigmaringen, als sein Durchschuss sowie die Erfrierung beider Beine geheilt sind, muss er wieder einrücken. Von Dresden geht es nach Guben an der Neiße, wo auf der Ostseite die Russen bereits Panzer und Geschütze aufgefahren hatten. Von Ort zu Ort erfolgt der Rückzug – mit schrecklichen Eindrücken, die Josef Unger detailgetreu in einem zwölfseitigen Heft festgehalten hat. Darin ist auch nachzulesen, wie er nach Hungermärschen in Gefangenschaft gerät und erst im Jahr 1949 in seine Heimat zurückkehrt.

Seit 1954 freie Mitarbeit beim SÜDKURIER

Ehefrau Anna Unger starb im Jahr 2017. Unser Bild zeigt das Paar bei der Feier seiner Goldenen Hochzeit.
Ehefrau Anna Unger starb im Jahr 2017. Unser Bild zeigt das Paar bei der Feier seiner Goldenen Hochzeit. | Bild: Familie Unger

Sich nach all diesen schlimmen Erlebnissen wieder einzufinden in der Dorfgemeinschaft in Dichtenhausen, das ist nicht leicht für den jungen Mann. „Ich musste das Menschliche wiederfinden“, bekennt er. Das gelingt ihm durch die Kameradschaft in der Feuerwehr in Burgweiler und auch in anderen Vereinen. Josef Unger legt die Landwirtschaftsmeisterprüfung ab und übernimmt den elterlichen Hof. Ab 1954 beginnt ein besonderes Kapitel: Er wird freier Mitarbeiter beim SÜDKURIER. Mit der Schreibmaschine tippt er jeden Bericht; von einem Fotolabor werden die Bilder entwickelt. Den Lohn dafür gibt es vom Redakteur bar auf die Hand. Josef Unger ist trotz Landwirtschaft immer zur Stelle: „Als Heu eingefahren werden musste und es auf dem Höchsten gebrannt hat, bin ich natürlich zum Brand gefahren, um zu berichten“, schmunzelt er. Für technische Entwicklungen ist der 100-Jährige offen: Heute schreibt er seine Berichte auf dem Computer. Für das Fotografieren benutzt er eine Digitalkamera. Neben Artikeln verfasst er auch Schriften und Bücher. Besonders eindrucksvoll ist sein Engagement für die Partnerschaft zwischen Ostrach und dem französischen Étréchy. Bildet es doch ab, dass sich Josef Unger für die Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner einsetzt. Sein Engagement würdigte die Gemeinde mit einer Verdienstmedaille.