In Berlin gehört sie schon zum Alltag, in einigen weiteren Bundesländern ist sie ebenfalls schon da. In Hessen und Bayern wollen die Freien Wähler sie einführen. In Baden-Württemberg macht sich die SPD für sie stark – die gebührenfreie Kita. Im Südwesten stößt die gewünschte Kostenfreiheit auf das Nein der grün-schwarzen Landesregierung. Dabei haben Befürworter und Gegner gute Argumente für ihre gegenteiligen Positionen zur Streichung der Elterngebühren.
Diese Diskussions- und Argumentationslage spiegelt sich auch im Landkreis Sigmaringen wider. Kleine Gemeinden sehen sich außerstande, den Wegfall der Elternbeiträge aus ihren Mitteln auszugleichen. Sie verlangen, dass im Fall der Einführung der kostenlosen Vorschule das Land die Elternbeiträge übernimmt. Zwei Beispiele für solche Kommunen sind die Gemeinde Leibertingen auf dem Heuberg und die Gemeinde Bingen bei Sigmaringen. Bingen ist bislang der einzige Träger eines kommunalen Kindergartens im Kreis, bei dem zumindest das letzte Kindergartenjahr für die Eltern nichts mehr kostet.

Bürgermeister Jochen Fetzer rechnet vor: "Einschließlich der Kinderkrippe bekamen wir von den Eltern der Kinder von null bis fünf Jahren im vergangenen Jahr 87 000 Euro Gebühren. Durch das kostenlose letzte Kindergartenjahr mussten wir auf 20 000 Euro an Beiträgen verzichten." Dem stehe aber gegenüber, dass die Rathauskasse für die Kinderbetreuung im gleichen Jahr ein Defizit von insgesamt 580 000 Euro zu tragen hatte.

Der Rathauschef erklärt: "Das ist der Betrag, den wir nach Abzug der staatlichen Zuschüsse und der Elternbeiträge selbst stemmen müssen." Daraus resultiert für das Gemeindeoberhaupt die Erkenntnis: "Einen generell kostenlosen Kindergarten können wir nicht bezahlen." Auch im letzten Kindergartenjahr müssen zusätzliche Leistungen wie Mittagessen oder die Nutzung verlängerter Öffnungszeiten von den Eltern bezahlt werden.
Ähnlich argumentiert sein Leibertinger Kollege Armin Reitze. Seit einigen Jahren hat Leibertingen die bislang katholischen Kindergärten in Leibertingen und Kreenheinstetten in die kommunale Trägerschaft übernommen. Das Kinderhaus in Thalheim war schon immer kommunal. Wenn das Land meine, die Kindergärten sollten kostenlos sein, dann solle Stuttgart für die ausfallenden Elternbeiträge geradestehen.

Reitze betont: "Die Elternbeiträge decken nur zehn bis 13 Prozent der entstehenden Kosten." Die Beiträge für die Drei- bis Sechsjährigen summierten sich in der Drei-Dörfer-Gemeinde im vergangenen Jahr auf 80 000 Euro. Wie sein Kollege aus Bingen verweist der Leibertinger Bürgermeister auf das ohnehin von der Gemeinde auszugleichende Kindergarten-Defizit. "Das waren im Jahr 2017 350 000 Euro. Für 2018 erwarten wir einen Abmangel von 550 000 Euro", sagt Reitze.

Selbst Mitarbeiter von Kindergärten beurteilt die Kostenfreiheit in der Vorschule unterschiedlich. Nicole Kiesinger leitet den evangelischen Kindergarten in Stetten am kalten Markt. Im SÜDKURIER-Gespräch setzt sie sich für den kostenlosen Kindergarten ein. Ihrer Meinung nach sollte die Vorschule ohnehin vom dritten Lebensjahr an zur Pflicht für alle Jungen und Mädchen werden: "Dann wäre die Kostenfrage für die Eltern gelöst." Zumindest aber sollte das letzte Kindergartenjahr zur Pflicht werden.
Etwas differenzierter sieht Alfio Tomaselli diese Frage. Er ist Chef im katholischen Kindergarten im Stettener Ortsteil Frohnstetten und gleichzeitig Mitglied des Stettener Gemeinderats. Er verstehe das Anliegen der Eltern, versichert der Erzieher. Aber gleichzeitig würde der Wegfall der Gebühren viele Schwierigkeiten mit sich bringen.

An den katholischen und evangelischen Vorschuleinrichtungen in Stetten a.k.M. trägt die Gemeinde rund 80 Prozent der Kosten. Trotzdem müssten die Kirchen bei der Frage nach der kostenneutralen Vorschulerziehung natürlich ein Mitspracherecht haben, betont Tomaselli. Eine Übernahme der drei Einrichtungen in die völlige Trägerschaft der Kommune lehne er ab.
Mangel an Fachkräften
Ohnehin sieht der Frohnstettener das Hauptproblem aktuell im Mangel an Fachkräften und deren, aus seiner Sicht, unzureichenden Bezahlung. "Wir bilden zwar intensiv aus", so der Kindergartenleiter, "aber viele der Ausgebildeten machen danach mit dem Studium weiter und fallen für den Kindergartenbetrieb weg."

Christine und Stephan Spillecke aus Stetten a.k.M. sind in Sachen Kindergarten engagierte Eltern. Gleichzeitig gehört Stephan Spillecke zur Trägerorganisation des evangelischen Kindergartens und Christine Spillecke kann auf 17 Jahre Berufserfahrung als Erzieherin verweisen. Beide setzten sich für die Kostenfreiheit im Vorschulbereich ein.

Die hohen Gebühren belasteten die Familien bis weit in die Mittelschicht hinein, sagt Stephan Spillecke. Christine Spillecke formuliert einen anderen Akzent: "Kindergärten, die kein Geld kosten, sind ein klares Zeichen eines Landes, dass die Kita ein Teil der Bildungsbiografie ist. In der Schule erheben wir ja auch keine Gebühren."

Betreuungsquoten, Beiträge und Diskussionen
- Im Landkreis Sigmaringen gibt es 101 Kindergärten. Davon befinden sich nach Angaben des Kreisjugendamts 52 Einrichtungen in kommunaler Trägerschaft.
- Den Kindergärten sind insgesamt 63 Krippengruppen für Kleinkinder angeschlossen. Dazu gibt es im Landkreis zwei ausschließliche Krippen mit insgesamt vier Gruppen. Alles in allem werden zwischen Gammertingen und Herdwangen-Schönach mehr als 800 Kleinkinder betreut. Für 100 Jungen und Mädchen übernehmen Tageseltern die Betreuung.
- Im Bereich der Kinder unter drei Jahren beträgt die Betreuungsquote im Kreis Sigmaringen 25,3 Prozent. In der Region liegen nur der Bodenseekreis mit 29,5 und der Kreis Konstanz mit 32,1 Prozent höher.
- Die Kindergartenbeiträge stellen aus Sicht von Jugend-Fachbereichsleiter Hubert Schatz (Sigmaringen) kein Hindernis dar: „Es gibt definitiv keine Kinder, die aus finanziellen Gründen ausgeschlossen sind. Alle Kitas weisen die Eltern auf die Übernahmemöglichkeit der Kindergartenbeiträge über das Landratsamt hin.“
- Die Landes-SPD will mit einem Volksbegehren die gebührenfreien Kitas durchsetzen. Dazu sind zunächst 10 000 Unterschriften nötig, die die Partei bis Ende Januar 2019 landesweit sammeln möchte. Der Gesetzesentwurf der SPD sieht die Beitragsfreiheit in Baden-Württemberg mit 35 Wochenstunden vor. Damit wären sämtliche Gebühren im Vorschulbereich abgeschafft. Zur Umsetzung will die SPD den Kommunen pro Jahr 529 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt zur Verfügung zu stellen.
- Auch am Bodensee hat die SPD kürzlich Unterschriften gesammelt. Dabei haben zahlreiche Eltern den Vorstoß begrüßt. Auch im Friedrichshafener Gemeinderat wurde das Thema diskutiert. Die SPD kündigt an, zeitnah im Gemeinderat aktiv zu werden. Gaby Lamparsky (FDP) vertritt die Meinung der Kreispartei, nach der die Betreuung von den Eltern zu bezahlen sei. Aus Sicht der Bündnisgrünen und der ÖDP sind die Gebühren in der Bodenseestadt bereits heute niedrig, so Silvia Hiß-Petrowitz (ÖDP) und „sehr sozialverträglich gestaffelt“, so Gunthild Schulte-Hoppe (Grüne). Für CDU-Fraktionschef Achim Brotzer hat die Qualitätssicherung oberste Priorität. Er ist deshalb gegen den Beitragsverzicht. Die Freien Wähler können sich zwar ein kostenloses letztes Kindergartenjahr und unter Umständen den völligen Beitragsverzicht vorstellen. Fraktionschef Eberhard Ortlieb sagt aber: „Uns fehlen noch Fakten für eine Entscheidung.“ Die dürfe nicht unter Zeitdruck im Vorfeld der Kommunalwahl erfolgen. (hps/mom)