Bad Dürrheim – Im Jugendzimmer hingen sie über dem Bett, in der Studentenbude in der Küche, gelegentlich sieht man sie in den Wartezimmern kunstsinniger Ärzte, und nun erstrahlen sie neben blauen und roten Kühen, Pferden, Hunden, Katzen, Tigern und Füchsen, großformatig im Festsaal des Kurstifts: Willkommen in der äußerst farbenfrohen tierischen Bildwelt von Franz Marc (1880 in München – 1916 in Braquis bei Verdun, Frankreich), in der die Ikonen expressionistischer Kunst den passenden Rahmen zu Reinhard Lindenhahns Lesung aus seiner Romanbiografie „Franz Marc. In fünf Jahren zur Unsterblichkeit“ gaben.
Kurzweilig und detailreich vermochte der Bad Dürrheimer Autor die rund 60 interessierten Zuhörer in das kurze Leben Franz Marcs, einem der berühmtesten Maler des letzten Jahrhunderts, eintauchen zu lassen. Im Wesentlichen ging Reinhard Lindenhahn auf jene Passagen ein, in denen die Beziehung zu Marcs Künstlerfreunden August Macke, Wassily Kandinsky und Paul Klee beleuchtet wird. Er erläuterte die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Textauszügen, nannte einzelne Jahreszahlen und streifte kurz die wichtigsten Ereignisse. So war es für das Publikum immer möglich, das große Ganze im Blick zu behalten und nicht die Orientierung zu verlieren. Unterstützt wurde dies noch dadurch, dass der Referent während seines Vortrags passend zu seiner Lesung Bilder aus Marcs Leben und Werk an die Wand projizierte.
Was macht nun eine Romanbiografie aus? Der Autor hält sich in seiner Rahmenhandlung an die harten Fakten, die gelegentlich durch Originalzitate untermauert werden. So schrieb Marc an August Macke: „Ich halte es für einen wirklichen Glücksfall, endlich einmal Kollegen von so innerlicher, künstlerischer Gesinnung getroffen zu haben, – rarissime! Wie werde ich mich freuen, wenn es uns einmal gelingen sollte, Bild an Bild nebeneinanderzustellen. Eine Parole von unschätzbarem Wert, und sie soll für mich nicht weniger gelten als für Sie.“ Alles andere, und das zeichnet eben einen Roman aus, wird aus der Sicht Lindenhahns wiedergegeben: die Wohnsituationen, Marcs Interesse an den Tieren, der Umgang mit seinem Hund Russi, die Dialoge mit seiner Frau Maria und das Zusammentreffen mit seinen Käufern, vor allem seinem Mäzen Bernhard Koehler. „Wenige Monate später machte Koehler Marc ein überaus großzügiges Angebot: Für die Dauer von zwei Jahren wolle er Marc mit monatlich 200 Mark unterstützen und als Gegenleistung solle ihn dieser nach eigenem Ermessen durch ‚Bilder schadlos halten‘. Für den bis dahin relativ erfolglosen Marc war dies mehr als ein Hoffnungsschimmer“, ist im Kapitel „Eine Begegnung bringt den Wendepunkt“ zu lesen.
Bekannt ist, dass Marc und seine Frau notorische Schwierigkeiten im Umgang mit Geld hatten. Bei Lindenhahn wird daraus: „Es zerrann ihnen zwischen den Fingern, und immer wieder redeten sie sich ein, dass daran in erster Linie die teuren Farben Schuld hätten, die beide für ihre Gemälde benötigten – was teilweise ja auch stimmte, denn die Zinntuben, die sie nicht nur für die Plein-air-Malerei verwendeten, waren teuer; aber dafür trockneten die Farben nicht ein.“ Das alles zeigt: Lindenhahn interessiert sich tatsächlich für die Motive des Malers und lässt den berühmten Maler sein Bild „mit den vier riesigen roten Pferden, die in sich versunken auf einer gelben Wiese standen“ betrachten. Wenn der Mensch versagt, muss sich der Maler eben der Tierwelt bedienen. Marc fragt sich: Wie sieht ein Pferd die Welt? Diese Sicht dauerte nicht lange: „Der blaue Reiter ist gefallen (...). Er war der, welcher die Tiere noch reden hörte; und er verklärte ihre unverstandenen Seelen.“ Mit den Worten der Schriftstellerin Else Lasker-Schüler über Franz Marc, 9. März 1916, beendete Reinhard Lindenhahn seine Lesung.