Lutz Rademacher

„Mich schockt nichts mehr“, sagt er. Deutlich schmaler ist er geworden, doch sein Blick strahlt Ausgeglichenheit und innere Zufriedenheit aus. Im Alter von 48 Jahren hat der Unterbränder Stefan Chares als erster Deutscher in der Geschichte nach den Aufzeichnungen der „International Ultra Triathlon Association“ (IUTA) einen 20-fachen Ultratriathlon in der One per day-Version bis zum Ende durchgestanden.

Stefan Chares bei der Siegerehrung. Als erster Deutscher hat er einen 20-fachen Ultratriathlon bezwungen.
Stefan Chares bei der Siegerehrung. Als erster Deutscher hat er einen 20-fachen Ultratriathlon bezwungen. | Bild: Katrin Meier

Das sind 20 Ironman-Distanzen an 20 Tagen, insgesamt 76 Kilometer Schwimmen, 3600 Kilometer Radfahren und 844 Kilometer Laufen. Von elf Startern in dieser Disziplin sind sechs durchgekommen, hinter ihm ein weiterer Deutscher. In 267 Stunden, 39 Minuten und 31 Sekunden belegte er den fünften Platz beim diesjährigen Swiss-Ultra.

20 Tage unter 14 Stunden

Doch weder Zeit noch Platz standen für Stefan Chares im Vordergrund. Er hatte sich drei große persönliche Ziele gesetzt. Über allem stand natürlich, nach 20 Tagen über die Ziellinie zu laufen, immer unter 14 Stunden zu bleiben und den Marathon immer durchzulaufen. All das hat er erreicht, und noch mehr. Im Schwimmen war er bis auf einen Durchgang immer der Schnellste, auch im Vergleich zu den Teilnehmern der parallel laufenden Wettbewerbe im fünf- und zehnfachen Ultratriathlon. Das brachte ihm schnell den Spitznamen „Delphin“ ein.

Noch ist Stefan Chares guter Dinge. Doch es hört nicht auf zu regnen – und später steht das Wasser steht auf der Straße.
Noch ist Stefan Chares guter Dinge. Doch es hört nicht auf zu regnen – und später steht das Wasser steht auf der Straße. | Bild: Katrin Meier

Doch zunächst war eine gute Vorbereitung angesagt. „Wie kann ich im täglichen Wettkampfgeschehen immer die gleiche Leistung abrufen?“, hieß die Herausforderung. Dabei fing Stefan Chares schon früh an, an den einzelnen Disziplinen zu feilen. Auf der Rolle im heimischen Wohnzimmer wurde an der Sitzhaltung auf dem Fahrrad experimentiert.

Raus aus dem Wasser und ab aufs Rad.
Raus aus dem Wasser und ab aufs Rad. | Bild: Katrin Meier

Es galt, Aerodynamik mit einer komfortablen Haltung in Einklang zu bringen. Die Trittfrequenz wurde zugunsten des Bewegungsapparates angepasst, um beim anschließenden Laufen eine bessere Performance zu zeigen. Mit etwa 100 Laufkilometern pro Woche lag das Hauptaugenmerk auf dem Laufen, meist auf der Bräunlinger Marathonstrecke, verbunden mit Krafteinheiten auf der Hangstrecke des Kirnbergsees.

Kirnbergsee ist ideal

Und nicht zuletzt das Schwimmen, im Winter im Villinger und Hüfinger Hallenbad sowie im Sommer im Kirnbergsee. Das Training wurde mit einem Motto unterlegt – zum Beispiel Gleiten, Arm- oder Beintechnik, Atmen. Ziel war es, effizient zu schwimmen mit geringem Energieverlust. Der Kirnbergsee als offenes Gewässer eigne sich dafür hervorragend. „Hier in meiner Heimat finden sich mit die besten Trainingsbedingungen und gleichzeitig ist es nirgends so schön wie hier“, schwärmt Stefan Chares.

Stefan Chares auf dem Rad.
Stefan Chares auf dem Rad. | Bild: Katrin Meier

Im August ging es dann nach Buchs/Rheintal in der Schweiz. Am ersten Tag blieb Stefan Chares sogar unter 13 Stunden. Doch Regen durchnässte nach kurzer Zeit selbst die beste Regenkleidung. Die Haut weichte als Folge auf und nach zwei Tagen hatte er mehrere dicke, aufgeplatzte Blasen an den Zehen, die bei jedem Schritt schmerzten. Probate Mittel dagegen waren Einreiben mit Vaseline, die Schuhe aufschneiden, nach jedem halben Marathon ein Schuh- und Sockentausch. Das Konzept ging auf. Am neunten Tag jedoch öffnete der Himmel für ein weiteres Mal seine Schleusen. „Es regnete, als ob jemand über mir fliegt und ständig eimerweise Wasser über mir ausleert“, beschreibt er die Situation. Auf der Straße stand zeitweise fünf Zentimeter Wasser, kein Fortkommen. Mit knapp unter 14 Stunden erreichte er insgesamt die schlechteste Tageszeit.

Ein eingespieltes Team: Stefan und Svenja Chares, seine Tochter.
Ein eingespieltes Team: Stefan und Svenja Chares, seine Tochter. | Bild: Katrin Meier

Am nächsten Tag saß er da, schlecht geschlafen, alles tat weh, brennende Füße, geschwollene Knie, und Stefan Chares fragte sich „Wieso tu‘ ich mir das an?“ Und zu seiner Tochter, die ihn die ganze Zeit betreute, sagte er: „Mir ist der Sinn abhanden gekommen.“ Seine Tochter Svenja entgegnete: „Es gibt hierfür keinen Sinn. Aber wenn ich jemanden kenne auf der Welt, der das zu Ende bringen kann, dann bist es Du“.

Der „Delphin“ beim Schwimmen.
Der „Delphin“ beim Schwimmen. | Bild: Katrin Meier

„Von da an wurde mir klar,“ sagt Stefan Chares, „dass ich es nicht nur für mich mache, sondern auch für jemanden, der bedingungslos an mich glaubt.“ Danach liefen die Tagesabläufe immer besser. Die Intervalle der Nahrungsaufnahme, die einzelnen Disziplinen, aber auch die Erholung beim Schlafen. Der letzte Tag war mit 12:48 Stunden sogar der Schnellste und charakterisierte die gute Renneinteilung.

Geschafft ! Zieleinlauf mit der Badischen Fahne.
Geschafft ! Zieleinlauf mit der Badischen Fahne. | Bild: Katrin Meier

Sieben Kilo hat Stefan Chares während des Wettkampfs abgenommen. Denn pro Ironman benötige man 10 000 bis 12 000 Kalorien, man könne aber nicht so viel aufnehmen. Frühstück und Abendessen fanden vorwiegend im Auto bei der An- und Abfahrt zum Wettkampfgelände statt, um mehr Zeit für Erholung zu haben. Neben Nahrungsergänzungsmitteln aus dem pflanzlichen und mineralischen Bereich nahm Stefan Chares als Energieträger insgesamt 5,5 Kilogramm Honig aus eigener Herstellung zu sich.

Stolz und die Schwarzwaldmarie

Tief berührt war Stefan Chares, als er mit der badischen Fahne über die Ziellinie lief und die Schwarzwaldmarie gespielt wurde: „Ich komme von hier, und dass wir es als Team aus dem Schwarzwald ins Ziel geschafft haben, das macht mich ganz besonders stolz.“

Ein eingespieltes Team: Stefan und Svenja Chares.
Ein eingespieltes Team: Stefan und Svenja Chares. | Bild: Katrin Meier

Doch nach dem Spiel ist vor dem Spiel. So macht sich Stefan Chares Gedanken, was er nächstes Jahr machen könnte. Etwa einen 30-fachen Ultratriathlon, oder einen fünffachen Continuous, also am Stück? Angebote gibt es.

Das Wichtigste sei aber, dass man bei dem, was man macht, Freude und Spaß empfinde. Denn trotz aller Anstrengung überwiegen die schönen Momente. So habe man jede Etappe mit einem Lachen im Gesicht oder einem Tänzchen gefeiert, als ob es die Letzte gewesen wäre.

Der Sportler und seine Disziplin

  • Der Sportler: Stefan Chares ist in Bräunlingen geboren, 48 Jahre alt, verheiratet und Vater zweier Töchter. Er betreibt zusammen mit seiner Frau Anja eine Naturheilpraxis in Unterbränd. Seinen ersten Triathlon absolvierte er im Alter von 37 auf einer Kurzdistanz, danach folgten mehrere Mitteldistanzen, 2010 die erste Langdistanz in Moritzburg, 2011 ein Ironman auf Lanzarote, 2012 der erste Triple-Ultratriathlon in Lehnsan. 2016 stand er den ersten Deca-Ultratriathlon (zehnfache Ironman-Distanz) in Buchs in der Schweiz durch, 2018 wurde er fünfter bei der Weltmeisterschaft im Triple-Ultra-Triathlon in Lehnsan.
  • Der Ultratriathlon: Der Ultratriathlon hat sich über die Jahre als eigene Triathlon-Disziplin etabliert. Es handelt sich um Wettkämpfe, die über ein vielfaches einer Ironman-Distanz ausgetragen werden. Die gängigsten sind der Double Ultratriathlon (2x), der Triple Ultratriathlon (3x), der Quintuple Ultratriathlon (5x) oder der Deca Ultratriathlon mit der zehnfachen Ironman-Distanz. Es gibt auch Extrem-Wettkämpfe über die 20-, 30- oder 40-fache Distanz des Iron Man, der in der Basis aus 2,4 Meilen (3,8 km) Schwimmen, 112 Meilen (180 km) Radfahren und 42,2 Kilometern Laufen besteht. Die offiziellen Wettkämpfe werden unter Regie des Ultratriathlon-Weltverbands IUTA veranstaltet. Es gibt jeweils zwei Austragungsvarianten. Entweder werden die einzelnen Disziplinen am Stück absolviert (Continuous) oder jeweils eine Ironman-Distanz pro Tag. Einen neuen Weltrekord im 20-fachen Ultratriathlon (double-deca) mit 241:36:45 Stunden stellte der Österreicher Norbert Lüftenegger beim Swiss-Ultra 2019 auf. Bisheriger Weltrekordinhaber war der Brite David Clamp mit 252:21:16 Stunden.