Franz Krickl

Wenn Wirthaustische erzählen könnten, bekäme mancher Donaueschinger Zeitgenosse rote Ohren: Das Traditionsgasthaus „Roter Hans“ wird nämlich am kommenden Sonntag, 4. Februar, 125 Jahre alt. Es ist das Wirtshaus an der Sennhofstraße, das im Laufe seiner als geschichtsträchtig geltenden Karriere so manch urige Episode erlebt hat.

Erwerber des Gasthauses war Johann Gaißer, dessen Unterschrift sich in einem Büchlein findet, das aufgelegt wurde, als Gäste im „Jägerstüble“ silberne Nägel in eine Tischplatte schlugen und hierfür einen Obolus entrichteten. Der Tisch steht übrigens heute noch dort. Nach einer Urkunde war es der 4. Februar als Johann Gaißer das Haus erwarb, einer alten Brauerei-Urkunde zufolge war es einen Tag früher. So oder so: Das Haus wurde bald zu einem Begriff und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.

Die Wirtin Maertel im Roten Hans, wie man sie kannte.
Die Wirtin Maertel im Roten Hans, wie man sie kannte. | Bild: Franz Krickl

Verantwortlich dafür zeichnen der Gründer selbst, aber nicht weniger auch seine Tochter Maertel, die in ihrer Originalität ihrem Vater in nichts nachstand und bis zum Jahre 1969 im Lokal „wirkte“. Unzählige Geschichten ranken sich um den Roten Hans selbst, der ob seines derben Witzes und seiner trefflichen Ausdrucksweise allgemein geschätzt wurde. Seinen Namen verdankte er seinem Äußeren: „Pralle Hängebacken“, wie der Dichter Max Rieple es beschreibt, zierten nämlich sein Gesicht, das den Namen „Roter Hans“ wegen seiner Farbe – einem untergehenden Sonnenball vergleichbar, so Max Rieple – durchaus verdiente. Tatsächlich litt der „Rote Hans“ an einer Wucherung am Hals, die ihm sein unverkennbares Äußere verlieh.

Der Rote Hans in der Mitte, gut erkennbar ist seine gewaltige Wucherung am Hals.
Der Rote Hans in der Mitte, gut erkennbar ist seine gewaltige Wucherung am Hals. | Bild: Franz Krickl

Der Hans war immer zu einem Spaß aufgelegt. So hatte einmal der Fürst Max Egon den Einfall, dem Roten Hans einen Esel hälinge (heimlich) ins Schlafgemach zu schmuggeln und auf den gewaltigen Schimpf zu warten. Der Rote Hans revanchierte sich mit dem Verkauf von zwei herrlichen Schimmeln an den Fürsten per Handschlag zu einem guten Preis. Hernach stellte sich heraus, dass der Rote Hans dem Fürsten rot angemalte Karussellpferdchen angedreht hatte. Der Rote Hans war Gast in allen Donaueschinger Gaststätten. Und umgekehrt waren die dortigen Wirte wiederum gern Gast bei ihm. Er starb am 1. Juni 1934, nachdem er am Abend zuvor in seinem Wirtshaus mit Freunden noch Karten gespielt hatte.

Von seinen Kindern sind der Albert, die Maria, der Franz, der Hermann und die Maertel zu erwähnen. Bekannter geworden sind der Bertel, aber vor allem die Maertel, die, nach der Mutter „Marthe“ benannt, lange Jahre den Roten Hans führte.

Nicht zu zählen sind die Anekdoten um die Maertel. Ein Original vom ganzen Wesen her war sie, mit einer großen Portion Menschenkenntnis und Intuition, ein herzensguter Mensch mit einer rauen Schale. Zu spüren bekamen das vor allem die Studenten im damaligen Missionskonvikt „St. Heinrich“. Diese Seminarschule war Mauer an Mauer mit dem Roten Hans gebaut, und über ein Dachfenster gelangte man mit einigem körperlichen Geschick in die Gaststube. Wen wundert’s, dass die schlecht betuchten Studenten Stammgast bei der Maertel waren. Reichlich zechten sie – und zahlten am Schluss doch oft nur eine einzige Mark für etliche Gläser Bier. Den Rest blechten die besser betuchten Gäste am Stammtisch – sie kannten die Maertel und klagten nie.

Heiteres wird auch von Max Stegmanns erstem Besuch bei der Maertel berichtet. Der bekannte Fabrikant trug immer eine kleine, ältere Aktenmappe mit sich und hatte eben dieses auch bei seinem ersten Besuch bei der Maertel unterm Arm. Noch unter der Türe stand auch flugs die Maertel vor ihm und wollte ihn mit einem „mir bruuchet konni Vertreter, mir kaufet nint“ wieder zur Türe hinausschieben. Freunde klärten das Missverständnis auf, und „der Max“ wurde angesehener Stammgast bei ihr. Verbrieft ist auch ein Abend mit Schwesternschülerinnen, die bei der Maertel im „Bunker“ (einem kleinen Verschlag neben dem Stammtisch) ihren Abschluss – für Damen mit ungewöhnlich hohem Biergenuss – feierten. Noch ungwöhnlicher war jedoch, dass die Maertel mit großer Aufmerksamkeit servierte. Des Rätsels Lösung erfuhr der Stammtisch, dem die Maertel verschmitzt zuraunte: „Monn, die weret au brunze hit Nacht!“

Verbrieft ist auch die Geschichte vom Tröndle-Helmut, dem Schlachthof-Chef, der seine NSU-Lambretta die Eingangstreppe hinaufhievte und einige Runden in der Gaststube drehte. Ein mehrmaliges „Sauhund, elendiger“ war ihr Kommentar.

Eine Unterlassungssünde wäre es, nicht zu erwähnen, dass der Erbprinz und spätere Fürst Joachim zu Fürstenberg und seine Freunde zu den illustren Gästen der Maertel zählten. Der Fürst verstand es auf treffliche Weise, die Maertel zur Weißglut zu bringen. Sie wehrte sich in ihrer Rage mit der lautstarken Aufforderung: „Uusi jetz' Lumpeziig“. Jedoch leistet keiner der Gäste Folge.

Das heutige Wirteehepaar Gerd und Elvira Thielsch sind beliebte Gastgeber. Bilder: Franz Krickl
Das heutige Wirteehepaar Gerd und Elvira Thielsch sind beliebte Gastgeber. Bilder: Franz Krickl | Bild: Franz Krickl

Die Maertel starb am 10. November 1969 und wurde unter großer Anteilnahme zu Grabe getragen. Das Gasthaus führten Bruder Bertl und seine Frau Christel weiter. Nach deren Tod übernahm Sohn Hans-Peter für mehrere Jahre das Gasthaus. Danach bewirtschafteten vier Pächter das Lokal mit wechselndem Erfolg, bis Uli Henssler von 1986 bis 1999 den Roten Hans als „Szenen-Kneipe“ zu größerem Bekanntheitsgrad führte. Es folgte Ina Weber, von der Charly Welte im August 2002 den Roten Hans übernahm und die Gaststätte wieder rustikal-heimelig einrichtete. Er musste aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Nach Renovierung mit Erhalt etlicher spezieller Attribute des früheren Gastraumes führen Elvira und Gert Thielsch den „Roten Hans“ seit Oktober 2014. Ein Geburtstagsfest ist im Sommer geplant.

Charly Welte hat für einige Jahre den roten Hans geführt.
Charly Welte hat für einige Jahre den roten Hans geführt. | Bild: Franz Krickl