In Donaueschingen ist man ja einiges gewohnt. Neue Musik, die so neu ist, dass man sie nicht einmal pfeifen kann. Installationen, die mehr Fragen als Antworten hinterlassen. Aber dass ein internationaler Klangkünstler wie Félix Blume die Stadt betritt und dabei sein Mikrofon zu Hause lässt, lässt einem dann doch die Augenbraue steigen.

Werke sind in bedeutenden Museen zu sehen

Blume, 1984 in Frankreich geboren, lebt heute zwischen Südfrankreich, Brasilien und den Metropolen der Klangkunst. Seine Werke sind auf Biennalen und in Museen zu sehen, vom Centre Pompidou in Paris, über das Fonoteca Nacional in Mexiko bis zur Berlinale. Er fängt normalerweise das Summen von Bienen, das Knirschen von Schildkrötenschritten oder das Gespräch zweier Fremder im Wind ein.

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Doch für die Donaueschinger Musiktage im Oktober 2025 verzichtet er auf ein Aufnahmegerät und wählt stattdessen ein Podometer – also Schrittzähler, die er seinen Spaziergängern um den Arm bindet.

Wenn der Künstler schweigt und die Stadt für ihn geht

20 freiwillige Spaziergänger hat er in der Stadt begleitet, um den „Takt von Donaueschingen“ einzufangen und das „Tempo der Stadt“ zu illustrieren. Kein Orchester, kein Dirigent, nur das gleichmäßige – oder eben ungleichmäßige – Laufen, Schlurfen, Gehen, Sprinten, Düsen, Marschieren, Schreiten, Trippeln, Trappeln, Stiefeln, Eiern und Stelzen durch Straßen und Parks wird eingefangen. „Es geht nicht darum, den Ton der Stadt zu hören, sondern ihren Puls zu spüren“, erklärt er.

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Bei Spaziergang Nummer 14 und 15 waren die siebenjährige Lara Minzer und Ihre Mama Irène Eckert dabei und gaben sowohl ihren Takt vor als auch jeweils einen Schuh für die spätere Ausstellung. Lara hatte am Ende deutlich mehr Schritte auf dem Zähler als Mama Irène – naturgemäß, denn kleinere Füße brauchen eben mehr Takte, um ans Ziel zu kommen.

Einen Schuh, bitte. Der andere bleibt zu Hause

Das Prinzip ist einfach: Jeder Teilnehmer spendet am Ende des Spaziergangs einen Schuh. Ja, nur einen. Die Einzelgänger unter den Schuhen werden auf Holz montiert – und in der alten Molkerei während der Musiktage präsentiert. Dabei werden die Schuhe jeweils auf einen Holzkasten montiert und die bewegen sich dann auf einer Wippe in ihrem individuellen Schritttempo auf und ab. Das Ganze ergibt als Resultat eine klackernde Partitur der Stadt.

Donaueschingen reiht sich damit in eine illustre Liste von Orten ein, die Blume schon zum Klingen und Klackern – oder besser gesagt: zum Gehen – gebracht hat. São Paulo war die erste Station, im Mai 2025 folgte Québec. „Ich kann jetzt schon sagen, dass das Tempo in Québec wesentlich höher war als hier im Südschwarzwald. Hier ist es viel gemütlicher“, resümiert Blume in seinem liebevollen französischem Akzent.

Über Stock und Stein: Schritte fügen sich zu einem individuellen Klangbild zusammen.
Über Stock und Stein: Schritte fügen sich zu einem individuellen Klangbild zusammen. | Bild: Thomas Wuttke

Dass ausgerechnet Donaueschingen die dritte Etappe ist, wirkt wie eine charmante Ironie: eine Kleinstadt, die sonst ja nicht automatisch in einem Atemzug mit São Paulo und Québec genannt wird.

Eine Klanginstallation ohne Mikrofon

Das Projekt passt perfekt in den Rahmen der Musiktage, die seit über hundert Jahren Uraufführungen präsentieren – und deren Ruf als ältestes Festival für Neue Musik bis weit über Baden-Württemberg hinaus reicht. Dass diesmal ein Werk entsteht, das völlig ohne Aufnahme auskommt, aber dennoch seh- und hörbar ist, dürfte auf reges Interesse stoßen.

Und so wird Donaueschingen im Oktober im Tempo der Stadt pulsieren – sichtbar und hörbar. Die Besucher werden in der alten Molkerei vor Schuhen stehen, die Geschichten erzählen: von Spaziergängen im Nieselregen, vom rhythmischen Trippeln kleiner Füße, vom gemächlichen Schlurfen der Sonntagsflaneure. Und irgendwo zwischen all dem wird man spüren: Die Musik dieser Stadt hat einen eigenen Resonanzboden gefunden.