Severin Graf ist wieder da. Montagmorgen um 9.15 Uhr verkündet er seinen Arbeitsbeginn per E-Mail. Offen schreibt er darin, warum er die vergangenen fünf Monate in einer „krankheitsbedingten Zwangspause“ war.

Corona, Depression, Rottenmünster und psychosomatischen Klinik. Severin Graf möchte nicht darüber schweigen, was er die vergangenen fünf Monate erlebt hat. Für ihn ist Depression kein Tabu-Thema, sollte es auch nicht sein. „Aber die Theorie und die Praxis klaffen da schon noch auseinander“, erklärt Graf.

Er selbst habe keine negativen Kommentar oder Rückmeldungen auf seine Krankheit erhalten – im Gegenteil. Viel Zuspruch habe er erfahren. „Wer damit offen umgeht, bekommt auch die entsprechenden Rückmeldungen.“ Doch er habe auch andere Geschichten gehört. Schließlich hat er bei seinem sechswöchigen Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik andere Patienten getroffen. Mit unterschiedlichen Geschichten, mit unterschiedlichen Symptomen, aber alle mit der gleichen Krankheit.

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„Gerade Männer in meinem Alter gehen damit nicht so offen um“, sagt Graf. Äußerungen wie „Bei mir weiß das in der Firma niemand, außer dem Geschäftsführer“, „Wenn das jemand weiß, dann bin ich gleich weg vom Fenster“ oder „Ich habe zwar Andeutungen gemacht aber mehr nicht“ habe er dort gehört. Bei einer Patientin ging das Umfeld gar davon aus, dass sie sich in einer gynäkologischen und nicht in einer psychosomatischen Klinik aufhält.

Graf spricht offen über seine Krankheit

„Ich habe mir vorgenommen, dass ich diese Tabuisierung nicht mitmache“, sagt Graf. Man könne ihn offen darauf ansprechen und ihn dazu auch fragen. Auch das er fünf Tage in der Psychiatrie Rottenmünster verbracht hat, ist kein Geheimnis.

Ganz freiwillig war es allerdings nicht. Nein, es war nicht so, dass ein Richter den Aufenthalt gegen Grafs Willen angeordnet hat. Seine Frau und seine Hausärztin haben ihm den Aufenthalt sehr deutlich ans Herz gelegt.

Einfach war das allerdings nicht, da Graf zu diesem Zeitpunkt an Psychosen litt. „Ich dachte damals, alle wollen mir etwas Böses und habe überall nur noch Intrigen gesehen. Ich litt unter starkem Verfolgungswahn.“ Gegen die Einnahme von Medikamenten habe er sich gewehrt, weil er dachte, man wolle ihn vergiften. Und auch der Vorschlag seiner Frau und seiner Hausärztin mit einem Psychiatrie-Aufenthalt sorgte bei ihm nicht für Begeisterung.

„Ich hatte Angst, dass etwas passieren könnte, das ich eigentlich gar nicht will.“
Severin Graf

Aber da war auch noch eine andere Angst. „Ich hatte nie Selbstmordgedanken. Aber ich hatte Angst vor mir selbst“, erklärt er. Angst davor, was er tun könnte. Im Bekanntenkreis hatte er zwei Fälle. Beides Mal Depression, beides Mal Suizid. „Ich hatte Angst, dass etwas passieren könnte, das ich eigentlich gar nicht will.“

Letztendlich gab er nach. Fünf Tage Vinzenz von Paul Hospital (Rottenmünster). „Da erlebt man schon so einiges.“ Fälle, die man eigentlich nur glauben kann, wenn man selbst einmal in der Psychiatrie war.

Es war keine leichte Zeit, nicht für Graf, nicht für seine Frau, nicht für die Familie. „Aber wenn meine Frau nicht so gut und konsequent gehandelt hätte, weiß ich nicht, wie das ausgegangen wäre.“ Und für ihn persönlich war es ebenfalls eine schwere Zeit. „Es war wie ein Stochern im Nebel. Eine Depression ist heilbar, aber man muss den richtigen Weg finden.“

Vielen sieht man nicht an, wie schlecht es ihnen geht

Bei anderen Krankheiten bekommt man einen Gips und hat ein Röntgenbild. Ein Verband hilft. Die Blutwerte sagen etwas aus. Eine Depression ist anders, man sehe vielen noch nicht einmal an, dass es ihnen schlecht geht. „Vielleicht ist das auch der Grund, warum das Thema Depression immer noch so in der Gesellschaft tabuisiert wird.“

Und auch die Hausärztin habe ihm sehr geholfen. „So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Sie habe sich dafür eingesetzt, dass Graf schnellstmöglich einen Platz in der Klinik bekommen hat. Keine Selbstverständlichkeit, da es oft lange Wartezeiten gibt. „Man hört da ganz andere Geschichten“, sagt Graf. Er hatte Glück. Er bekam schnell einen Platz. Er musste nicht so lange warten. Ihm wurde schnell geholfen.

Von heute auf morgen. Von 100 auf Null.

„Mein Glück war, dass es bei mir zu einem sehr schnellen und sehr heftigen Einbruch gekommen ist“, blickt der Bürgermeister zurück. Corona und dann kam das Loch. Von heute auf morgen. Von 100 auf Null. Wo bei ihm der freie Fall war, würden andere sich langsam in einer Abwärtsspirale nach unten bewegen. Ihnen würde es jeden Tag ein bisschen schlechter gehen. Ein schleichender Prozess, bei dem man sich daran gewöhne und gar nicht mehr realisiere, wie schlecht es einem tatsächlich geht.

Und dann der Klinikaufenthalt. Einzelgespräche mit Psychologen. Gruppengespräche zur Depressionsbewältigung. Und auch Gestaltungsrunden. „Da habe ich zuerst gesagt, dass ich malen schon in der Schule nicht mochte.“ Aber es stand halt auf dem Plan. Also ging er hin. „Ich war erstaunt, wie viel schon in der ersten Stunde aus mir herausgekitzelt wurde.“ Drei Mal die Woche: malen, töpfern und Ähnliches. Es half.

So wie die Körpertherapie. „Da haben wir auch Kinderspiele gemacht.“ Es ging viel um Vertrauen, Angst, Freude – alles, was mit positiven und negativen Gefühlen verbunden ist. „Wir haben da gelernt, unsere Wurzeln wieder zu spüren und haben wieder einen Zugang zu den Gefühlen bekommen.“

Plötzlich Raum für persönliche Baustellen

Viel habe er sich mit „persönlichen Baustellen“ beschäftigt. Auch in den Einzelgesprächen. „Da war jetzt nichts Überraschendes dabei. Aber sie haben endlich mal einen Raum bekommen.“ Endlich einmal „auskotzen“. Endlich einmal darüber sprechen, was im Alltag keinen Platz hat. „Ich habe eine tolle Familie und einen guten Freundeskreis.“ Aber es sei eben doch etwas anderes, abends mal mit einem Kumpel ein Bier trinken zu gehen oder sich sechs Wochen intensiv mit seinen Problemen zu beschäftigen.

Und jetzt?

„Nun fühle ich mich wieder vollständig genesen und für meine Aufgaben im Beruf und im Privatleben gestärkt“, sagt Graf. Auf eine Wiedereingliederung, bei der zuerst nur wenige Stunden gearbeitet wird und dann die Arbeitstage schrittweise normalisiert werden, hat er verzichtet. „Ich beginne mitten in den Ferien. Das ist ideal“, sagt der Bürgermeister. Wenige Außentermine und keine Sitzungen. „Das passt alles ganz gut.“

Die Arbeit ist das eine. Aber dann steht noch ein Umzug im Raum. Die Familie Graf baut aktuell nämlich in Aasen ihr neues Eigenheim. „Das ist genau in die Phase gefallen, in der ich ausgefallen bin“, sagt Graf. Seine Frau habe sich also zusätzlich noch über die ganze Bauabwicklung gekümmert. „Sie hat in dieser Zeit wirklich Außergewöhnliches geleistet.“

Hier erhalten Sie Hilfe bei Depressionen

Bei Fragen zur Erkrankung Depression und zu Anlaufstellen in Ihrer Nähe können Sie sich an das Info-Telefon Depression der Deutschen Depressionshilfe wenden unter der Telefonnummer 0800/33 44 533.

Die Telefonseelsorge ist anonym und kostenlos unter den Nummern 0800/11 10 111 und 0800/11 10 222 rund um die Uhr erreichbar. Der Anruf ist kostenfrei. Auch per Chat ist das Angebot erreichbar unter online.telefonseelsorge.de.

Selbsthilfegruppen

Donaueschingen/Wolterdingen: Selbsthilfegruppe „AUFWIND“
Treffen: in der Regel montags, monatlich, 19.30 Uhr, genaue Treffen erfragen, Feuerwehrhaus in Wolterdingen, Hauptstraße 7, 78166 Donaueschingen
Kontakt: über die Selbsthilfekontaktstelle Telefon: 07721/9137190 E-Mail: selbsthilfekontaktstelle@Lrasbk.de

Mönchweiler: Selbsthilfegruppe für Depressionen und Angst
Treffen: jeden ersten Samstag im Monat, 14 bis 16 Uhr, Gemeindehaus Arche,
Am Kirchplatz 4, 78087 Mönchweiler
Kontakt: Marita Springmann Telefon: 07721/72402 E-Mail: Lebensmut-moenchweiler@gmx.de

St. Georgen: Selbsthilfegruppe Depression
Treffen: in der Regel dienstags, 18 Uhr, alle vier Wochen
, WIRkstatt, Bahnhofstraße 27, 78112 St. Georgen
Kontakt: Stefa
n Pla Telefon: 07422/25112 E-Mail: Plaassburger@t-online.de Kontakt: WIRkstatt Telefon: 07724/918305

VS - Schwenningen: Selbsthilfegruppe Deprinella: Selbsthilfegruppe
Treffen:
jeden Mittwoch, 15 bis  17 Uhr, Ort erfragen, Vorgespräch erwünscht
Kontakt: Joanna Kafka Mobil: 0157/89073724 E-Mail: deprinella@gmx.de
Mittwoch, 15 bis  17 Uhr, Ort erfragen, Vorgespräch erwünscht
Kontakt: Joanna Kafka Mobil: 0157/89073724 E-Mail:

VS - Villingen: Selbsthilfegruppe für Depressionen
Treffen:
jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat, 18 Uhr, Gerwigstraße 6, 78050 VS-Villingen
Kontakt: Monika
Schmieder Mobil: 0174/2067677 Mail: monika.schmieder@gmx.de

Trossingen: „Gemeinsam sind wir stark“ – Selbsthilfegruppe für Menschen mit Depressionen, Angst oder Panik
Treffen: jeden Montag, 18 Uhr, Ev. Gemeindehaus Lange Straße 22, 78647 Trossingen
Kontakt: Gottfried
Gonera Telefon: 07425/3301535 E-Mail: gogonr.1@web.de

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