Stuttgart – Die grün-schwarze Landesregierung gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn es um den Naturschutz geht. Sie sammelt Rechtstitel und Schutzurkunden im großen Stil ein. Vor drei Jahren wurde der Nationalpark im Nordschwarzwald offiziell eröffnet – nach viel Streit, der inzwischen beigelegt ist. Inzwischen sind fast alle davon überzeugt, dass es richtig ist, diese 10 000 Hektar an Wald um Baiersbronn aus aller Nutzung herauszunehmen. Nun strebt Umweltminister Franz Untersteller ein neues Prädikat an: Weite Teile des südlichen Schwarzwalds sollen dem sogenannten Biosphärenreservat zugeschlagen werden. Dafür hat der Minister den Antrag eingereicht.
Der imposante Titel wird von der Unesco (UN-Unterorganisation für Wissenschaft und Bildung) verliehen – derselben UN-Abteilung, die auch die Liste für das Weltkulturerbe verwaltet und neue Denkmäler aufnimmt, wenn sie die strengen Kriterien erfüllen. Was hat es damit auf sich? Biospärenreservat klingt zwar äußerst beeindruckend, doch dürften sich für die meisten vor allem Fragezeichen hinter dem Etikett aufbauen. Was steckt hinter der Begeisterung, wonach „wir bald in der Championsleague der Schutzgebiete spielen“, wie der Naturfreund Winfried Kretschmann sagte?
Das Umweltministerium in Stuttgart bringt Licht ins Dunkel der Fachbegriffe. „Wenn wir eine Fläche zur Biosphäre erklären, dann verpflichten wir uns zur Nachhaltigkeit“, sagt Ralf Heineken, der Sprecher des Stuttgarter Ministeriums, das die Bewerbung vorantreibt. Im Klartext heißt dies, dass der Mensch beim Bauen, Siedeln und Betonieren noch viel stärker Rücksicht auf die Natur nehmen soll. 29 Gemeinden in den Kreisen Waldshut, Lörrach sowie Breisgau-Hochschwarzwald beteiligen sich daran. Sie bringen unterm Strich 63 000 Hektar und damit ein stattliches Areal in das Reservat ein. Sie geben auch ein Stück kommunaler Selbstständigkeit ab. Die Zugehörigkeit zur Biosphäre kann bedeuten, dass das eine oder andere Gewerbegebiet weniger ausgewiesen wird. Oder ein Windrad nicht gebaut wird. Im Zweifel gehen Fauna und Flora vor Bebauung.
Manchen Bürgermeistern im Schwarzwald geht das alles zu weit. Die Gemeinde Feldberg beispielsweise verweigert sich dem Sammelantrag des Landes und wird definitiv nicht Teil der Biosphäre werden. Bei der hochgelegenen Kommune fürchtet man, dass im Tourismus nichts mehr vorangeht, zum Beispiel dann, wenn es um aufwendige Liftanlagen für die Wintersaison geht oder gar die umstrittenen Schneekanonen. So entschied sich der Feldberger Gemeinderat bereits Ende 2015 gegen den Beitritt zum Reservat. Damit fehlt der kommenden UN-Schutzzone das Juwel des Mittelgebirges: Der Feldberg (1493 Meter) und sein Zwillingsbruder Seebuck – immerhin die höchsten Gipfel des Schwarzwalds.
Das Reservat verlangt den schonenden Umgang mit den Ressourcen. Die Zusammensetzung der Baumarten darf nicht verändert werden. Wert wird vor allem auf Buchenwald und Buchen-Mischwälder gelegt. Um das alles zu steuern und zu erhalten, werden eine Geschäftsstelle sowie ein Infozentrum eingerichtet. Das hat alles seinen Preis: 660 000 Euro jährlich setzt Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) dafür an. In den ersten drei Jahren wird das Land den Batzen übernehmen. Dann zahlen die 29 Gemeinden.
Biosphäre
Biosphäre meint die belebte Erde (im Gegensatz zum Weltraum). Sie bildet ein Reservat und damit eine Fläche, in die nur unter Vorbehalt eingegriffen werden darf. Im Gegensatz zum Nationalpark darf im Biosphärenreservat gebaut und gewirtschaftet werden, aber eben unter Auflagen. Das Umweltprogramm wurde 1970 ins Leben gerufen. Anfangs ging es um Forschungsprojekte zum tropischen Regenwald, zu Wüsten, Gebirgen und Küsten. Anschließend richteten sich die Programme auf die Vernetzung der Biosphärenreservate. Im März 2016 gab es nach Angaben der Unesco 669 Biosphärenreservate in 120 Ländern. (uli)