Die meisten Menschen in seinem Alter sind schon längst im Ruhestand. Aber Kinderarzt Selahattin Yavrucuk ist dafür nicht bereit: „Ich habe doch nachgegeben“, erklärt der 86-Jährige. Nachdem er auch im Ruhestand noch für seine kleinen Patienten da war, hatte er sich Ende Dezember 2021 endgültig dazu entschlossen, sich zurückzuziehen.
Verzweifelte Eltern
Nachdem er sich verabschiedet hatte, seien viele Eltern auf ihn zugekommen: „Wo sollen wir jetzt einen Arzt finden?“ Yavrucuk weiß um die Situation. Kinderärzte sind Mangelware. Also erkundigt er sich, wie er sich weiter um Patienten kümmern könnte: „Klar könnte ich die Praxis auch Zuhause machen. Aber das zu vermischen ist nicht so gut.“
Fündig wird Yavrucuk schließlich bei der Praxis Wilfried Grohmann in Hüfingen. Dort erklärt er, was er vorhat – und worauf es ihm ankommt: „Ich will damit kein Geld verdienen. Viele meiner Patienten sind mittlerweile meine Freunde. Ich bräuchte einen Raum, den ich zwei- bis dreimal die Woche benutzen kann.“
Hilfe vom Kollegen
In der Praxis Grohmann kommt man Yavrucuk entgegen. Dort sind die Praxisräume an drei Tagen in der Woche nachmittags leer. „Grohmann sagt dann zu mir: „Solange sie das gesundheitlich können, gerne. Machen sie ihr Hobby in meinen Räumen. Er hat mir sofort die Schlüssel anvertraut.“
Entlastung
Dem 86-Jährigen gehe es dabei nicht darum, seinen Kollegen in die Quere zu kommen, ganz im Gegenteil: „Leute die einen Kinderarzt brauchen können das in Anspruch nehmen. Es geht mir auch darum, die Kollegen zu entlasten.“ Seit etwa einer Woche bietet Yavrucuk dreimal am Nachmittag an, sich Patienten anzuschauen – jeweils nach telefonischer Vereinbarung. „So läuft das unabhängig von der Praxis Grohmann und dort wird niemand belastet.“
Aus dem ganzen Kreisgebiet
Dass sich Yavrucuk weiter um Patienten kümmert, diesen Wunsch gab es auch in Blumberg, wo man ihn auch gerne gesehen hätte. Seine Patienten kommen dabei aus dem kompletten Kreisgebiet: „Ich habe mich auf den Ruhestand nicht wirklich vorbereitet. Ich bin ein mental starker Mensch, aber ich dachte mir, dass ich meine Arbeit vielleicht vermissen werde“, sagt Yavrucuk. Eine Woche hat er mittlerweile bereits ausprobiert und gemerkt: „Ich brauche nichts, das gibt mir eine innere Befriedigung.“
Der Umgang fehlt
Seine Frau sei allerdings ein wenig enttäuscht gewesen, hatte sich doch darauf gehofft, ihren Mann jetzt öfter bei sich zu haben: „Ich bin ja so trotzdem meistens Zuhause und nur nachmittags Zuhause. Das ist eine super Woche. Wenn es meiner Gesundheit hilft, dann mache ich das sicher noch vier bis fünf Jahre.“ Dann wäre der beliebte Kinderarzt bereits 90 Jahre alt. „Mir fehlt einfach der Umgang mit den Eltern – und mit den Kindern Blödsinn zu machen“, sagt Yavrucuk. Er schätze es auch, dass seine Erfahrung einen Wert habe: „Die Leute nehme meinen Rat an.“
Hilfe für verzweifelte Eltern
Jetzt hat Yavrucuk die Hoffnung, dass er mit seinem Einsatz verzweifelten Eltern helfen kann, auch am Wochenende: „Wenn es den Kindern schlecht geht, dann sind die Eltern oftmals viel stärker krank. Und wenn jemand anruft: Mehr als nein sagen kann ich nicht – und tue es auch nicht.“

Die Untersuchungen seien nicht nur für Privatpatienten, auch Kassenpatienten können sich melden, das erledige er dann ehrenamtlich. So könne er auch die U-Untersuchungen machen, das Formular entsprechend ausfüllen. „Ich war über 30 Jahre lang Kassenarzt und stehe weiter im Arztregister.“
Bei Problemen helfen
Einfach nichts zu tun – und sich zu ärgern, dafür sei der Kinderarzt nicht der Typ: „Geld kann man am Ende nicht mitnehmen. Und ich habe mich verpflichtet, zu helfen.“ Diesen Auftrag nimmer er ernst. Als 2015 viele Flüchtlinge in Donaueschingen ankamen, half er in der Erstaufnahmestelle, Kinder zu untersuchen und zu behandeln.
„Wäre ich 30 Jahre jünger, dann würde ich jetzt in Richtung Ukraine fahren.“ Wenn jetzt auch noch mehr Menschen aus der Ukraine kämen, dann würde er sich auch hier wieder zur Verfügung stellen: „Man tut was man kann, um den Menschen zumindest bei einigen ihrer Probleme zu helfen.“
Das Lebenselixier
Und ein klein wenig politisch wird er dann doch: „Wenn sie in den Ruhestand gehen, dann fallen viele in ein Loch. Sie fühlen sich nicht mehr gebraucht. Aber wenn jemand arbeiten kann und das liebt – wieso nicht? Nicht das Alter sollte vorschreiben, ob jemand noch kann – oder nicht.“ Für ihn sei es das Lebenselixier.
Keine Corona-Patienten
Eine Bedingung gibt es allerdings: „Bei hohem Fieber und Verdacht auf Corona muss ich die Patienten ablehnen. Das habe ich schon gemacht und es wird verstanden und akzeptiert.“ Trotz Impfung zählen Selahattin Yavrucuk und seine Frau aufgrund des Alters zur Risikogruppe: „Dieser Gefährdung kann ich meine Frau nicht aussetzen. Da muss ich leider ablehnen.“ Das gelte auch für Coronatests.