Seit Jahresbeginn stehen hunderte Familien in der Region ohne Kinderarzt da. Nach zweijähriger erfolgloser Suche nach einem Nachfolger hat Christoph Leonhardt mit 67 Jahren seine große Villinger Praxis altershalber aufgegeben.
In St. Georgen gibt es bereits seit Jahren keinen Pädiater mehr. In allen anderen Praxen herrscht Aufnahmestopp – mit Ausnahme von Neugeborenen, die aufgenommen werden müssen. Eltern mit größeren Kindern und Zugezogene stehen indes vor großen Problemen.
So wie die Villingerin Nikol Katic, deren Sohn Toni seit der Schließung der Praxis in der Kalkofenstraße ebenfalls keinen Kinderarzt mehr hat. Dafür hat der Dreijährige aber eine Corona-Infektion und einen Krankenhausaufenthalt wegen Rotaviren hinter sich. Seine Mutter hat schon vor der Christoph Leonhardts Ruhestand Praxen in der ganzen Region abtelefoniert. Ohne Erfolg. Das stellt die Familie vor einige Herausforderungen, wie sich schon nach kurzer Zeit gezeigt hat:

Problem 1: Die Kinderkrankmeldung.
Ist das Kind krank, lässt sich kaum arbeiten. Entweder, weil man dazu ohnehin aus dem Haus muss oder weil Arbeiten im Homeoffice und die Betreuung eines kranken Kleinkindes schlicht nicht zusammenpassen. Hier greift die Kinderkrankmeldung, die der Kinderarzt ausstellt und die ab dem ersten Tag benötigt wird. Die Fehltage bezahlt die gesetzliche Krankenkasse.
Manche Arbeitnehmer haben Glück und der Arbeitgeber übernimmt einige – beispielsweise fünf – Kinderkrankentage pro Jahr. Dazu braucht es aber den ärztlichen Nachweis. Bei akuten Erkrankungen wie Husten, Schnupfen, Magen-Darm sind manche Praxen zwar kulant und bestellen Kind und Eltern ein und stellen auch das Attest aus. Andere Praxen wiederum verweisen an die Notfallpraxis am Schwarzwald-Baar-Klinikum.
Nikol Katic hatte Glück: Kinderärztin Karin Bohlender stellte ihr für Tonis Krankenhausaufenthalt die Arbeitgeberbescheinigung aus. Durch einen schweren Rotaviren-Infekt war der Dreijährige so dehydriert, dass er im Schwarzwald-Baar-Klinikum behandelt werden musste.

Problem 2: Die U-Untersuchungen.
Die erste findet noch im Kreißsaal statt, die zehnte und letzte der so genannten Früherkennungsuntersuchungen mit fünf Jahren. In Baden-Württemberg, Bayern und Hessen sind sie verpflichtend. Bei der Einschulungsuntersuchung müssen Eltern nachweisen, dass das Kind daran teilgenommen hat.
Ziel der Termine ist es, Krankheiten oder Förderbedarf rechtzeitig zu erkennen, aber auch Fälle von Vernachlässigung oder Missbrauch schneller aufzudecken. Außerdem wird bei den U-Terminen auch geimpft.
Beim dreijährigen Toni steht demnächst die U7a an. Was tun, wenn man keinen Kinderarzt mehr hat? Hier hilft der Patientenservice der Kassenärztlichen Vereinigung. Unter der Nummer 116117 kann man sich einen Termin vermitteln lassen. Ärzte sind verpflichtet, eine gewisse Zahl an freien Terminen zu melden, die dann über die KV vergeben werden.
Den ersten Termin für die U7a hat Nikol Katic abgelehnt – er wäre in Emmendingen gewesen. „Ich fahre doch nicht eine Stunde zu einem Kinderarzt, der uns dann nicht mal als Patienten aufnimmt“, sagt die 36-Jährige.
Nun hat Toni einen Termin in einer Rottweiler Praxis bekommen. Den dortigen Arzt sieht er zum ersten – und womöglich auch zum letzten Mal: Die Rottweiler Praxen nehmen – so steht es auf den Internetseiten – ebenfalls keine neuen Patienten auf.
Sollte Nikol Katic erneut einen Termin über die KV vereinbaren müssen, kann dieser theoretisch auch in einer Schwenninger oder Furtwanger Praxis sein. Für die Personalreferentin auf Dauer keine befriedigende Situation: „Es ist doch wichtig, dass der Arzt die Kinder kennt.“

Problem 3: Corona.
Toni hatte nicht nur mit dem Magen-Darm-Infekt zu kämpfen. Nach den Rotaviren kam Corona. Nach einem positiven Schnelltest bei einem hustenden und fiebernden Toni zu Hause wollte seine Mutter das Ergebnis durch einen PCR-Test bestätigen lassen – und kassierte eine Absage nach der anderen.
„Die Kinderarztpraxen haben uns abgewiesen und mein eigener Hausarzt behandelt Kinder erst ab zwölf Jahren“, schildert sie. „Und ins Testzentrum muss man mit Symptomen ja gar nicht erst gehen.“ Geholfen wurde ihr schließlich in der Corona-Schwerpunktpraxis von Internistin Barbara Suroglu, die sowohl bei Toni als auch bei seiner Mutter den PCR-Abstrich vornahm. Der positive Schnelltest bei dem Dreijährigen bestätigte sich dann auch.
Dass in Villingen-Schwenningen ein Kinderarztsitz unbesetzt bleibt, kann Nikol Katic nicht nachvollziehen. Auch, dass die Politik bislang nicht aktiv geworden ist. „Wir sind der wirtschaftliche Mittelpunkt der Region und schaffen es nicht, die Kinderarztabdeckung zu gewährleisten. Das ist für mich absolut unverständlich.“