Zum Jahresende stehen hunderte Eltern in Villingen-Schwenningen vor einem Problem: Dann nämlich werden sie keinen Kinderarzt mehr haben. Nach 20 Jahren schließt Christoph Leonhardt seine Praxis in der Kalkofenstraße. Im Winter wird er 67 Jahre alt. Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen, sagt er.

Sitz droht zu verfallen

Und nach zwei Jahren erfolgloser Nachfolgersuche steht sein Arztsitz nun zur Disposition. Das heißt: Im schlimmsten Fall verfällt der Sitz. Dann dürfte sich gar kein neuer Kinderarzt niederlassen, selbst, wenn er wollte.

Aufnahmestopp in den Praxen

Kinderärzte sind in Villingen-Schwenningen und darüber hinaus rar. Wer die Praxis wechseln will, etwa aufgrund eines Umzugs von Triberg nach Donaueschingen, kann das nicht einfach tun. Als neue Patienten nehmen die Praxen nur Neugeborene auf, für die gerade im ersten Lebensjahr viele Vorsorgeuntersuchungen und Impftermine anstehen.

„Von Notfällen abgesehen, ist eine Praxis nicht verpflichtet, neue Patienten aufzunehmen.“
Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg

Und alle anderen? „Von Notfällen abgesehen, ist eine Praxis nicht verpflichtet, neue Patienten aufzunehmen“, sagt Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg.

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Christoph Leonhardt hat seine Praxis 20 Jahre lang geführt. Zuvor war er 20 Jahre lang in der Villinger Kinderklinik tätig. Während er für sein Praxisgebäude an der Kalkofenstraße schon mehrere Interessenten habe, sieht es bei der Nachfolge trotz intensiver Bemühungen anders aus. „Aus Tübingen und Freiburg wollte niemand hierher kommen“, bilanziert er. Auch aus der Kinderärzteschaft am Schwarzwald-Baar-Klinikum habe niemand größeres Interesse gehabt, die Praxis zu übernehmen.

„Es wäre eine Katastrophe, wenn Dr. Leonhardt keinen Nachfolger findet.“
Sprechstundenhilfe aus einer anderen Kinderarztpraxis am Telefon

Wer bei den anderen Kinderarztpraxen in Villingen-Schwenningen anruft, erfährt überall dasselbe: Es herrscht Aufnahmestopp – wie auch bei vielen anderen fachärztlichen Praxen. „Es wäre eine Katastrophe, wenn Dr. Leonhardt keinen Nachfolger findet“, sagt eine Sprechstundenhilfe einer anderen Praxis am Telefon.

Mit einem Brief informiert der Villinger Kinderarzt Christoph Leonhardt über seine Praxisschließung. Trotz zweijähriger Suche hat der ...
Mit einem Brief informiert der Villinger Kinderarzt Christoph Leonhardt über seine Praxisschließung. Trotz zweijähriger Suche hat der 66-jährige Mediziner keinen Nachfolger gefunden. | Bild: Göbel, Nathalie

Der Fachärztemangel ist im ländlichen Raum längst angekommen. In der Nachbarstadt St. Georgen beispielsweise fehlte jahrelang eine gynäkologische Praxis. Erst im Mai dieses Jahres wurde die Lücke geschlossen.

Nachbarstadt ohne Kinderarzt

Einen Kinderarzt gibt es in der Bergstadt überhaupt nicht mehr. Die St. Georgener müssen nach Villingen, Furtwangen oder Schramberg ausweichen. Der Praxissitz des bis dahin einzigen Kinderarztes in St. Georgen ist im Herbst 2017 verfallen. Der Mediziner Viktor Mil hatte seine Praxis aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben.

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Obwohl sich die Stadt St. Georgen selbst aktiv an der Suche nach einem Nachfolger beteiligt hatte, wurde niemand gefunden. Der ländliche Raum erscheint jungen Ärzten offenbar wenig attraktiv, Angestelltenverhältnisse sind mit dem Familienleben besser zu vereinbaren als die Tätigkeit als selbstständiger Mediziner.

Rechnerisch „überversorgt“

Das Skurrile: Der Schwarzwald-Baar-Kreis sei für die kinder- und jugendärztliche Versorgung rechnerisch weiterhin überversorgt, sagt Kai Sonntag. Nach wie vor gebe es keine zusätzliche Niederlassungsmöglichkeit für einen Kinder- und Jugendarzt. „Ebenso kann eine bestehende Praxis sich nicht erweitern.“

Wie passt das mit Aufnahmestopps und teils sehr langen Wartezeiten in Praxen zusammen? „Diese Diskrepanz ist einfach zu erklären: Die Kontingente für die Niederlassungsmöglichkeiten wurden von der Politik eingerichtet, um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen zu begrenzen und damit den Beitragssatz stabil zu halten. Die Zahl der Niederlassungsmöglichkeiten richtet sich daher nicht nach der Nachfrage, sondern nach den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln“, so der KV-Sprecher.

Sitz könnte verlegt werden

Würde der Praxissitz von Christoph Leonhardt wegfallen, würde der Landkreis für Neuzulassungen vermutlich geöffnet werden, erläutert Sonntag. Das bedeute dann aber, dass der Praxissitz gegebenenfalls auch in eine andere Gemeinde verlegt werden könnte. Das hänge davon ab, welche und wie viele Bewerber es dann geben würde.

Klinikum verweist auf die KV

Theoretisch könnte der Praxissitz auch an ein so genanntes Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) gehen, das beispielsweise am Schwarzwald-Baar-Klinikum als MVZ Pädiatrie bereits existiert. In einem MVZ arbeiten mehrere ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte kooperativ unter einem Dach zusammen. Wäre das eine Option? Und wie sieht man im Schwarzwald-Baar-Klinikum die drohende ambulante Versorgungslücke? Im Klinikum hält man sich bedeckt. Kliniksprecherin Sandra Adams verweist auf die Kassenärztliche Vereinigung. Was niedergelassene Ärzte angehe, sei die KV der richtige Ansprechpartner.

Zulassungsgremium entscheidet

Die Entscheidung, an wen ein Arztsitz gehe, treffe der Zulassungsausschuss, erläutert KV-Sprecher Sonntag. Beispielsweise, wenn das MVZ am Klinikum Interesse anmelden würde und sich parallel eine neu zugezogene Kinderärztin um den Sitz bewerbe.

Dass sich die Nachfolgersuche auf dem Land schwierig gestaltet, bestätigt auch Kai Sonntag. „Junge Ärztinnen und Ärzte wollen nicht als Einzelkämpfer arbeiten.“ Der Trend gehe eindeutig zu Gemeinschaftspraxen.