Manfred Molicki ist schon da. Er hat sich den Platz am Fenster ausgesucht. Ob er schon lange warte? Nein, sagt er. Und selbst wenn, er hätte wahrscheinlich gewusst, die Zeit sinnvoll zu nutzen. Denn Langeweile ist für Molicki nichts Schlechtes. Im Gegenteil.

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Manfred Molicki ist 74 Jahre alt, er hat vor sieben Jahren den Kunstverein Kunstkultur Königsfeld maßgeblich ins Leben gerufen und ist seitdem als dessen Vorsitzender tätig. Jetzt will er sich anderen Dingen in seinem Leben widmen. Mehr Zeit für sich haben. Und der Verein hat ein Problem: In den eigenen Reihen findet sich kein Nachfolger. Darum haben sie sich dazu entschlossen, öffentlich nach einem neuen Vorsitzenden zu suchen. Ein Erfolgsmodell? Vielleicht. Eine kreative Idee? Ganz sicher.

Keinen Vorsitzenden zu finden ist ja ein Problem, das viele Vereine haben. Warum, denken Sie, ist das so?

Manfred Molicki: „Der Aktionsbereich ist größer geworden. Man kann mehr machen und man macht auch mehr. Heute kann ich zehn Mails verschicken, wo ich früher einen Tag für einen Brief brauchte. Dazu kommt: Man steht unter dem Zwang, etwas Nützliches zu machen, etwas, das Geld bringt. Die Beschäftigung mit Kunst, so könnte man sagen, ist vordergründig nutzlos, aber äußerst sinnvoll. Und der dritte Punkt: Verantwortung zu übernehmen will keiner. Man muss es nicht. Das was man muss ist schon so viel.

Sie haben lange Verantwortung übernommen. Da gibt es doch sicher das ein oder andere, das Sie an der Aufgabe des Vorsitzenden auch geärgert hat?

„Ich kann nicht sagen, dass mich etwas gestört hat. Viel besser kann ich sagen, was mir Freude gemacht hat.“

Was denn?

„Der Kontakt miteinander innerhalb des Teams und zu den Kunstinteressierten. Und der Kontakt mit den Künstlern. Der war immer positiv, obwohl man Künstlern oft was anderes unterstellt. Es hat mich gereizt, einen guten Kunstverein zu organisieren.“

Und, ist Ihnen das gelungen?

„Wir sind aktiv als Verein seit 2014, vorher schon seit 2010 ohne Verein. Wenn sich ein Verein so lange hält und jetzt mit 2006 Mitgliedern der größte Verein in Königsfeld ist, dann ist das schon ein Erfolg.“

Wie viel Zeit hat Sie dieser Erfolg gekostet?

(lacht) „Es ist eine zeitlose Beschäftigung. Man verliert die Zeit, wenn man etwas gerne macht. Zeit entsteht mit der Unlust. Wenn Sie auf die Uhr gucken, haben Sie oft ein ungutes Gefühl. In der Welt des Zeitdrucks, der fremdbestimmten Zeit wird Zeit gemessen und man versucht, Zeit zu gewinnen – aber man verliert die Zeit, wenn man etwas gern macht.“

Und jetzt wollen Sie die Verantwortung auch nicht mehr tragen?

„Es sollte ein geschmeidiger Übergang werden. Mir geht es auch darum, dass neue Ansätze möglich sind, auch im Verein, zum Beispiel durch Jüngere. Wie sind mittlerweile ein anerkannter Verein in der Region. Ich sehe in jeder Organisation eine Aufbauphase und eine Erhaltungsphase. Da sind wir jetzt. Es ist wichtig, dass andere das übernehmen. Außerdem wollte ich nach meiner Pension eigentlich noch andere Dinge machen. Das habe ich zurückgestellt, zugunsten des Engagements im Vereins.“

Was wollten Sie denn machen?

Molicki überlegt lange, dann sagt er: „Ich möchte nicht über unfertige Projekte reden.“ Nur so viel: Es liegen einige Projekte auf seinem Schreibtisch.

Gibt es denn schon Bewerber für den Vorsitz?

„Es gibt Interessenten, aber noch keinen engeren Kontakt. Manche scheiden auch sofort aus. Wenn sie von weiter her sind zum Beispiel.“

Was macht den perfekten Vorsitzenden für Ihren Verein aus?

„Er muss nicht perfekt sein. Er muss kommunizieren können. Mit den Künstlern, den Mitgliedern und den Besuchern. Er sollte einen Blick haben für die Kunst. Er muss kein Künstler sein, er sollte organisieren können. Wenn der Verein eine Firma wäre, hätten wir eine Werbeabteilung, eine Layoutabteilung, eine Buchhaltung, die Leitung wäre in dem Bild sozusagen das Eventmanagement. Der Vorsitzende muss nicht alles machen.“

Wie haben Sie ein Jahr ohne Kultur überstanden?

„Es war schon schmerzlich. Wir mussten das ganze Jahr über die Miete für den Kunstraum zahlen, ohne dass wir den Raum genutzt haben. Das war nur möglich, weil wir Spenden als Rücklagen gehabt haben. Bedauerlich war auch, dass wir mehrmals alles vorbereitet hatten, Plakate, Drucksachen, und dann mussten wir alles wieder wegschmeißen. Wir haben aber immer versucht, sichtbar zu bleiben. Aus der Jahresausstellung haben wir eine digitale Ausstellung gemacht und wir haben die Fenstergalerie eröffnet.“

Und wie war es für Sie selbst?

„Für mich ganz persönlich war es durchaus nicht negativ. Ich bin zu Sachen gekommen, die man sonst liegen lässt. Gartenarbeit zum Beispiel und andere kreative Beschäftigungen.“

Glauben Sie, dass die Kulturbranche sich durch die Pandemie langfristig verändern wird?

„Das denke ich schon. Man hat gemerkt, dass viel in Richtung Digitalisierung geht.“

In einem Satz: Was bedeutet Kunst für Sie?

„Das ist das tolle Angebot, aus dem Alltag herauszukommen und neu zu denken.“

Wie muss man sich die Auswahl des neuen Vorsitzenden dann vorstellen, gibt es eine Art Bewerbungsgespräch?

(lacht) „Den oder die werden wir einladen, um sich kennenzulernen und die gegenseitigen Erwartungen abzuklären. Dann könnte derjenige erst mal mitmachen. Bis 2022 steht unser Programm schon, er oder sie könnte sich also alles in Ruhe ansehen. Man wird nicht ins Kalte Wasser geworfen. Bei der nächsten Mitgliederversammlung werden die geeigneten Bewerber dann zur Wahl gestellt.“

Was ist wenn Sie keinen finden, der das Amt übernehmen will?

„Wir rechnen damit, dass wir jemanden finden. Es gibt aber auch einen Plan B, wie es dann weitergehen kann.“

Und wie sieht der Plan B aus?

Molicki denkt lange nach, bevor er sagt: „Wie jede Organisation kann auch ein Verein entweder mehr personenbezogen oder vielfältig strukturiert organisiert sein. Wenn Sie bei Firmen anrufen, gibt es die, wo Sie sofort den Chef am Telefon haben und andere, bei denen das nicht so ist. Künftig würde dann eben nicht mehr nur eine Person die Mails, Anfragen etc. beantworten, sondern mehrere Personen. Das ist ohnehin vorteilhaft, wenn sich eine Organisation nachhaltig aufstellen will.“