Löffingen – Jeden Morgen vor dem Frühstück führt der Weg von Inge Mayer von der Ziegelhütte hinauf zum Witterschneekreuz, um die beiden Kapellen aufzuschließen. Seit 50 Jahren ein Ritual, das sich am Abend beim Abschließen wiederholt. Den großen Schlüssel des Kirchentors – heute auch noch mit einem kleinen Schlüssel der modernen Schließeinrichtung gekoppelt – hütet Inge Mayer wie ihren Augapfel. „Die Kirche ist so ein wichtiger sakraler Ort, den es gilt, zu schützen und zu erhalten“, erklärt die 85-Jährige, die bei jedem Wetter mit dem Fahrrad den Berg hinaufstrampelt, um den Schlüsseldienst zu erledigen.
Zwei Erlebnisse sind Inge Mayer noch fest in Erinnerung geblieben; über diese heute nur lachen kann. Vor etwa 30 Jahren, sie war auf dem Weg zur Messe in die Stadtkirche und schon etwas spät dran, hielt sie kurz beim Schneekreuz an und rief kurz hinein: „Ich schließe jetzt ab“. Da nichts zu hören war, schloss sie ab und fuhr nach Löffingen. Kaum begann der Gottesdienst, stürmte eine Dame herein, die nach dem Mesner und „der Inge“ suchte. Denn bei aller Hektik hatte diese einen Kirchenbesucher in der Wallfahrtskirche übersehen und diesen eingeschlossen. Glücklicherweise wurde sein Klopfen und Rufen von der Löffinger Dame gehört. „Beim zweiten Mal war ich unschuldig“, beteuert Inge Mayer und lacht. Als sie am Morgen froh gelaunt die Kirchentür aufschloss, saß ein dunkelhäutiger Mann in der Kirchenbank und begrüßte sie freundlich. Es war wohl ein Obdachloser, der in der Kirche vor dem nass-kalten Wetter „Asyl gesucht hatte“ und sich beim Abschließen der Kirche am Vortag „unsichtbar“ gemacht hatte.
Noch gut erinnert sie sich, als sie und ihr Mann Ernst diese Aufgabe vom ehemaligen Schneekreuz-Mesner Gerhard Scholz übernahmen. Der damalige Pfarrer, Karl Weickhardt, hatte den großen Schlüssel einfach Mayers Sohn Georg, der Ministrant war, in die Hand gedrückt. „Du bist nun für das Auf- und Abschließen verantwortlich.“ Doch diese Bürde wollten die Eltern ihrem damals achtjährigen Sohn nicht auflegen. So übernahmen sie den Dienst. Eine Aufgabe, die Inge Mayer nach dem Tod ihres Mannes nun allein ausübt. „Wenn ich krank bin, dann übernimmt schon Sohn Georg oder die Enkelkinder den Dienst“, freut sich Inge. „Für mich ist es nicht einfach nur Auf- und Zuschließen, sondern jeden Morgen kann ich hier meine Sorgen des Tages abladen und abends beruhigt nach einem kurzen Gebet nach Hause fahren.“
Zu den Aufgaben gehört auch das Schneeschaufeln vor und auf der Treppe, was früher deutlich schwieriger war. Früher waren die Mayers auch für das Rasenmähen mitverantwortlich. Da wurde mit „Schneekreuz-Mesner“ Scholz von Hand mit der Sense die Wiese gemäht und das Gras dann mit der Gabel auf den Wagen gehievt. Es kam dann in die Ziegelhütte und wurde in der Landwirtschaft eingesetzt. Heute hat Mesner Kaczor einen motorisierten Rasentraktor, und mit dem elektrischen Staubsauger wird das Innere der Kirche gesäubert. „Wir haben es noch von Hand gemacht“, erinnert sich Inge Mayer. Heute ist sie vor allem auch für die Kerzen zuständig, schaut auch mal nach den Blumen und freut sich über jede schöne Begegnung in oder vor der Kirche. „Es ist einfach schön, zu sehen, wie viele Menschen noch mit der Kirche verbunden sind“, so Inge Mayer und denkt an Christel und Vogt aus Reiselfingen, die jedes Jahr eine Krippe in die Kirche bringen und auch schmücken.
Vier Pfarrer hat Inge Mayer inzwischen erlebt. Angefangen 1974 mit Karl Weickhardt, über Hermann Litterst, Eugen Dannenberger und heute Johannes Kienzler. Gab es früher noch Wallfahrten, sogar für Männer und Frauen getrennt, sind heute die Maiandacht und die monatlichen Gottesdienste zu nennen. Als Hochzeitskirche ist die Wallfahrtskirche nach wie vor sehr beliebt. „Alle meine drei Kinder haben dort geheiratet“, freut sich Inge Mayer.