
Lore Sauter, 85 Jahre alt, ist an diesem sonnigen Freitagabend mit ihren Freundinnen zum Einkauf unterwegs. Spricht man die drei Blumbergerinnen auf die Versorgung mit Hausärzten in der Stadt an, geraten sie ins Schwärmen. Sehr zufrieden seien sie. Der Blick in die Zukunft aber fällt düsterer aus. „Meine Hausärztin ist über 70. Ich hoffe, sie bleibt noch lange“, sagt Lore Sauter. „Wenn sie aufhört, das wird eine Katastrophe!“
Denn: Die Ärztin der Seniorin ist nicht die einzige Medizinerin, die eigentlich längst in Rente sein könnte. Im Schwarzwald-Baar-Kreis ist derzeit jeder vierte Hausarzt älter als 65 Jahre.
Das ist eine Menge, zum Vergleich: Im Bodenseekreis sind nur 10 Prozent in dem Alter, also jeder zehnte, im Kreis Konstanz jeder fünfte. Und das allein würde den Schwarzwald und die Baar zum Brennpunkt in Sachen Hausärzte machen. Doch es gibt noch mehr Probleme. Große Probleme.
So steht es um die Versorgung
Um die Versorgung mit Hausärzten zu messen, fasst die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) mehrere Gemeinden zu sogenannten Mittelbereichen zusammen. Der Schwarzwald-Baar-Kreis besteht aus den Mittelbereichen Donaueschingen und Villingen-Schwenningen und diese Mittelbereiche bestehen wiederum aus den Gemeinden:
Liegt in einem Mittelbereich die Hausarztversorgung bei 100 Prozent, bedeutet das: So viele Ärzte wie im Plan der KVBW vorgesehen sind, arbeiten vor Ort. Schon im Oktober 2021 sank dieser Wert im Mittelbereich Villingen-Schwenningen auf unter 100 Prozent. Dabei ist es geblieben. Für die 170.000 Einwohnerinnen und Einwohner fehlen fünf Vollzeit-Mediziner.
Hausärztemangel? In Donaueschingen nichts Neues
Noch schlimmer sieht es im Bereich Donaueschingen aus. Und das schon eine ganze Weile: 2013, als die Hausarzt-Welt etwa in Konstanz, im Bodenseekreis oder am Hochrhein noch völlig in Ordnung war, herrschte im Mittelbereich Donaueschingen bereits Not. So lange liegt der Versorgungsgrad schon unter 90 Prozent. Aktueller Stand: 78,6 Prozent.
Kaum ein anderer Bereich in ganz Baden-Württemberg ist über Jahre hinweg so schlecht mit Hausärzten bestückt. In ganz Baden-Württemberg gibt es nur fünf Mittelbereiche, die schlechter versorgt sind. Für die rund 60.000 Einwohnerinnen und Einwohner in und um Donaueschingen fehlen sechs Vollzeit-Mediziner.
Was sagen die Hausärzte vor Ort?
Während in anderen Regionen der Ärztemangel als brandheißes Thema aufploppt, ist es rund um Donaueschingen fast ein alter Hut. So alt, dass viele der Hausärzte, die der SÜDKURIER für diese Recherche angefragt hatte, abwinkten. „Es gibt nichts Neues zu sagen“, schrieb etwa der Hüfinger Arzt Markus Common. Außerdem habe er viel zu tun. In Hüfingen gibt es zwei Hausärzte, die pro Kopf für rund 3930 Personen zuständig sind.
Fragt man vor Ort nach, wirken Ärzte und Politik erstaunlich gelassen. Natürlich, die Unterversorgung sei real. „Doch wir haben bisher immer eine Lösung gefunden“, sagt der Bürgermeister von Blumberg, Markus Keller. Er hat mit seiner Stadt eine akute Hausarztkrise gerade erst hinter sich gebracht.
Die Blumberger Hausarztkrise
Auch der Blumberger Vladimir Simic verlor so seinen Arzt. „Von heute auf morgen war das“, sagt er. Bürgermeister Markus Keller und der Gemeinderat taten sich mit den sieben ortsansässigen Allgemeinmedizinern zusammen: Was könnte man tun?
Engagierter Allgemeinmediziner warb Kollegen ab
„Dass wir das geschafft haben, ist zu einem ganz großen Anteil Adalbert Scherzinger zu verdanken“, sagt Bürgermeister Keller. Adalbert Scherzinger, Allgemeinmediziner, warb für seine Praxis den Internisten Dirk Hildebrandt vom Schwarzwald-Baar-Klinikum ab. Seit April behandelt der die Blumberger – und auch Vladimir Simic. Das Problem ist gelöst, aber was bringt die Zukunft? Simic macht sich darüber viele Gedanken. Die Ärztin seiner pflegebedürftigen Mutter sei auch schon über 70 Jahre alt.
„Die hausärztliche Versorgung ist ein Problem und wir wollen nicht warten, bis es unlösbar geworden ist“, sagte Adalbert Scherzinger im Februar.
Doch solche Zitterpartien könnten in Zukunft aufgrund der vielen Ärzte im Rentenalter häufiger auf den Schwarzwald-Baar-Kreis zukommen.
Ortswechsel: In Triberg sieht die Lage derzeit noch besser aus
55 Kilometer von Blumberg entfernt liegt Triberg. Hier führt Markus Ruch eine Gemeinschaftspraxis mit zwei angestellten Fachärzten plus einer Kollegin in Weiterbildung zur Allgemeinmedizinerin. Mit dabei ist auch sein Vater Wolfgang Ruch, der mit über 70 noch praktiziert, der Patienten wegen. Einst hatten sein Vater Erich Ruch die Praxis gegründet.
„Bisher hat es sich bewahrheitet, dass sich immer irgendwie etwas ergeben hat“, sagt der 40-Jährige Markus Ruch. „Die Versorgung mit Hausärzten in Triberg ist gerade gut.“
In dem Städtchen kommen auf 930 Bewohner ein Arzt – so gut ist das Verhältnis in keinem anderen Ort im Schwarzwald-Baar-Kreis. Aber es steht auf dünnem Eis: Von den fünf Hausärzten in Triberg sind zwei über 60, ein weiterer ist über 70 Jahre alt. Geht einer davon in Rente ohne Nachfolge, kämen auf einen Arzt schon 1162 potenzielle Patientinnen. Gingen zwei in Rente, wären es gleich 1550 Patienten.
Wird Schlittern von Krise zu Krise Normalität?
Ist Krisen-Abwehr der neue Modus? Was ist mit langfristigen Plänen, um die Bevölkerung medizinisch sicher versorgen zu können?
Kai Sonntag, Sprecher der KVBW, sagt: „Wir haben insgesamt in Baden-Württemberg große Probleme, was die Versorgung mit Hausärzten angeht. Über viele Jahre hinweg haben sich weniger Hausärzte als Fachärzte niedergelassen.“ Die Konsequenzen zeigt die folgende Karte.
Es sei jedoch nicht so, dass junge Ärzte per se nicht aufs Land wollten, meint KVBW-Sprecher Sonntag. Vielmehr gebe es in ländlichen Regionen seltener die Bedingungen, die junge Mediziner heutzutage bevorzugten.
Nämlich: Angestellt sein oder eine Gemeinschaftspraxis übernehmen. Die wenigsten wollten Nachfolger eines Ein-Mann- oder Ein-Frau-Betriebs werden. Die KVBW locke mit Finanzierungshilfen für die, die eine Praxis übernehmen oder neu gründen.
Landarzt: „Unfassbar viel Bürokratie geworden!“
Der Triberger Landarzt Markus Ruch erklärt: „Ein Problem ist, dass sich heutzutage die wenigsten Ärzte den Stress einer Selbstständigkeit geben wollen. Es ist unfassbar viel Bürokratie geworden. Ich selbst habe manchmal mit meiner Selbstständigkeit zu kämpfen“, gibt er zu. Der ganze Ärger mit Abrechnungen, Personalangelegenheiten – da bleibe wenig Zeit für die medizinische Arbeit.
Wenn die Politik die Hausarztkrise bewältigen wolle, müsse sie für Bürokratieabbau und höhere Löhne sorgen. Fachärzte verdienen im Schnitt mehr als Allgemeinmediziner.
Zukunft gehört größeren Gemeinschaftspraxen
Er glaubt genau wie die anderen, mit denen der SÜDKURIER für diese Recherche gesprochen hat: Die Zukunft gehört nicht kleinen Arztpraxen, sondern größeren Gemeinschaftspraxen, in denen mehrere angestellte Mediziner arbeiten.

Und was macht Blumberg?
Zurück nach Blumberg: Bürgermeister Markus Keller und die Gemeinderäte denken bereits darüber nach, wie sie die Arbeit der Hausärzte weiter unterstützen können. „Wir wollen eventuell eine Art Dienstleistungsgesellschaft gründen, die ihnen die Bürokratie, also Abrechnungen, KV und so weiter, abnimmt.“ Der Gemeinderat hat außerdem beschlossen, im Gebäude der Gemeinschaftspraxis eigene Räume zu erwerben, um die Entwicklung vor Spekulanten zu schützen.
Eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Politik und engagierten Medizinern, so sehen es alle Beteiligte.
Nun gibt es weitere gute Nachrichten für Blumberg: Im Oktober soll noch eine Allgemeinmedizinerin die Gemeinschaftspraxis verstärken. Sie ist laut Bürgermeister Keller erst Mitte 30.
Krise abgewendet. Vorerst.