Am Mittwoch, da wurde auch noch ihr selbstgebautes Bett abgeholt. Ihre letzten Nächte in Villingen verbringt Birgit Reuner auf einer kleinen Matratze in einer Ecke ihres Wintergartens. Kommenden Dienstag, 17. September, geht es los: Die Rentnerin, die in ihrer Heimatstadt keine bezahlbare neue Wohnung finden konnte, startet in Richtung Ponte de Lima, Nord-Portugal.
Ihr Auto ist schon einsatzbereit. Birgit Reuner hat die Rückbank umgeklappt, ein gefüllter pinker Korb und ein Wasservorrat sind dort schon untergebracht, die restliche Ladefläche ist mit einer Decke ausgelegt. Dort wird in ein paar Tagen auch ihre 90 mal 190 Zentimeter große Matratze ihren Platz finden. Ruhestatt für die 68-Jährige auf ihrer Reise gen Süden. 149.328 Kilometer zeigt der Tachostand des betagten Wagens an diesem Vormittag in Villingen, mehr als 2000 Kilometer werden bald hinzukommen.
Dass es die 68-Jährige zunächst nach Ponte de Lima, in die älteste Stadt Portugals, verschlagen wird, liegt am SÜDKURIER. Nach dem ersten Bericht über das Schicksal der Rentnerin hatte sich ein Überlinger Ehepaar gemeldet, das ein Haus in dem Land besitzt. In die dortige Einliegerwohnung darf Birgit Reuner nun erst einmal einziehen. Ganz in Ruhe, so erzählt sie, wolle sie sich dann in dem Land nach etwas Eigenem umschauen.
Wie es ihr damit geht, alles hinter sich zu lassen? „Super“, sagt Birgit Reuner. „Ich freue mich jetzt total auf diesen neuen Lebensabschnitt.“ Dass die Auswanderungspläne eigentlich aus der Not heraus entstanden sind, das grämt sie heute nicht mehr. Weil ihre kleine Rente zum Leben nicht ausreicht und sie Altersgrundsicherung bezieht, konnte sie kein neues Zuhause finden, mit dem auch das Sozialamt einverstanden war.
In den vergangenen Wochen hat sie also ihr bisheriges Leben in zwei Koffer und ein paar kleine Taschen gepackt. „Man muss sich von alten Dingen befreien, wenn man neue anfängt.“ Ein Beispiel: Fünf Ordner mit Unterlagen und Dokumenten hat sie auf einen halben reduziert. Nur noch das Allerwichtigste ist da. „Ich habe auch meine ganzen alten Zeugnisse von früher entsorgt“, erzählt die Rentnerin und lacht.
Ihre Möbel haben fast alle neue Besitzer gefunden, Bügelbrett, Mikrowelle, Tischgrill – sie sind alle weg. Die handgearbeitete Eckbank, die noch von ihren Eltern stammt, ging nach Bulgarien. Für die letzten Tage in Villingen hat sich Birgit Reuner also einen Stuhl von einer Nachbarin ausgeliehen. Sorgenkinder sind jetzt nur noch ein paar kleine Habseligkeiten, die bislang keiner wollte – ein Kleiderständer etwa, ein Entsafter und diverses Geschirr. „Wegwerfen wäre schade“, sagt die Seniorin.
Bevor die große Fahrt startet, will Birgit Reuner noch ein paar Tage bei ihrer Tochter in Bad Tölz verbringen. Dann geht es los, unterhalb von Paris Richtung Atlantik, dann immer die Küste entlang. Komplett auf kleinen Straßen und Sträßchen, abseits der Autobahnen. „Die Gebühren“, erklärt die Rentnerin. Und außerdem: Auf diese Weise sehe man einfach mehr.
300, 400 Kilometer wollen sie und ihr altes Auto pro Tag schaffen. „Wenn es mal nur 200 sind, ist es auch nicht schlimm.“ Denn eine Sache, die will Birgit Reuner nach den turbulenten Monaten nicht mehr: „Keinen Stress mehr!“
