In der Corona-Pandemie haben viele Menschen das Lesen wieder entdeckt. Was will man auch tun mit der vielen freien Zeit, wenn alle sonstigen Aktivitäten wegbrechen? Kein Urlaub, kein Fitness-Studio, kein gemütliches Frühstück im Café, keine Kulturveranstaltungen – all das fehlt uns so schmerzhaft. Zum Glück bleiben uns die Bücher und hier setzen die Menschen auf ganz unterschiedliche Genres in der Pandemie. Sachbuch oder Belletristik, Lehrbuch oder Krimi? Eigentlich egal, hauptsache das Buch entführt uns aus der aktuellen Corona-Pandemie und bietet und die Chance einzutauchen in eine andere Welt.

Zum Welttag des Buches stellen SÜDKURIER-Redakteure verschiedene Bücher vor, die sie aktuell gerade lesen oder von denen sie überzeugt sind, dass man sie lesen müsste.

Jens fröhlich steht auf Sachbücher.
Jens fröhlich steht auf Sachbücher. | Bild: Fröhlich, Jens

Ein Hoch auf das Sachbuch

  • Jens Fröhlich: Romane lese ich nicht, Krimis, lustige Schmöker oder Biografien eigentlich auch nicht. Thriller vielleicht? Nur selten, höchstens mal im Urlaub am Strand, in der Hängematte oder auf langer Fahrt. Und trotzdem bin ich ein Fan von Büchern. Von Sach- und Lernbüchern, um genau zu sein. Die gibt es für alle erdenklichen Themenbereiche. Meine Auswahl hier beschäftigt sich beispielsweise mit dem Gitarrenspielen, mit Drehen für Hobbyhandwerker, oder ganz speziell, wie man von Hand einen Teleskopspiegel schleift. Letzteres kann ich übrigens wärmstens empfehlen. Ich war mittlerweile erfolgreich, was man vom Fortschritt mit dem Gitarrenbuch noch nicht vollumfänglich behaupten kann. Im Regal stehen noch weitere Exemplare zum Beispiel über Baumpflege, Bestimmungsbücher oder das Programmieren. Gibt es doch alles im Internet, mögen nun sicher einige behaupten. Da stimme ich zu, allerdings geht meinen Sachbüchern niemals der Strom aus, ich kann sie überallhin mitnehmen und die Informationen werden gebündelt und aufbereitet serviert. Nicht so nach stundenlanger Netzrecherche, dann gleicht die Ausbeute häufig einem chaotischen Sammelsurium. Also, nichts wie ran an die Sach- und Lehrbücher. Die kann man übrigens immer wieder aufschlagen, und muss nicht alles auf einmal lesen.
Claudia Hoffmann ist tief berührt von „Ein wenig Leben“.
Claudia Hoffmann ist tief berührt von „Ein wenig Leben“. | Bild: Hauser, Gerhard

Eine emotionale Achterbahnfahrt

  • Claudia Hoffmann: Welches Buch hat mich in der letzten Zeit am meisten gefesselt? Da sind die vielen Krimis, die ich liebe, ganz weit vorn im Ranking ist „Kaltes Gold“, der sechste Band der Reihe um das eigenwillige Ermittler-Duo Olivia Rönning und Tom Stilton von Cilla Börjlind und Rolf Börjlind. Aber ich denke immer, Krimis sind wenig nachhaltig, man liest sie mit Begeisterung, vergisst sie aber auch schnell wieder. Ganz anders ist das mit Roman „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara, den ich Ihnen ans Herz legen möchte. Aber Vorsicht: Er reißt einen mit in eine wahre Achterbahn der Emotionen, ich habe selten so viel geweint bei der Lektüre eines Buches. Die Geschichte von der lebenslangen Freundschaft von vier Männern in New York, die im College beginnt und mit dem Tod zweier Protagonisten endet, ist einfach nur furios, tieftraurig und gleichzeitig auch voller Humor und Poesie.
    Die knapp 1000 Seiten habe ich in wenigen Tagen (und Nächten) verschlungen, man wird regelrecht süchtig und muss unbedingt wissen, wie es weitergeht mit JB und Malcolm, vor allem aber mit Willem und Jude, der so charismatisch ist und so viele Verletzungen und Demütigungen in seinem Leben erlebt hat, dass er daran zerbricht. Das Buch ist keine leichte Kost, stellenweise möchte man es einfach zuschlagen und sagen „Es reicht“, gleichzeitig ist man aber wie hypnotisiert von der Geschichte, die Yanaghihara so sprachgewaltig, poetisch, mitreißend und brillant erzählt. Sie rückt mit Jude eine Figur in den Fokus, die massivem sexuellen Mißbrauch ausgesetzt war und darunter lebenslang so sehr leidet, dass auch bedingungslose Freundschaft seine Seele nicht heilen kann. Das Buch gibt es als Taschenbuch im Piper-Verlag für 16 Euro.
Das Buch Zeitoun erzählt eine Geschichte aus New Orleans nach dem verheerenden Orkan Katrina.
Das Buch Zeitoun erzählt eine Geschichte aus New Orleans nach dem verheerenden Orkan Katrina. | Bild: Sean Gardner

Ein Drama nach dem Orkan

  • Gerhard Hauser: Kürzlich fiel mir in der Villinger Stadtbücherei aus einem Ständer für lesenswerte Bücher „Zeitoun“ des amerikanischen Autors Dave Eggers in die Hände. Ich habe es mehr oder weniger in einem Rutsch verschlungen. Es ist tatsächlich ein sehr lesenswertes Buch, weshalb ich es hier vorstellen möchte. Eggers ist durch den Science-Fiction-Roman „Der Circle“ über einen mächtigen Internetkonzern bekannt geworden (auch dieses Buch ist nicht schlecht). „Zeitoun“ nennt er selbst einen Reportageroman. Die Geschichte beruht also auf Tatsachen, ist aber mit erzählerischen Momenten angereichert und berichtet damit sehr kurzweilig aus dem Leben des Handwerkers Abdulrahman Zeitoun, der aus Syrien in die USA geflüchtet war und sich dort in New Orleans eine neue Existenz aufgebaut hatte.
    Dann zerstörte der Hurrikan Katrina die Metropole und für Zeitoun änderte sich sein Leben grundlegend. Denn er kehrte trotz der Warnung der Behörden nach New Orleans zurück, um sich um die Häuser seiner Kunden und um das seiner Familie zu kümmern. Für diese Stippvisiten nutzte er sein eigenes Kanu, das unversehrt geblieben war. Das ging eine Zeitlang gut – bis, ja bis in die US-amerikanische Wirklichkeit einholte. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel verraten. Was dann passierte, beschreibt Eggers aus der Sicht von Zeitouns Frau Kathy und von Zeitoun selbst. Eggers hat sich viel Zeit genommen, um nach dem Drama mit der syrisch-amerikanischen Familie zu sprechen. Eggers hat das Buch nie mit erhobenem Zeigefinger geschrieben, was ich als sehr angenehm empfunden habe, auch wenn er nie einen Hehl daraus macht, auf wessen Seite er steht. Er erwähnt auch die Motivation der Polizeieinheiten, die eine sehr wichtige Rolle spielen. Kurzum: Es ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte, das Buch kann in der Stadtbücherei ausgeliehen werden oder es ist für knapp zehn Euro als Taschenbuch (Verlag Kiepenheuer und Witsch als KiWi-Taschenbuch) zu kaufen.
Nathalie Göbel stöbert vergessene Plätze auf.
Nathalie Göbel stöbert vergessene Plätze auf. | Bild: Göbel, Nathalie

Vergessene Orte

  • Nathalie Göbel: Leer stehende Jugendstilvillen, verlassene Hotels, düstere Industriebrachen – seit vielen Jahren träume ich davon, Orten wie diesen regelmäßig Besuche abzustatten. Manchmal klappt es aus beruflichen Gründen, meistens bleibt‘s beim Wunschdenken. Gut, dass es Bildbände wie „Lost Places im Schwarzwald“ (Gmeiner Verlag) von Jasmin Seidel gibt. Auf knapp 200 Seiten nimmt mich die Fotografin aus Waldkirch mit zu vergessenen Orten. Da gibt es die alte Schokoladenfabrik, in der immer noch die Gussförmchen für Maikäfer und Osterhasen herumliegen, das von Moos überwucherte Autowrack in irgendeinem Wald oder auch „das Schloss“ – mit wunderschönen Stuckelementen an den Decken, einem Jagdzimmer mit Geweihen an der Wand und einer vollständig erhaltenen Bibliothek. Dazu gibt es jeweils Geschichte(n) rund um die vergessenen Orte. Übrigens: Ein Lost Place von hier ist auch dabei. Er liegt im Neckarstadtteil. Erkannt habe ich ihn an einem Graffiti-Tag, den man in VS an vielen Stromkästen sieht. Besonders originell ist der Schriftzug zwar nicht, aber so einprägsam, dass ich den Lost Place lokalisieren konnte.