Was tun, wenn die heranwachsende Tochter mit Behinderung die Schule beendet hat? Diese Frage stellten sich Stefanie und Markus Wagner. Auf dem ersten Arbeitsmarkt sahen sie für Mia praktisch keine Chance. In einer Behindertenwerkstatt, wo ihr Kind nur für ein Taschengeld arbeiten soll, wollten sie sie nicht unterbringen.
Stefanie und Markus Wagner haben eine unkonventionelle Lösung gefunden und einen Gasthof gekauft. Den betreiben sie nun als Inklusionsbetrieb mit einem ganz besonderen, ganzheitlichen Konzept. Inklusive Naturküche und Ölmühle.
Seit November neue Betreiber
Seit vergangenen November sind Stefanie und Markus Wagner Inhaber des Landgasthofs Hirzwald, oberhalb von Brigach, ein traditionsreiches Höhengasthaus im Schwarzwald. Dass sie einmal zu Gastronomen werden würden, hätte das aus Karlsruhe stammende Ehepaar noch vor einem Jahr nicht geahnt. Markus war selbständiger Unternehmer mit einem Sicherheitsdienst, seine Frau Stefanie ist Erzieherin.

„Als unsere Tochter Mia im vergangenen Jahr die Schule beendet hatte, standen wir vor der Entscheidung über ihre Zukunft“, schildert ihr Vater Markus. In eine Behindertenwerkstätte wollten sie Mia nicht geben.
„Die Werkstätten bei uns sind sehr automotiv ausgerichtet“, sagt Markus Wagner. Das heißt, dass die meisten Werkstätten Baugruppen für die Automobilindustrie fertigen. „Mia ist es gewohnt, ein Produkt von A bis Z komplett herzustellen. Wenn sie jetzt nur ein Teil produzieren soll, ohne zu wissen, wofür das ist, hat sie damit Schwierigkeiten.“
Chance auf einen Arbeitsplatz geben
Außerdem wollten sie ihrer Tochter eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt geben, wo sie statt eines Taschengeldes ein eigenes Einkommen und somit auch Rentenansprüche hat.
Ohne eine genaue Vorstellung zu haben, in welche Richtung es gehen soll, durchsuchten die Wagners das Internet. „Wir waren völlig offen für etwas Neues und haben eines Tages das Gasthaus Hirzwald entdeckt, das zum Verkauf stand“, sagt Markus Wagner.
Die ganze Familie, zu der neben Tochter Mia auch der 13-jährige Sohn Lenny gehört, habe sich sofort in das Objekt verliebt und so brachen sie in Karlsruhe alle Zelte ab und fanden mit dem Höhengasthaus ein neues Zuhause.
„Menschen sind nur glücklich, wenn sie gebraucht werden.“Markus Wagner, Inhaber Gasthaus Hirzwald
Ein Verein betreibt jetzt den Hirzwald
Betrieben wird der Gastronomiebetrieb jetzt vom nicht eingetragenen Verein „Gemeinsam leben und arbeiten im Herzen des Schwarzwaldes“. „Vereinsziel ist es, Menschen mit Handicap auf dem ersten Arbeitsmarkt zu beschäftigen“, sagt Markus Wagner, der auch Vorsitzender des Vereins ist. Und der auch sagt: „Menschen sind nur glücklich, wenn sie gebraucht werden.“ Der Verein hat inzwischen 24 Mitglieder. Ebenso viele Personen sind dort ehrenamtlich engagiert.

Integration wird bei den neuen Betreibern nicht nur in Bezug auf Inklusion behinderter Menschen großgeschrieben. So ist die Speisekarte darauf ausgerichtet, möglichst alle Belang der Gäste zu erfüllen. „Wir haben zwar den Fokus auf vegetarische und vegane Gerichte ausgerichtet. Aber man findet bei uns auch Schnitzel und Wurstsalat auf der Karte. Denn wir wollen auch beim Essen niemanden ausgrenzen.“
Auch die Karte mit integrativem Ansatz
Mit dem aus Brigach stammenden Naturkoch Jan Braun haben die Wagners einen Küchenchef gefunden, der dieses Konzept in vollem Umfang mitträgt. Er kocht mit frischen Wildkräutern und fermentiertem Gemüse. Sogar das Brot ist selbst gebacken. „Die Grundzutaten für unsere Speisen stammen alle aus dem Schwarzwald“, sagt Wagner.
Bereits zwei Mitarbeiter mit Handicap
Inzwischen ist Mia nicht mehr die einzige Arbeitskraft mit Handicap. Parsival Bauer aus Königsfeld absolviert derzeit ein Praktikum. Der junge Mann arbeitet derzeit noch in einer Behindertenwerkstatt, wird aber ab Oktober fest zum Mitarbeiterstamm im Hirzwald gehören.
Wenn Parsival neu ankommende Gäste mit einem fröhlichen „Servus“ begrüßt und ihnen die Getränke und Speisen serviert, ist er in seinem Element. „Die Kommunikation mit den Gästen ist genau sein Ding“, sagt Markus Wagner. In der Zukunft soll der Hirzwald als Inklusionsbetrieb weiter ausgebaut werden. „Aber wir wollen langsam wachsen“, betont der Chef.
Viel los an den Wochenenden
Bei den Gästen komme das neue Konzept übrigens gut an. „Unsere Gäste sind offen für das Konzept“, sagt der Neu-Gastronom. Das merke man auch an der steigenden Nachfrage. „Inzwischen bekommen die Gäste am Wochenende ohne Reservierung kaum einen Platz.“
Parken bleibt für Gäste kostenlos
In dem Zusammenhang klärt Wagner auch über die vermeintliche Parkgebühr für die Gäste auf. „Anfangs war der Parkplatz so mit abgestellten fremden Fahrzeugen und Dauerparkern voll, dass unsere Gäste keinen Parkplatz mehr bekommen haben.“ Deshalb sah er keinen anderen Ausweg, als einen Parkautomaten aufzustellen. Für Hirzwaldgäste ist das Parken weiterhin kostenlos. Sie bekommen die Parkgebühr von der Rechnung wieder abgezogen.
Und noch etwas ist neu beim Gasthaus Hirzwald. In der eigenen Ölmühle produzieren die neuen Inhaber verschiedene Öle. „Wir haben Sonnenblumenöl, Leinöl, Haselnuss- und Hanföl und vieles mehr.“ Zusätzliches Plus für die Gäste: Für jedes Essen auf de Speisekarte ist angegeben, welches Öl aus eigener Produktion dafür verwendet wurde.