Ein Boot, sieben Männer sitzen darin. Das Boot droht unter zu gehen. Die Männer diskutieren. Anstatt einfach die Ruder in die Hand zu nehmen und das Boot auf Kurs zu bringen. Das beschriebene Bild stammt aus einer Karikatur von Paul Weber. Für Matthias Henschen, den Leiter der Kinderklinik im Schwarzwald-Baar-Klinikum, fühlt es sich zur Zeit ein bisschen so an, als säßen wir alle in diesem Boot.

„Es macht mich traurig und manchmal auch aggressiv.“ Das Zaudern, das Reden und nicht Handeln. „Ich frage mich, wie lange wollen wir in diesem Boot sitzen und diskutieren?“

Die Kinder zu impfen, das hielt er schon bei den Zwölfjährigen für sinnvoll. Bei den ab Fünfjährigen, für die die Europäische Arzneimittelbehörde nun den Impfstoff zugelassen hat, hält er es ebenfalls für sinnvoll. „Die Kinder sind Teil der Gesellschaft und somit auch Teil des gesamten Systems.“ Und wie bei den Zwölfjährigen zuvor würde er sich wohl, auch wenn er es nicht so deutlich ausspricht, ein schnelleres Handeln der Stiko wünschen.

Aber er sieht auch die Kinderärzte in der Pflicht. „Irgendwo müssen wir uns positionieren und nach außen eine klare Linie transportieren.“ Wer könne von Eltern erwarten, dass sie ihre Kinder impfen lassen, wenn die Stiko eine Empfehlung ausspricht, der Kinderarzt aber davor immer noch zum Abwarten geraten hatte.

„Wir dürfen uns nicht mehr lange Zeit lassen, weil wir sonst die Kurve nicht mehr kriegen.“
Matthias Henschen, Chefarzt der Kinderklinik

Nur mit potenziellen Nebenwirkungen zu argumentieren ist für ihn nicht schlüssig. „Parallel dazu müssen wir die psychosoziale Komponente der Kinder sehen.“ Und die sei am Ende um einiges schwerer zu gewichten.

„Drei Millionen Kinder sind inzwischen weltweit geimpft. Das scheint doch eine ganz gute Grundlage zu sein“, sagt Henschen. Hinzukomme, dass es keine Daten über schwere Nebenwirkungen gebe. Im Gegenteil. „Es scheint so, dass die kleinen Kinder die Impfung besser vertragen und dass die Wirkung sogar viel besser ist.“

Das sagt ein Kinderarzt

Wenn es die entsprechenden Dosen für die Kinder gibt, will Johannes Schelling in seiner Kinderarztpraxis in Schramberg mit den Impfungen beginnen. Schon jetzt bietet er den Eltern Termine dafür an. Die Nachfrage ist groß. „Die Eltern kommen proaktiv, aber schon sehr lange, eigentlich seit es einen Impfstoff gibt.“

So groß die Nachfrage ist, so wichtig ist auch die Aufklärung. Schelling will nicht unbedingt die Empfehlung der Stiko abwarten. „Dadurch bekomm ich auch nicht mehr Sicherheit.“ Er bleibt genauso in der Verantwortung und aufklären muss er trotzdem. Wenngleich der letzte Punkt ein wenig unkomplizierter werden würde.

Denn: „Wenn man außerhalb der Stiko-Empfehlung impft, dann müssen beide Elternteile zustimmen.“ Das gestaltet sich in Pandemie-Zeiten etwas schwierig. In der Praxis ist nur eine Begleitperson erlaubt. Schelling hat aber auch hierfür schon eine Lösung. Wahrscheinlich, sagt er, werde er am Abend vor der Impfung bei den Eltern anrufen und mit beiden ein Aufklärungsgespräch führen.

„Ich denke, sagt Schelling, die Kinder zu impfen ist ein kleiner zusätzlicher Schritt aus der Pandemie raus.“ Ein Schritt wohlgemerkt. „Die Impfung aller Erwachsener ist der Weg, der aus der Pandemie führt.“ Das ist ihm wichtig zu betonen. Er weiß warum, nicht selten sitzen auch ungeimpfte Eltern bei ihm in der Praxis.

Das sagen die Eltern

Michael Osburg ist im Vorstand des Gesamtelternbeirates Kita VS und hat bei den Eltern im Beirat einmal herumgefragt, wie sie zur Impfempfehlung der EMA für Kinder ab fünf Jahren stehen. Das Ergebnis fasst er so zusammen: „Eine leichte Tendenz zeigt, dass die Mehrheit einer Impfempfehlung für Kinder ab fünf Jahren nicht Folge leisten würde.“

Die Befürworter einer Impfung, so Osburg, argumentieren vor allem mit dem ersehnten Selbstschutz für die Kinder, möglichen Long-Covid-Folgen und dem Schutz für die Allgemeinheit. Die Kritiker argumentieren mit möglichen, noch unbekannten Nebenwirkungen auf der einen und leichten Verläufen bei Kindern auf der anderen Seite.

Das große Ganze

Auch Johannes Schelling kennt die Argumente der Impfgegner. Er sagt: „Wir wissen noch so viel nicht von diesem Virus.“ Neue Mutationen, neue Varianten. Wer wisse schon, was noch alles komme. Der Impfstoff hingegen, von dem wisse man doch recht gut, dass er sicher sei. „Es ist extremst unwahrscheinlich, dass es Langzeitfolgen gibt.“

Matthias Henschen ärgert an den ganzen Argumenten gegen das Impfen noch eine ganz andere Dimension: „Wir sind in unseren individuellen Meinungen gefangen. Und nicht bereit, das große Ganze anzuschauen.“ Er kann das sagen. Er sieht das große Ganze jeden Tag.

Dann, wenn er mit seinen Kollegen entscheiden muss, was noch warten kann, noch warten muss: Der Hirntumor? Die schmerzhafte Hüfte, mit der der Patient nicht mehr laufen kann? Der 93-jährige Covid-Patient, der nicht geimpft ist? Entscheidungen, die sie inzwischen jeden Tag treffen müssen. „Die Priorisierung hat schon lange begonnen“, sagt Henschen. Und fügt hinzu: „Was sollen wir machen? Wir haben nur eine bestimmte Kapazität, um das zu behandeln.“