Herr Westermann, Sie haben im Februar vor erheblichen Folgen durch Corona gewarnt und gesagt, dass uns das noch um die Ohren fliegen wird. Ist das Befürchtete eingetroffen?
Ich war immer schon der Meinung, dass es nicht die Bildungslücken sind, sondern vor allem die sozialen Komponenten sind verloren gegangen. Wenn um die Ohren fliegen heißt, dass es größere Probleme gibt, dann ist das noch nicht passiert. Außerschulisch glaube ich aber, dass es noch ein Thema wird, weil bei vielen das Interesse, beispielsweise an Vereinen, nachgelassen hat. Die haben erlebt, dass es in der Corona-Zeit auch ohne ging und das hat Folgen.
Und in der Schule?
Für die Kolleginnen und Kollegen gibt es einen täglichen Kampf. Weil die Schüler sich umstellen müssen, jetzt nicht mehr alleine zu Hause sind, wieder in einer Klasse sitzen und beispielsweise nicht einfach aufstehen können, wann sie wollen. Und auch die Einstellung von manchen Eltern zur Schule hat sich verändert. Es gibt Eltern, die melden ihr Kind auch mal vom Nachmittagsunterricht ab, weil sie eine Einkaufstour planen.
Schule schwänzen fürs Einkaufen? Man hätte ja eher gedacht, dass der Wert der Schule jetzt viel klarer ist als vorher.
Natürlich waren alle froh, dass wieder Präsenzunterricht stattfinden kann und man sich wieder sehen konnte. Bei den angesprochenen Beispielen reden wir immer von Ausnahmen und von wenigen Eltern. In der großen Masse glaube ich schon, dass die Eltern froh sind.
Was hätte die Politik besser machen können? Oder ließ sich das, was Sie als Folgen beschreiben, nicht verhindern?
Ich wüsste nicht, wie man das hätte auffangen sollen. Ob man früher das Vereinsleben wieder hätte aktivieren können? Ich weiß nicht, ob das funktioniert hätte.
Tut die Politik genug gegen mögliche Bildungslücken?
Das ist nach ein paar Wochen Schule schwer zu sagen. Ich glaube aber, dass wir die Bildungslücken im Laufe des Schuljahres, beziehungsweise im Laufe einer Schullaufbahn, größtenteils auffangen können. Es gibt aber auch Fälle wie unsere Drittklässler, die zwei Jahre lang fast keine, beziehungsweise nur unregelmäßig Schule hatten, und erst jetzt Erfahrungen im Schulalltag sammeln. Als die Schule im März 2020 geschlossen hat, waren die gerade einmal ein halbes Jahr in der Schule.
Das Land hat das Programm „Lernen mit Rückenwind“ initiiert. Läuft das bei Ihnen schon an?
Wir haben die ersten Informationen und haben uns angemeldet und auch schon das erste Personal rekrutiert. Ich vermute, dass das in den nächsten 14 Tagen in den Grundschulen startet.
Sie stehen über das Schulnetzwerk im engen Kontakt zu anderen Schulleitern. Sie haben betont, dass das unter anderem Schulwechsel leichter macht. Kommt das wegen Corona denn häufiger vor?
Nein, zum Schuljahreswechsel gab es die ein oder andere Bewegung nach unten. Aber es ist nicht so, dass ein besonderer Anstieg an Schülern zu verzeichnen ist, die von der Realschule zu uns kommen. Ich denke, dass viele Eltern bis zur Halbjahresinformation im Februar warten. Die nächsten Klassenarbeiten und Tests werden mögliche Defizite zeigen.
An welchem Punkt der Pandemie stehen die Schulen? Wieder zurück in Präsenz und damit wieder in der Normalität? Oder wie weit ist der Weg zurück noch?
Die Pandemie ist noch zu spüren. Die Schüler machen drei Tests pro Woche. Das ist zwar mittlerweile Routine, aber nicht die Normalität. Außerdem laufen wir mit Mund-Nasen-Schutz herum und haben getrennte Pausenhöfe. Wir sind also noch von dem Alltag von vor Corona entfernt. Und ich gehe auch davon aus, dass das noch eine Weile so bleiben wird.
Wie lief das Schuljahr denn bei den Tests an?
Wir hatten in den ersten Wochen keine positiven Tests in der Schule. In der Grundschule gab es teilweise welche, die Kinder machen den Test zu Hause. Da war der Schnelltest dann positiv und der PCR-Test negativ. Von Quarantäne oder davon, ganze Klassen zu separieren, sind wir verschont geblieben. Wenn das bis zum Ende der Pandemie so bleibt, dann soll mir das recht sein.
Ärgert Sie bei all dem Aufwand, dass die Impfquote nur noch mäßig steigt?
Bei uns sind vier oder fünf Schüler geimpft. Ich weiß nicht, warum die Kinder nicht geimpft sind. Das will ich auch nicht wissen. Wenn Eltern sagen, unser Kind soll drei Mal in der Woche getestet werden und wird nicht geimpft, dann ist das in Ordnung. Und der Nachweis einer Impfung ist für mich genauso in Ordnung.