Die Corona-Pandemie hat zumindest zeitweise wesentlich zur Beschleunigung der Digitalisierung in der Gesellschaft und am deutschen Bildungssystem beigetragen. Bei einer Hybrid-Veranstaltung des Virtual Dimension Centers (VDC) im Technologiezentrum berichteten Leiter von Bildungseinrichtungen aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen über die Umsetzung digitaler Corona-Strategien an ihren Schulen und den Erfahrungen, die sie nach einem Jahr intensivem digitalem Schulbetrieb gemacht haben.

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In einem Fazit, das er im Vorabgespräch mit dem SÜDKURIER zog, stellte VDC-Geschäftsführer Martin Zimmermann fest, dass „die Digitalisierung während der Pandemiezeit einen ganz neuen Stellenwert bekommen hat.“ War das Interesse der Schulen zuvor eher verhalten, sei die Nachfrage nach der von der Firma Imsimity entwickelten digitalen Lernumgebung, einem sogenannten Cyber Classroom, merklich angestiegen. „Das kann auch daran liegen, dass es finanzielle Zuschüsse gab.“ Zimmermann sieht jetzt die Gefahr, dass, wenn sich der Schulalltag wieder weitgehend normalisiert hat, „alles wieder in die gewohnten Muster zurückfällt.“

Obwohl die damalige Kultusministerin Susanne Eisenmann (Bild Mitte) bei ihrem Besuch 2018 von der digitalen Innovation begeistert war, ...
Obwohl die damalige Kultusministerin Susanne Eisenmann (Bild Mitte) bei ihrem Besuch 2018 von der digitalen Innovation begeistert war, harzt es bis heute am Vortrieb der Digitalisierung, findet Martin Zimmermann (links). | Bild: Sprich, Roland

Enttäuscht zeigt sich Zimmermann auch darüber, dass auch der Besuch politischer Entscheidungsträger nichts bewirkt habe. „Wir hatten die damalige Kultusministerin Eisenmann und Innenminister Strobl zu Besuch. Getan hat sich nichts.“

Ralf Heinrich, Noch-Schulleiter am Thomas-Strittmatter-Gymnasium, war einst ein Pionier in Sachen Digitalisierung an den Schulen und gilt bis heute als Verfechter der Digitalpädagogik. Als Martin Zimmerman ihm vor rund 20 Jahren erstmals die Idee des digitalen Klassenzimmers vorstellte, war er sofort Feuer und Flamme.

Das Thomas-Strittmatter-Gymnasium war maßgeblich an der Entwicklung des Cyber Classrooms beteiligt, wurde zu ersten Smart School in Baden-Württemberg und eine der ersten in Deutschland, die unter Heinrichs Ägide moderne Lernformen mit dreidimensionalen und auch virtuellen Anwendungen in den Unterricht implementierte. Und Heinrich war fest davon überzeugt, dass diese Lernmethoden innerhalb kürzester Zeit zum normalen Unterrichtsstoff gehören würden.

„Wir müssen jetzt abheben und dürfen nicht in ‚German Angst‘ verfallen, ansonsten sehe ich schwarz für das deutsche Bildungssystem.“
Ralf Heinrich, Rektor des Thomas-Strittmatter-Gymnasiums

Die Ernüchterung folgte prompt. Zwar sei der Cyber Classroom 2005 auf der Frankfurter Buchmesse als bahnbrechende Idee präsentiert worden und auf großes Interesse gestoßen. Danach tat sich erst einmal – nichts. Auch der ein Jahr später ausgelöste Versuch, als erste Schule in Deutschland mit Notebooks ausgerüstet zu werden, ging weitgehend in Schall und Rauch auf. „Wie kann ein Schulsystem so resistent gegen Digitalisierung sein“, klagte Ralf Heinrich das deutsche Bildungssystem an. Und gab sich selbst eine Antwort. „Die Schule ist ein eifersüchtiges Medium, das keine anderen Medien neben sich duldet.“

Genau dies bremse die Euphorie und die Erwartung, dass die Digitalisierung an den Schulen auch nach der Pandemie anhält und weiter voranschreitet. Heinrich befürchtet sogar, dass der „Corona-Schub in die falsche Richtung gehen könnte“. So seien durch Datenschützer bereits die Nutzung mehrerer Plattformen für Onlinemeetings an Schulen untersagt worden, wie Heinrich bedauerte. Er appellierte daran, den jetzigen Corona-Schwung zu nutzen. „Wir müssen jetzt abheben und dürfen nicht in ‚German Angst‘ verfallen, ansonsten sehe ich schwarz für das deutsche Bildungssystem“, machte Heinrich deutlich, wie schlecht er die Situation einschätzt.