Für eine hinreißende Aufführung hat es im Villinger Theater am Ring drei Stunden nach Beginn minutenlangen begeisterten Beifall gegeben. Die 1737 uraufgeführte Barockoper „Giustino“ von Georg Friedrich Händel hat rundum mit einer Inszenierung überzeugt, die einen exakt geplanten und fantasiereichen Brückenschlag zwischen zwei ganz unterschiedlichen Kunstformen verwirklicht hat.
Versierte Solisten
Die Lautten Compagney Berlin, eines der seit Jahren renommiertesten instrumentalen Barockensembles, und sechs in historischer Aufführungspraxis gleichermaßen versierte Gesangssolisten haben gemeinsam mit der Mailänder Marionetten-Kompagnie Carlo Colla e Figli das in Musik gesetzte Drama von Händel ungemein farbig, spannungsreich und erheiternd umgesetzt.
Turbulentes Stück
Die im spätantiken Byzanz angesiedelte Handlung ist pseudohistorisch, genretypisch verwickelt und nicht immer übersichtlich. Zu den Hauptakteuren zählen nicht nur Persönlichkeiten aus Herrscherhäusern und hohe Militärs, sondern auch die Glücksgöttin Fortuna und insbesondere der Titelheld Giustino; er bringt es vom einfachen Bauern durch allerlei Fährnisse hindurch zum Staatsregenten. Dazu gesellen sich schnaubende Untiere, eine skelettierte Geistererscheinung und zwitschernde Vögel – ein turbulentes Stück mit „lieto fine“, also glücklichem Ausgang.
Einfach zum Staunen
Die von Eugenio Monti Colla verantwortete Marionettenbühne ist von barockem Reiz, ihren Bühnenvorhang schmückt ein oströmisches Herrscherpaar unter einem mosaikartigen blauen Himmel mit goldenen Sternen. Dahinter sind je nach Szene detailfreudig gestaltete Bühnenbilder zu sehen: Innenräume von Palästen, ländliche Idyllen, Meeresgestade mit wogenden Wellen und anderes mehr. Die von zwölf Marionettenspielern perfekt bis in kleinste Körperbewegungen geführten Puppen haben eine ästhetische Qualität, die einen nur in Staunen versetzen kann.
Ein wahrer Genuss
Auch Händels Musik ist unter der Leitung von Jörn Andresen ein Genuss. Die sechs Gesangssolisten singen vom Rand des Orchestergrabens aus und sind so aus unmittelbarer Nähe zu hören. In der weit ausgreifenden Titelrolle des Giustino ist der emotional außerordentlich flexible Countertenor Georg Arssenij Bochow zu hören. Bei den Sängerinnen beeindruckt die Sopranistin Hanna Herfurtner, deren Ausdrucksspektrum von inniger Klage bis glückseliger Erleichterung reicht. Ihre Kollegin Myrsini Margariti lässt mit ihrer stimmlichen Substanz und Präzision etwa leidenschaftliche Erregung kraftvoll hören. Die Altistin Julia Böhme schließlich entfaltet ihr außerordentliches Profil, indem sie ihre Stimme von bemerkenswerten Höhen bis in tiefste Lagen ausnahmslos sehr klar führt.
Fast schon legendär
Und die Lautten Compagney? Die spieltechnische Virtuosität des Ensembles, seine absolute Zuverlässigkeit als Spielpartner und seine grandiosen expressiven Möglichkeiten sind fast schon legendär. Zu Recht!