Keine Fasnet und kein Karneval im Coronajahr 2021. Das erinnert viele Zeitgenossen an das Jahr 1991. Auch damals, vor genau 30 Jahren, wurden bundesweit alle närrischen Umtriebe abgesagt. Doch nicht alle hielten sich daran. Auch nicht in Villingen. Der SÜDKURIER erinnert im Folgenden an eine denkwürdige Fasnet, die eigentlich nie hätte stattfinden sollen.

Fasnet zum Trotz

Über die damalige Gemengelage legen folgende Zeilen Zeugnis ab: „Wir befinden uns im Jahr 1991 n. ‚Chr. Ganz Germanien ist überschattet von den Kriegswirren am Golf. Überall im Land wurde das Fröhlichsein abgesagt. Sagte ich überall? Nicht doch!! Ein kleines Städtchen im Süden des Landes wollte sich nicht trennen von Brauchtum und Heiterkeit. Sie entgegneten der abgesagten Fasnet mit Trotz“.

„S‘ Häs derf“. Mit viel Witz karikierten Villinger Narren 1991 die abgesagte Fasnet, die dann doch noch stattfand. Die ...
„S‘ Häs derf“. Mit viel Witz karikierten Villinger Narren 1991 die abgesagte Fasnet, die dann doch noch stattfand. Die Schwarzweißbilder wurden damals im SÜDKURIER veröffentlicht. | Bild: Hahne, Jochen

So liest sich, frei nach Asterix, das Vorwort einer Broschüre über die abgesagte Villinger Fasnet von 1991, einer Fasnet, die dann noch auf wundersame Weise irgendwie stattfand – und bis heute die Gemüter bewegt. Das erwähnte Heftchen tauchte zum ersten Mal beim Sommerfest der Narrozunft im 22. Juni 1991 auf und wurde den „Heftlemachern“ fast aus den Händen gerissen. Geschrieben und illustriert wurde es vom harten Kern jener damals jungen Akteure, die Anfang Februar 1991 mit zwiespältigen Gefühlen „auf die Gass‘ gingen, um trotz Kriegsangst, moralischem Druck und Einschüchterungen ein bisschen Fastnacht zu feiern und Spaß zu haben.

Der Golfkrieg-Schock

Dass damals Mut dazu gehört, Fastnacht feiern zu wollen, lag, wie gesagt, nicht an der Obrigkeit, nicht an der Polizei und an staatlichen Verboten, sondern an den Umständen der Zeit: dem Ausbruch des Golfkriegs. Im Sommer 1990 überfielen die Truppen des irakischen Gewaltherrschers Saddam Hussein das Nachbarland Kuwait und besetzten das kleine, aber ölreiche Scheichtum am Persischen Golf. Nach dem der Diktator seine Beute nicht mehr hergeben wollte, schmiedeten die USA eine große Militär-Koalition. In Saudi-Arabien marschierten fast eine Million Soldaten der Anti-Irak-Allianz auf, um Kuwait zu befreien.

Kein Häs, aber die Rollen.
Kein Häs, aber die Rollen. | Bild: Hahne, Jochen

Obwohl deutsche Truppen nicht beteiligt waren, löste der heraufziehende Krieg zu Jahresbeginn 1991 hierzulande große Ängste und Befürchtungen aus, wie zuvor keine andere militärische Auseinandersetzung nach dem Zweiten Weltkrieg. Niemand wusste damals: Gibt es ein riesiges Blutbad, werden ABC-Waffen eingesetzt, drohen Raketenangriffe und Terroranschläge in Europa, erleiden Deutschlands Nato-Partner schlimme Verluste? Die Narrenverbände standen urplötzlich vor der Frage, ob sie denn ungerührt Fasnet feiern wollen, wenn am Golf täglich tausende Tode zu beklagen seien. Unter dem Druck dieser moralischen Frage strichen die Narrenverbände früher oder später die Segel, im Südwesten zum Teil mit größtem Widerstreben.

Eine Massendemonstration gegen den Golf-Krieg im Januar 1991 in Deutschland. Die Stimmung war aufgeheizt.
Eine Massendemonstration gegen den Golf-Krieg im Januar 1991 in Deutschland. Die Stimmung war aufgeheizt. | Bild: imago stock&people

Die öffentlichen Auseinandersetzungen um die Fastnachtsabsage hatten die Stimmung indes enorm aufgeheizt. Vertreter des närrischen Brauchtums wurden zunehmend von militanten Friedensaktivisten bedroht. Ab Mitte Januar waren auch Fastnachtsvereine im Südwesten allerhand Telefonterror militanter linker Gruppen ausgesetzt. „Nach knapp einer Woche Golfkriege erreichte der Terror gegen alles, was mit Fastnacht zusammenhing, eine neue Dimension: es gab Bombendrohungen“, schrieb der Rottweiler Fastnachtsexperte Werner Mezger in dem Buch „Wenn die Narren Trauer tragen“.

Telefonterror gegen Narren

Auch in Villingen wurde mehreren Gastronomen anonym mit Sprengstoffattentaten gedroht, falls sie in ihren Häusern irgendwelche Fastnachtsveranstaltungen zuließen. Und in anonymen Schreiben an Fastnachtsfunktionäre kündigten Unbekannte an, dass sie Narrenhäser mit Spraydosen und Farbbeuteln angreifen würden, sollten sich die Narren auf die Straße trauen. Das alles entpuppe sich im Nachhinein als leere Drohungen. Doch die Einschüchterungsversuche zeigten Wirkung. Angesichts dieser Stimmungslage entschloss sich auch die Villinger Zuggesellschaft am 24. Januar 1991 wie viele andere zur Absage.

Die meisten Umzugsteilnehmer liefen in Zivil, doch der Spaß ließ sich nicht aufhalten. Rechts im Bild SÜDKURIER-Fotograf Jochen Hahne.
Die meisten Umzugsteilnehmer liefen in Zivil, doch der Spaß ließ sich nicht aufhalten. Rechts im Bild SÜDKURIER-Fotograf Jochen Hahne. | Bild: Günter Raab

Doch je näher es auf die Fasnet zuging, umso mehr juckte es einige junge Fastnachter in Villingen, die Mauer von Einschüchterung und moralischem Druck zu durchbrechen. „Für mich war es unvorstellbar, dass die Fasnet ausfällt“, berichtete der Villinger Günter Raab. Mit einigen Gleichgesinnten hat er sich verabredet, am Fasnetmontag ins Villinger Städtle zu gehen. „Ich schnappte mir mein Pappendeckelrössle und bin gestartet mit dem Gedanken: Irgendwas wird schon los sein.“

Günter Raab mit dem Papp-Rössle. Er ersetzte damit beim Umzug die Kavallerie.
Günter Raab mit dem Papp-Rössle. Er ersetzte damit beim Umzug die Kavallerie. | Bild: Günter Raab

Mit dabei war auch Andreas Messmer.

Andreas Messmer.
Andreas Messmer. | Bild: Winkelmann-Klingsporn, Elisabeth

Er erinnert sich noch an den moralischen Druck, der damals auf den Narren lastete. „Man feiert nicht, wenn unsere verbündeten Soldaten kämpfen“, habe es damals geheißen. Doch je näher die Fasnet kam, hat sich bei ihm und seinen Freunden die Stimmung gedreht. Die Neugierde, ins Städtle zu gehen und zu schauen, ob es nicht doch einen Hauch von Fastnacht gibt, hat auch ihn getrieben. „Es war unsererseits auch was Demütiges dabei“, erinnert er sich. Die Sorge „um die ganze Lage“ habe die Stimmung anfangs ordentlich gedämpft.

„Mir war nicht wohl. Ich hatte Mores, dass ich auf die Kappe kriege“, erinnert sich auch Peter Metzger, heute Ratsherr der Narrozunft. Sein nagelneues Narrohäs wollte er dabei nicht riskieren. Die Zunfträte hatten die Narros immer wieder vor möglichen Farbattacken gewarnt. Gleichwohl wollte sich Metzger nicht alles verbieten lassen, es trieb ihn ebenfalls am Montagmorgen auf die Gass‘.

Entsetzen über die Absage

Klaus Richter, seinerzeit Aktiver der Stadtmusik, gürtete am Fastnachtsmontag seine kleine Trommel. „Ich kam fastnachtshungring von einer langen Weltreise am 11. Januar nach Villingen zurück“, berichtet er. Die Diskussionen um die Fastnachtsabsage hatte ihn entsetzt. „Für mich war es unvorstellbar, dass die Fasnet nicht stattfindet“, schildert er. „Deshalb habe ich alle, die ich kenne, gefragt, ob wir an Fastnacht was zusammen machen.“ Vom Ergebnis sieht er sich bestätigt. „Das war dann so eine tolle Stimmung, die Menschen am Straßenrand waren so dankbar, dass etwas stattfindet. Die Fasnet in Villingen ausfallen lassen, das geht doch nicht.“

Trauerkranz für den Narro – mit einem schönen Gruß von der abgesagten Fasnet.
Trauerkranz für den Narro – mit einem schönen Gruß von der abgesagten Fasnet. | Bild: Günter Raab

Frank Haas kam vom Studium aus Konstanz nach Villingen zurück. Im Wein-Riegger beschlossen er und seine Kameraden von der Stachi-Gruppe 3, dass sie sich am Fastnachtsmontag auf jeden Fall „zum Wecken“ treffen. Dort trafen sie auf weitere Gleichgesinnte und Musikkapellen . „Wir hatten riesigen Spaß und verabredeten uns um 9 Uhr zum Umzug“, erinnert sich Haas. In der Niederen Straße ging es los mit einer kleinere Gruppe, „Uli Büchele lief mit der großen Narrofahne voraus.“ Unterwegs stießen vereinzelt auch verkleidete Narros im Häs zur Umzugsgruppe. „Die Angst vor Farbbeutelattacken war dabei ganz präsent“, berichte Frank Haas. Daher haben die Musikkapellen die fünf mutigen Narros, die sich ins Häs gewagt hatten, wie Leibwächter in die Mitte genommen.

In den Zeitungsartikeln des SÜDKURIER und im erwähnten Heftchen zur Fasnet 91 spiegelt sich wieder, was sich dann auf den Straßen entwickelt hat: Am Fasnetsmontag wagten sich nur wenige Fastnachter vorsichtig auf die Gass. Doch damit hatten sie etwas ausgelöst: Bis Fasnetdienstag hat sich der närrische Bazillus pandemieartig im Städtle verbreitet. Das Narrennest Villingen hatte sich seine Fasnet zurückgeholt.

Wie beim Rattenfänger von Hameln

Der SÜDKURIER schrieb über den Fastnachtsmontag: „Und es war kaum zu glauben – wie der berühmte Rattenfänger aus Hameln zogen zuerst einige wenige, dann immer mehr sparsam kostümierte Narren immer mehr Gleichgesinnte an.“ Die meisten liefen beim improvisierten Umzug in Zivil. Die Aktion ging wie ein Lauffeuer durchs Städtle. Bereits zum Termin des Maschgerelaufs am Nachmittag „standen einige 1000 Schaulustige und jubelten den Umzugsteilnehmer zu.“ Und: „Was sich die Narren hatten einfallen lassen, dürfte ebenfalls in die Geschichte der Villinger Fasnet eingehen“, notierten die Chronisten. Der ganze Umzug war gekennzeichnet von kreativen Eulenspiegeleien, mit denen sich die Narren äußerst witzig mit der abgesagten Fastnacht auseinandersetzten.

Die meisten Umzugsteilnehmer liefen in Zivil, doch der Spaß ließ sich nicht aufhalten. Rechts im Bild SÜDKURIER-Fotograf Jochen Hahne.
Die meisten Umzugsteilnehmer liefen in Zivil, doch der Spaß ließ sich nicht aufhalten. Rechts im Bild SÜDKURIER-Fotograf Jochen Hahne. | Bild: Günter Raab

Am Fasnetsdienstag ging es grad so weiter: „Stelle Euch vor, ist ist keine Fasnacht und jeder geht hin“, schrieb der SÜDKURIER. Zum großen Umzug formierten sich rund 300 Narren mit oder ohne Häs zum Umzug, freudig erwartet von tausenden Zuschauern. Die Polizei sperrte sogar die Straßen ab. Anschließend wurde im Städtle kräftig gefeiert.

Für die damaligen Akteure hat sich diese Fasnet ins Gedächtnis eingebrannt. „Wir und die Zuschauer haben einen riesen Spaß gehabt. Das war schon was Einmaliges“, blickt Günter Raab heute mit großem Vergnügen zurück. „Der Verlauf hat gezeigt, dass die Villinger diese Aktion mitgetragen haben.“ So sahen es viele damals. Aus diesem Impuls und nach der Idee von Günter Raab entstand daher das Heftchen „Villinger Fasnet 1991 – Abgesagt“.

Günter Raab mit dem legendären Heft über die ausgefallene Fasnet von 1991.
Günter Raab mit dem legendären Heft über die ausgefallene Fasnet von 1991. | Bild: privat

Raab hatte sich damals bereits als technischer Redakteur selbständig gemacht und hatte enge Beziehungen zu einer Druckerei. 15 weitere Mitstreiter, viele von der „Rentnerbänd“, haben daran mitwirkt beim Schreiben, Dichten, gestalten und Fotografieren. Auf einem Foto in der Broschüre sind die Helfer im Bild verewigt: Es waren Priska und Frank Haas, Thorsten Weißer, Diana Maier, Volker Haas, Uli Eshuis, Sybille Kiener, Bärbel Fehrenbach, Heidi Popko, Bärbel Walz, Klaus Richter, Michael Beck und Peter Metzger. Als das Heftchen beim Zunftfest im Juni 1991 verteilt wurde, war es im Nu vergriffen. Nach drei Jahrzehnten ist das Schriftstück ein exclusives Zeitzeugnis: Chronik, Memorandum und Rechtfertigungsschrift für eine „supergute Notfasnet“ (Originalton), die nie hätte stattfinden dürfen.

Kein Vorbild für 2021

Für die meisten „Veteranen“ von 1991 ist aber auch klar: Die Fasnet 91 taugt nicht als Vorbild für 2021. Günter Raab sagt: „Ich will niemand schaden. Ich stelle dieses Jahr meinen persönlichen Spaß hinter das Gemeinwohl.“