Leerstehende Hausarztpraxen und Facharztmangel werden ein zunehmendes Problem im ländlichen Raum. Derzeit stehen im Schwarzwald-Baar-Kreis rund ein halbes Dutzend Hausarztpraxen leer, weil sich keine Nachfolger gefunden haben. Anders in Obereschach. Andreas Erdel (65) ist es geglückt, seine Landarztpraxis samt Personal und Patientenstamm an zwei jüngere Berufskolleginnen zu übergeben. Die werden die Praxis nahtlos Anfang Januar fortführen.

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28 Jahre lang war Erdel, der gebürtige Villinger „vom Schwedendamm“, der einzige praktizierende Arzt in Obereschach, der „Platzhirsch“, wie er sagt. Damals im Jahre 1993 konnte er mit tatkräftiger Hilfe des damaligen Ortsvorstehers Ernst Matthes seine Praxis in der einstigen Zehntscheuer von Obereschach am Johanniterweg 1 eröffnen.

„Es gibt fast nichts, was ich hier nicht gemacht habe.“
Andreas Erdel

Allgemeinmediziner auf dem Land zu werden, so berichtet er, war schon früh sein Ziel. Entsprechend hat er sich in seiner Ausbildung im damaligen Krankenhaus St. Georgen und auch danach fachlich möglichst breit aufgestellt. Das hat ihm in seiner Praxis enorm geholfen. „Es gibt fast nichts, was ich hier nicht gemacht habe“, sagt der Allgemeinmediziner nicht ohne Stolz.

Erdel würde es noch einmal so machen

Betreut hat er Patienten durch fast alle medizinischen Fachgebiete und alle Altersgruppen, „von 0 bis 99 Jahren“. Und wenn er heute noch mal die Wahl hätte, sagt er, „dann würde ich es noch einmal genauso machen“. In der Aufgabe als Landarzt ist der Villinger, der in Obereschach heimisch geworden ist, völlig aufgegangen. Und nach 28 Jahren ist er noch immer überzeugt: „Das ist das schönste Arbeiten, das Du als Arzt machen kannst.“

Anforderung stark gewandelt

Dieses sein Urteil steht, obwohl sich die Zeiten für die niedergelassenen Allgemeinmediziner enorm gewandelt haben. Die Praxen, schildert er, haben es mit immer älteren und damit auch kränkeren Patienten zu tun. Ebenso mit Patienten, die nach wenigen Tagen aus den Kliniken entlassen und intensiver denn je nachversorgt werden müssen und schließlich auch mit einer wachsenden Zahl von Menschen mit psychischen Problemen. Hinzu kommt, dass die Landärzte mit dem Problem konfrontiert werden, dass immer weniger junge Ärzte diesen anstrengenden Beruf anstreben. „Sie wollen mehr Work-Live Balance“, hat Erdel erfahren.

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Umso glücklicher wähnt er sich, dass er seine Praxis in neue Hände übergeben kann. „Dass es hier weitergeht, ist für mich die größte Freude“, unterstreicht er. Die ärztliche Infrastruktur in Obereschach bleibt erhalten, seine Patienten – rund 1500 pro Quartal – sind ebenso weiterhin gut versorgt wie seine fünf Angestellten, darunter auch seine Ehefrau Ortrud, die nahtlos weitermachen können.

Der Glücksfall schneite für Andreas Erdel in Person seiner jungen Kollegin Julia Heidlauf ins Haus. Vier Jahre lang vervollständigte sie in seiner Praxis ihre Facharztausbildung zur Allgemeinmedizinerin als „Weiterbildungsassistentin“. Schon damals, berichtet sie, habe sie sich überlegt, die Praxis irgendwann zu übernehmen.

„Ich bin ein Landmensch“

„Ich bin ein Landmensch und würde nie in der Stadt leben und arbeiten wollen“, bekennt die 38-Jährige, die in einem kleinen Dorf im Landkreis Biberach in Oberschwaben aufgewachsen ist. Der Knackpunkt für sie: „Ich wollte das nicht alleine machen. Das ist ein 120-Prozent-Job“, weiß die zweifache Mutter, die mit ihrer Familie in Erdmannsweiler wohnt.

Nachdem einer weiteren beruflichen Station im Krankenhaus auf dem Sulgen hat sich in diesem Jahr schließlich alles gefügt. In Person von Sabine Kleimaier (41), einer Fachärztin für Innere Medizin, fand sie die gewünschte Partnerin. Kleimaier, die mit ihrer Familie Pfaffenweiler wohnt, arbeitet derzeit noch in Teilzeit als angestellte Ärztin in einer Praxis in Schwenningen.

Auch sie hat eine Selbständigkeit bisher aufgrund ihrer familiären Situation nicht erwogen, da sie zuhause vier Kinder zwischen sechs und elf Jahren hat. Doch die neue Möglichkeit, mit einer Kollegin gemeinsam eine Praxis zu führen, hat sie als Chance begriffen. „Ich freu mich total. Ich habe meinen Beruf elf Jahre hinten angestellt und sehe diese Praxis als schöne Herausforderung“.

Es geht weiter wie bisher

Wie Julia Heidlauf ist auch Sabine Kleimaier auf dem Land groß geworden, in einem kleinen Dorf bei Görlitz in Sachsen, blieb dann aber nach dem Studium in Freiburg im Süden hängen. Die beiden Ärztinnen wollen die Erdel-Praxis „so weiterführen wie bisher“, versichern sie. Die Freiheiten einer selbstständigen Praxis und die Möglichkeiten einer individuellen medizinischen Betreuung der Patienten wissen beide nach langjährigen Klinikerfahrungen zu schätzen.

Erdel hat Starthilfe angeboten

Zum Start in die neue Selbstständigkeit wollen sie zunächst keine neuen Patienten aufnehmen, bis sich die Abläufe eingespielt haben. Andreas Erdel hat ihnen Starthilfe angeboten und würde sie ein halbes Jahr lang stundenweise zu unterstützen.

Schauspielern und mehr

Dann aber möchte der bald 66-Jährige einen Schlussstrich unter seine ärztliche Tätigkeit ziehen und sich auf Neues konzentrieren. Die Schauspielerei, vermutet er, wird er bestimmt weiter pflegen. Gehört er doch schon seit den Anfängen im Jahr 1986 zum Ensemble des Theaters am Turm in Villingen und war zehn Jahre lang der Vorsitzende des Vereins.

Einen Spezial-Auftritt hat er bereits in Arbeit: Im Januar wird er beim Jubiläum der Villinger Katzenmusik gemeinsam mit Henry Greif vor dem Riettor die große „Ouvertüre“ des Narrentreffens bestreiten und die Katzenmusik vorstellen.

Langweilig wird es ihm wohl nicht

Ansonsten ist er vital und hungrig auf neues Erleben und Erlernen wie eh und je. Wandern, Reisen, Sprachen lernen: Andreas Erdel ist sich sicher, dass es ihm nicht langweilig wird.