Es ist gerade einmal gut zwei Wochen her, dass Johannes Kohler zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand gerufen wurde. Wie es ausging? „Mit dem Überleben des Patienten“, sagt Kohler. Das ist nicht immer so.
„Nach drei bis fünf Minuten ohne Reanimation nimmt das Gehirn Schaden.“Johannes Kohler, Kardiologe
Kohler ist 69 Jahre alt, Kardiologe am Klinikum Schwarzwald-Baar, Notarzt und ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes beim DRK. Er weiß wie wichtig es ist, bei einem Herzstillstand schnell zu handeln. „Nach drei bis fünf Minuten ohne Reanimation nimmt das Gehirn Schaden.“
In rund 40 Prozent der Fälle wird von Ersthelfern bereits reanimiert, wenn der Rettungsdienst eintrifft. „Das ist eine deutlich zu niedrige Zahl“, sagt Kohler. Es ist aber schon besser geworden. Vor sieben oder acht Jahren waren es gerade einmal 20 Prozent. Aber es geht auch noch besser. 50 Prozent, das sollte das Ziel sein, sagt Kohler.
Die neue App „Region der Lebensretter“ könnte ein wichtiger Schritt dahin sein. Diese ermöglicht es, kurz gesagt, Ersthelfer zu alarmieren, die sich in unmittelbarer Nähe eines Patienten befinden.
Dabei sind zwei Dinge entscheidend. Erstens: Die App alarmiert nur bei Herz-Kreislauf-Stillständen. Also nicht bei anderen Unfällen oder Notfällen. Zweitens: Die Ersthelfer brauchen medizinische Vorkenntnisse.
In Freiburg ist die App seit 2018 im Einsatz, im Schwarzwald-Baar-Kreis soll sie ebenfalls bald starten. „Ich wäre froh, wenn wir ein paar Hundert Leute erfassen können.“ In den nächsten Tagen will er im Klinikum die Werbetrommel rühren.
Wer kann mitmachen?
Registrieren lassen kann sich jeder, der mindestens eine Sanitätshilfeausbildung absolviert hat. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Auch der Chefarzt kann mitmachen. Möglich wäre es also beispielsweise für medizinisches Fachpersonal in Arztpraxen oder im Klinikum, Pflegepersonal, aber auch Mitarbeiter von Feuerwehr, THW oder Polizei. „Es soll keine reine DRK-Aktion sein“, sagt Kohler.
Das wäre auch nicht machbar. Mindestens ein paar hundert Freiwillige brauchen sie, sonst macht die Aktion keinen Sinn. In Freiburg rechnen sie mit 1000 Helfern pro Landkreis. Das Engagement ist rein ehrenamtlich. Eine Aufwandsentschädigung gibt es nicht. Einzig eine Erstausstattung mit Rucksack, Warnweste, Beatmungsbeutel, Infektionsschutzkleidung, Gesichtsschutz (Face-Shield) und Einmalhandschuhe.
Die Zahlen sprechen für sich
Rund 60.000 Menschen erleiden in Deutschland jährlich einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Zehn bis 15 Prozent davon überleben. Mit der Lebensretter-App, das zeigen erste Zahlen aus Freiburg, kann die Überlebensrate verdoppelt oder sogar verdreifacht werden.
Im Schwarzwald-Baar-Kreis sind 2020 über die Integrierte Leitstelle 316 Reanimationen gemeldet worden. Das passt zu dem, was Kohler aus der Kardiologie des Klinikums berichtet. „Unter Umständen“, sagt er. „haben wir mehrere Herz-Kreislauf-Stillstände pro Woche“.
Etwa 20 Prozent der reanimierten Personen werden wieder völlig hergestellt, sagt Kohler. 6,5 Prozent aber verlassen das Krankenhaus mit Folgeschäden. Die können von Gedächtnisstörungen bis hin zu motorischen Störungen reichen.
Wie läuft der Einsatz dann ab?
Ausgelöst wird der Alarm auf der App durch die Integrierte Leitstelle. Dort muss lediglich auf einen Knopf gedrückt werden. Dann geht es los.
- Der Alarmierungs-Algorithmus informiert die vier Ersthelfer, die dem Notfall am nächsten sind.
- Die App fragt jeden „Nehmen Sie den Einsatz an?“ – wenn abgelehnt wird, wird einfach die nächste Person alarmiert. Wird der Einsatz angenommen, dann ...
- ... werden zwei der vier Personen per Karte zum Patienten navigiert, um mit der Reanimation zu beginnen
- Die 3. Person wird zum nächsten AED-Defibrillator navigiert
- und die 4. Person platziert sich am Unfallort um den Rettungsdienst einzuweisen.
Die App fragt auch ab, wie die Ersthelfer zum Unfallort kommen (zu Fuß, mit dem Bus oder dem Auto). Dementsprechend passt sie die Navigation an und berechnet die Zeit, wer am schnellsten beim Patienten für die Reanimation sein kann.
Alarmiert werden kann man dann überall. So könnte bereits heute ein registrierter Ersthelfer aus Freiburg, der in Villingen unterwegs ist, über die App alarmiert werden, wenn sich in seiner Nähe ein Herz-Kreislauf-Stillstand ereignet.
Für Johannes Kohler ist klar, die App kann Leben retten. Doch dafür muss sie jetzt erst einmal mit Leben gefüllt werden. Er selbst wird wohl einer der ersten sein, die sich registrieren lassen.