In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Doppelstadt große Flächen im Zentralbereich für die Ansiedlung von Gewerbe und Industrie bereitgesellt. Ein Potenzial, von dem viele andere Städte nur träumen können.
Entstanden sind die Gewerbe- und Industriegebiete Neuer Markt und Herdenen sowie Nunnensteig und Salzgrube. Viele Dienstleistungsbetriebe haben sich um das Schwarzwald-Baar-Klinikum angesiedelt, es entstanden viele neue Arbeitsplätze. Die Kehrseite dieses Wachstums: Der Landschaftsverbrauch war enorm.
Jetzt stellt sich die Frage: Kann die Stadt so weitermachen wie bisher und immer noch mehr landwirtschaftliche Flächen für Gewerbebetriebe opfern?
Das Dilemma im Jahr 2022: Die Vorräte an Gewerbeflächen in VS gehen zur Neige. Die Stadtverwaltung sieht sich im Zugzwang, neue Flächen zur Verfügung zu stellen. Doch diese sind nicht unbegrenzt vorhanden. Bei einem Fachbüro hat die Verwaltung daher ein Gewerbeflächen-Entwicklungskonzept in Auftrag gegeben, das die weitere Versorgung des heimischen Gewerbes mit Ansiedlungsflächen bis 2035 zum Ziel hat.
Das Konzept, das jetzt den Stadträten im Technischen Ausschuss vom Fachbüro Acoccella vorgestellt wurde, gab Anlass zu grundlegenden Diskussionen. Denn die Zahlen, die Gutachter Rainer Kahnert den Kommunalpolitikern vorlegte, sind ernüchternd.
Nur noch sechs Hektar Gewerbeflächen
In Villingen-Schwenningen gibt es derzeit nur noch sechs Hektar freie verfügbare Flächen für die Ansiedlung von Betrieben. Dazu kommen 19 Hektar Reserveflächen, die noch erschlossen werden müssen. Hier handelt es sich vor allem um die geplante Erweiterung des Gewerbegebietes „Salzgrube“ am Nordring.
Ferner hat der Gutachter 12,5 Hektar Flächen identifiziert, die in vorhandenen Gewerbegebieten brach liegen und wieder nutzbar gemacht werden können. Und schließlich gibt es noch elf Hektar Potenzialfläche: Gelände, das künftig als Industrie- und Gewerbegebiet ausgewiesen werden kann. Hier handelt es sich um den Bereich Sommertshauser Halde im Villinger Norden.

Würden diese Gebiete alle für Gewerbeansiedlungen aktiviert, könnte die Stadt knapp 49 Hektar anbieten. Den Bedarf bis 2035 hat der Gutachter aber auf 65 Hektar taxiert. Das heißt: Es fehlen 16 Hektar.
Weiter hat der Gutachter festgestellt, dass die Städte und Gemeinden im Umkreis von Villingen-Schwenningen 215 Hektar Industrie- und Gewerbeflächen als Vorrat haben. Vor allem Immendingen, Aldingen, Spaichingen und künftig Geisingen sind hier gut aufgestellt.
Es drohen Abwanderung von Arbeitsplätzen
Es droht also mittelfristig die Abwanderung von Firmen und Arbeitsplätzen ins Umland. Und damit Wohlstandsverluste durch sinkende Steuereinnahmen. Um dies zu vermeiden, gibt der Gutachter ein Bündel von Empfehlungen, wie die Stadt neue Flächen identifizieren, alte Flächen wieder nutzbar machen und mit den vorhandenen Flächen ressourcensparend und effizient umgehen kann.
Für wenig ratsam hält es das Gutachten beispielsweise, weitere Speditionen anzusiedeln wie dies im vergangenen Jahrzehnt auf Herdenen praktiziert wurde. Sie benötigten viel Fläche und brächten relativ wenig Arbeitsplätze.
Grüne kritisieren Zubetonierung der Landschaft
Von mehreren Stadträtinnen der Grünen wurde indes unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es mit der Zubetonierung der Landschaft für immer noch mehr Industriegebiete so nicht weitergehen könne.
Produzierende Betriebe sollten künftig gemeinsam und in die Höhe bauen sowie ihre Parkplätze zusammenlegen, forderte Helga Baur. Stichwort: Verdichtetes Bauen auch für Industrie und Gewerbe. Die Stadtverwaltung müsse dies den Unternehmen schmackhaft machen.
Fehlende Kooperation mit dem Landkreis beklagt
„Weiter die Landschaft mit Gewerbegebieten zuzubetonieren ist nicht zukunftsweisend“, kritisierte Cornelia Kunkis. Es mache keinen Sinn, wenn sich jede Stadt in einen Konkurrenzkampf mit ihren Nachbarn begebe. Kooperationen seien nötig. Auch der Landkreis entwickle ein Konzept zur Gewerbeentwicklung. „Ich vermisse hier Absprachen mit den Landkreis, um Synergie zu entwickeln und zukunftsträchtige, moderne Arbeitsplätze anzusiedeln“, beklagte Kunkis.
Ihre grüne Ratskollegin Ulrike Salat sieht dies ebenso: „Wir müssen mehr auf die Qualität unserer Gewerbegebiete achten und nicht immer noch mehr Flächen ausweisen.“

OB fürchtet Arbeitsplatzverluste
Klare Gegenposition bezog Oberbürgermeister Jürgen Roth (CDU). „Wir müssen dringend umdenken, sonst werden wir in zuschauender Rolle viele Arbeitsplätze an Nachbargemeinden verlieren“, warnte er.
Eine neue Strategie sei dringend nötig, um Wohlstand und Arbeitsplätze zu sichern. In die Höhe bauen sei nur bei Dienstleistungsunternehmen möglich, widersprach der OB Helga Baur. Das produzierende Gewerbe mit schweren Anlagen könne dies nicht. Das produzierende Gewerbe aber, so betonte er, bringe für die Stadt die höchst Wertschöpfung. „Wir brauchen für diesen Bereich neue Flächen“, forderte Roth, auch wenn dies mit einer weiteren Versiegelung der Landschaft verbunden sei. Ein „Zielkonflikt“, für den er keine Lösung anbieten konnte.
Am Ende stimmten neun Ausschussmitglieder für das neue Gewerbekonzept, drei enthielten sich, eine Ratsfrau stimmte dagegen. Am Mittwoch entscheidet der Gemeinderat darüber.