Hier spukt es. Oder doch nicht? Als Stadtführer Michael Kopp durch den alten Friedhof in Schwenningen geht, verschlingt der Nebel die Umgebung beinahe. Die Luft ist feucht, der Boden glitschig. Der Kälte zerrt an den Händen. Und so richtig hell ist es auch nicht mehr.
Familiengruft unter imposantem Bauwerk
Und dann sagt Kopp auch noch: „Hier drüben“ – er öffnet ein großes, eisernes Tor und zeigt auf ein Bauwerk, das aussieht wie ein steinerner Garten. Mit einer Christusstatue in der Mitte. „Hier drüben ist eine Gruft.“ Mehrere Särge der Familie Kienzle lägen dort unter dem steinernen Garten begraben. „Und wer weiß, vielleicht steigt gleich jemand aus der Gruft.“ Ein Scherz natürlich. Aber man weiß ja nie.
Die Gruft, sagt Kopp, gehe auf Jakob Kienzle zurück. Jener Kienzle, der 1883 in die Uhrmacherfirma Schlenker einheiratete (die fortan Schlenker & Kienzle hieß) – „und sie in einem raketenartigen Blitzstart hochgebracht hat“. Schon nach einem Jahr in der Firma soll der Gewinn größer gewesen sein als im Jahr davor der Umsatz, sagt Kopp.
Kienzle ließ sich nicht unterkriegen
Besonders markant: Als Österreich-Ungarn – das Hauptabsatzgebiet der Schwenninger Firma in den 1880ern – „über Nacht hohe Schutzzölle eingeführt hat, was den Verkauf der Uhren so erschwert hat, dass Kienzle sie dort nicht mehr absetzen konnte, hat er nicht lange gefackelt: Er hat einfach in Böhmen, was zu Österreich-Ungarn gehört hat, eine zweite Uhrenfabrik gegründet. Und es den Österreichern mächtig gezeigt“, sagt Kopp.
Und: In gewisser Weise zeigt er es anderen noch heute. Immerhin: Ist das Familiengrab mitsamt Gruft eines der imposanten Bauwerke auf dem Friedhof.
Ein Uhrmacher kommt selten allein – zwei fast identische Grabsteine
Und: In gewisser Weise folgt selbst das Sterben den Regeln des Lebens. Wer etwas hatte, will es zeigen. Und: So erzählen die markantesten Gräber auf dem Friedhof in Schwenningen auch immer wieder von den florierenden Zeiten Schwenningens – als Stadt der Uhrenindustrie. Und ein bisschen auch von den Menschen dahinter.
„Sehen Sie das Grab von Johannes Bürk“, fragt Kopp. „Und den Grabstein, der so abgebrochen ausschaut.“ Abgebrochen oder wie eine heruntergebrannte Kerze. „Das ist Absicht“, weiß der Stadtführer.
„Damit wollte die Familie andeuten, dass das Leben von Johannes Bürk viel zu kurz war. Dass er noch so vieles hätte erreichen wollen.“ Dabei hatte Bürk schon einiges erreicht. Hatte in Schwenningen die erste liberale Zeitung gegründet. Hatte demokratische Gedanken verbreitet. War Ratsschreiber gewesen. Und erfand eine Kontrolluhr für Nachtwächter. Für deren Herstellung er gleich eine ganze Uhrenfabrik gründete.
Doch: Auch auf der Inschrift des Grabsteins steht: „Schlafe wohl, du hast jetzt ausgelitten. Und ob du auch nicht ganz das Ziel erreicht, hast du dafür ganz männlich kühl gestritten.“
Das Kuriose: „Einen fast identischen Grabstein“ gibt es ganz in der Nähe noch einmal, sagt Kopp. In Schramberg. An einem Grab der Uhrmacherfamilie Junghans. „Man kann also annehmen, dass es da freundschaftliche Kontakte zwischen den Familien gab.“
Ein Weinkeller auf dem Friedhof
Kaum zu glauben: Doch hinter einer unscheinbaren Maueröffnung, mitten auf dem Villinger Friedhof, verbirgt sich die Aufschrift „in Vino Veritas“ – „im Wein liegt die Wahrheit“ – und dahinter ein alter Weinkeller.
Doch warum? Dazu muss man ein wenig ausholen. Denn: Das heute fast unscheinbare Gemäuer gehörte einst zur Weinkellerei Spathelf, die ihren Rebensaft dort lagerte. Und zwar im frühen 20. Jahrhundert, als der Friedhof noch kleiner war und nur auf dem nördlichen Areal lag. Als dieser dann ab 1965 nach Süden erweitert wurde, kam der Weinkeller mit zum Gelände dazu.
„Den Weinkeller sieht man gut, wenn man von der Kapelle in Richtung der Ehrenfriedhöfe geht und dann immer geradeaus“, sagt Stadtführerin Christiane Lehmann, die für die Friedhofführungen in Villingen zuständig ist.