Das Gespräch ist fast zu Ende – Jessica Jung hat erzählt, wie sie als Bioingenieurin Mikroorganismen und Enzyme nutzt, um Stoffe, etwa für Medikamente, herzustellen und wie sie mit ihrem Forschungsprojekt dazu beitragen will, unerwünschte Nebenwirkungen in Krebs- und Malariamedikamenten auszuschalten – da blickt sie in die Kamera und sagt:„Wir müssen dieses Klischee loswerden, dass Frauen angeblich nicht für Naturwissenschaften gemacht sind.“ Und: „Manchmal merkt man das schon: Eine der wenigen Frauen zu sein.“
Als Teil des Netzwerkes „Frauen.Innovation.Technik“ (FIT), das seinen Sitz in Schwenningen an der Hochschule Furtwangen University (HFU) hat, will Jessica Jung mithelfen, den Frauenanteil in den MINT-Wissenschaften (Mathe, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) zu erhöhen.
Denn: „Je mehr Frauen, je mehr Vielfalt wir in der Wissenschaft haben, umso mehr Austausch und Ideen entstehen auch“, sagt die 25-Jährige in einer Videokonferenz mit dem SÜDKURIER.
Wie alles anfing
Die Biologie hat es ihr angetan: Schon damals, als sie als Kind mit ihrem Vater einen Gartenteich plante und überlegte, wie tief er sein und welche Ebenen er haben müsste, um bestimmte Pflanzen anzusiedeln. „Ich fand das spannend, Dinge auszuprobieren. Und nie ganz zu wissen, ob sie auch funktionieren.“
Schon mit 16 weiß sie: „Ich will in den MINT-Bereich.“ Auch, weil ihre Chemie-Lehrerin für Jung ein Rollenvorbild gewesen sei. „Sie war hat uns ermutigt, hat unseren Forscherdrang nicht gebremst. Sie war unheimlich klug, hatte einen Doktor in Chemie.“ Und sie zeigte Jung, dass auch sie diesen Weg einschlagen könnte.
Vom Reiz des Forschens
Jung zieht es nach dem Abitur vom Stuttgarter Raum in den in den Schwarzwald. Wegen des Studiums an der HFU – und auch, weil sie die Gegend liebt. „Ich gehe gern wandern. Da ist der Schwarzwald einfach schön“, sagt sie. „Also die Entscheidung, hierherzukommen ist mir leicht gefallen.“
Heute, fünf Jahre und ein abgeschlossenes Bachelorstudium später, beschäftigt sie sich mit nachhaltiger Bioprozesstechnik und forscht in ihrem Projektsemester an der kontinuierlichen Synthese von Bromalkyl-Glykosiden. Klingt kompliziert, ist es auch – und trotzdem bedeutsam.
Um zu erklären warum, muss Jung einen großen Bogen spannen. „In der Medizin hat man oft das Problem, dass die eingesetzten Stoffe –in Krebs- oder Malariamedikamenten zum Beispiel – nicht nur dort wirken, wo sie sollen. Sondern auch an anderen Stellen im Körper, wodurch Nebenwirkungen entstehen.
Es gibt aber sogenannte Spacer, also Abstandshalter, mit denen man die Moleküle in den Medikamenten so ausstatten kann, dass eben nur sie dort wirken, wo sie sollen.“ Die Bromalkyl-Glykoside seien solle Spacer.
Doch sie herzustellen sei ziemlich schwer. So schwer, dass es aktuell kein Verfahren gibt, was das großtechnisch möglich macht. Um das zu ändern, forscht Jung an der Synthese, also der Herstellung, der Bromalkyl-Glykoside.
Was sie daran reizt: „Es hat seinen Zauber einer Sache auf den Grund zu gehen“, sagt sie. Und: „Es ist natürlich schön, wenn man helfen kann, dass Medikamente gegen Krebs besser und wirksamer werden.“
Deshalb testet die Masterstudentin momentan, ob sich Bromalkyl-Glykoside in einem Mikroreaktor bilden lassen.
Dieser ist kaum größer als eine Hand, wird in ein Ölbad gelegt und erhitzt – ehe chemische Lösungen ins Spiel kommen, die im Idealfall so miteinander reagieren, das Bromalkyl-Glykoside entstehen. „Das klingt jetzt ziemlich einfach“, weiß Jung.
Ist es aber nicht: Denn ihren Reaktor muss die 25-Jährige so konditionieren, dass sich keine Luftblassen bilden, die die Durchmischung oder Wärmeübertragung stören könnten.
Vorbilder schaffen
Ob es in ihrem Bereich viele Frauen gebe? Jung muss nicht lange überlegen. „In meinem Studiengang ist das recht ausgeglichen. Ich weiß aber, dass es Jahrgänge gab mit fast nur Männern. Und nicht immer assoziiert man mit einem Bioingenieur auch eine Frau.“
Ihr Praxissemester verbrachte die Studentin in einem Unternehmen, das Anlagen für Endmontagesysteme baute und sich aufs Baustellenmanagement spezialisiert hatte – „und da war ich fast die einzige Frau auf dem Bau.“
Um weibliche Vorbilder zu schaffen und Schülerinnen wie Nachwuchs-wissenschaftlerinnen zu zeigen, wie viel Spaß die Arbeit, als Bioingenieurin macht, ist Jessica Jung inzwischen nicht nur Teil des Netzwerkes „Frauen.Innovation.Technik“.
Sie arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft sogar mit – hilft Veranstaltungen und Vorträge zu organisieren. Etwa zu Themen wie Data Science, Künstliche Intelligenz, zum Programmieren oder zur Mobilität der Zukunft.
Das Netzwerk sei dabei wie eine Art Familie, sagt Jung, wo auf Veranstaltungen schöne Freundschaften und Bekanntschaften entstehen. „Es ist super motivierend, andere zu treffen, die wissen, wie es ist, eine der wenigen zu sein“, sagt sie. „Man vernetzt sich, unterstützt sich.“
Deshalb gibt es auch in Corona-Zeiten eine virtuelle Cafeteria auf den Veranstaltungen des Netzwerkes. Zum Plaudern. Und Kennenlernen. Für die kleinen Freundschaften, die am Rande entstehen.