Julia Hollstein musste früh lernen, sich durchzusetzen. Während draußen die Wintersonne langsam einer kalten Februarnacht weicht, ist es im Vereinsheim in Ludwigshafen vergleichsweise warm. „Schau, die haben ein Mädel dabei, die kann bestimmt nichts“, erinnert sich die heute 35-Jährige an Sprüche während ihrer ersten Fußballerjahre, als sie in Mannschaften kickte, die fast ausschließlich aus Jungs bestanden. „Damals waren Mädchen eine Rarität“, erinnert sich Hollstein nach der gedanklichen Reise in die Vergangenheit und fügt hinzu, dass sie dadurch auch eine gewisse Robustheit erlangt habe, die ihr bis heute helfe.
Es gibt 14 Ligen im Bezirk Bodensee für Männer- und Frauenteams. Hollstein spielt bei den Kreisliga-Frauen der SG Sipplingen/Bodman-Ludwigshafen, in der untersten Klasse im Bezirk. Als sie vor fünf Jahren zurück zu ihrem Heimatclub wechselte, hatte sie die Kickschuhe schon in eine Kellerecke gestellt. Karriere-Ende, endlich mal freie Wochenenden, Zeit für Haushalt, Partner Thorsten und andere Hobbys. Fußball nur noch als Dauerkarten-Inhaber beim SC Freiburg, das sollte dann auch mal genug sein. Von wegen!
Denn ein Jahr zuvor hatte sich in den drei Bodensee-Gemeinden eine Frauenmannschaft gefunden. Die bekam in der Premierensaison zwar „gefühlt 200 Hütten eingeschenkt bei zehn selbst erzielten Toren“, aber als der Trainer um Hilfe bat, konnte und wollte sie nicht absagen. „Eigentlich sollte ich nur mal als Assistenztrainer aushelfen“, sagt Hollstein, lacht – und ergänzt. „Jetzt gehe ich in meine fünfte Saison und denke überhaupt nicht mehr an ein Karriere-Ende“.
Warum auch? Kein Spieler und keine Spielerin hat im weiten Umkreis häufiger in der Hinrunde getroffen als die Stürmerin mit den braunen Augen, dem Stirnband und der Nummer „7“ auf dem Trikot. 32 Tore erzielte sie in lediglich elf Spielen, davon zwei sogar fast von der Mittellinie aus. Die Hinrunde beendete ihr Team mit nur einer Niederlage auf Platz zwei, in der Rückrunde soll jetzt der Aufstieg gelingen.
Als kleines Mädchen vergötterte sie Mehmet Scholl, daher auch die Wahl der Trikotnummer. Nach Lehrjahren in Sipplingen wechselte sie zum VfR Stockach, später, als sie über 20 Jahre alt war, dann zum Hegauer FV, wo sie vor allem in der Reservemannschaft in der Verbandsliga zum Einsatz kam. Vielleicht wäre mehr drin gewesen, wenn sie früher zum besten Frauenteam der Region gefunden hätte. „Im Nachhinein ärgert mich das, aber in jungen Jahren fehlte mir dazu der Mut.“
Was ist so toll am Fußball? Warum lässt sie das Kicken nicht los, obwohl sie inzwischen eine zweijährige Tochter hat und die Mitspielerinnen sie schon mal als „Mutti“ ansprechen, wenn sie sie necken wollen? „Vielleicht, weil wir eine coole Mannschaft haben“, sucht die in Singen tätige Sozialversicherungsfachangestellte nach Erklärungen. „Und weil bei uns im Verein die Frauen was wert sind, weil es hier ein echt tolles Vereinsleben gibt.“
Und weil es ohne Fußball eben einfach nicht geht. „Die Corona-Zeit war schlimm. Und die Zeit, als ich meine Tochter noch gestillt habe, da konnte ich auch nicht spielen. Dabei gehört Fußball zu meinem Alltag wie das Zähneputzen.“ Ein normaler Spieltag sieht daher so aus im Hause Hollstein: Aufstehen, die kleine Romy schnell zu den Eltern bringen, dann ab zum Sportplatz. Gibt es besondere Rituale? „Ich bin tatsächlich sehr abergläubisch.“ Gut, das sind viele Kicker, aber welche Rituale genau? „Soll ich das wirklich sagen?“

Sicher! „Immer die gleichen Socken. Und die gleiche Unterhose – alles natürlich stets frisch gewaschen, aber eben immer dieselben. Die liegen jetzt schon bereit für unser erstes Rückrundenspiel am 19. März gegen die Sportfreunde Ittendorf/Ahausen.“ Mit Anpfiff wird sich dann wie üblich ihr Mann Thorsten mit der gesamten Familie am Spielfeldrand zur Unterstützung treffen. Und dann darf meist gejubelt werden. In der Rückrunde gerne noch mal 32 Mal. Unrealistisch ist das nicht, denn schließlich hat Julia Hollstein schon früh gelernt sich durchzusetzen.