Das Gespräch über Fußball beginnt mit dem Tod. Als Richter am Amtsgericht in Singen weiß Reinhold Brandt seine Gefühle zu kontrollieren. Aber bei der Erinnerung an das Sterben seines besten Freundes wird die Stimme etwas leiser, der Blick etwas weicher, die Sätze langsamer.
„Mein Funktionärsdasein begann eigentlich erst nach dem Tod von Alfred Hirt“, sagt Brandt. Hirt und er waren einst beide Schiedsrichter in der Landesliga, mal assistierte der eine dem anderen, dann umgekehrt. Der Beginn einer Männerfreundschaft.
Dann kommt der Krebs
Hirt ist Trauzeuge, als Reinhold Brandt vor gut 30 Jahren seine Frau Regula heiratet. Die Funktionärslaufbahn nimmt zunächst nur einer von beiden an, 1992 wird Hirt zum Vize-, 2007 zum Präsidenten des Südbadischen Fußball-Verbands gewählt. Dann kommt der Krebs. Ganz plötzlich, ganz schnell.
Mit 56 Jahren. Zwischen Diagnose und Sterben liegen gerade einmal drei Monate. Unbegreifbar, kaum zu ertragen. Dass er einmal das Amt seines verstorbenen Freundes einnehmen werde, hätte er damals nicht gedacht. Aber irgendwie fand Reinhold Brandt in den traurigen Tagen nach 2014 zu seinen ersten Funktionen im Verband.
Respektsperson und Kumpeltyp
Vielleicht kann man das Leben erst richtig schätzen, wenn man seine Schattenseiten kennt. Reinhold Brandt lacht gerne, er schätzt Gemeinschaft, ist Hanselevater in Radolfzell und damit Leiter einer 750-Mitglieder-Abteilung innerhalb der Narrizella Ratoldi. Der 60-Jährige mag Musik, steht bei den Toten Hosen im Bodensee-Stadion, hat aber auch ein Abo für die Züricher Oper und die Konstanzer Philharmonie.
Gleichzeitig war er als promovierter Jurist bereits stellvertretender Leiter einer Justizvollzugsanstalt und Staatsanwalt, hat vieles gesehen und erlebt, positiv wie negativ, ist Respektsperson und zugleich Kumpeltyp.
Einer, wie gemacht für Aufgaben beim SBFV. Den sieht er gut aufgestellt, was auch ein Verdienst seines Vorgängers Thomas Schmidt sei. Der Freiburger hatte nach Hirts Tod die Führung des Verbands übernommen.
Die Krise der Nationalelf
Die großen Themen des deutschen Fußballs beschäftigen Brandt seit Jahren, schließlich vertritt er Südbaden in diversen Ausschüssen. Die Krise der Nationalmannschaft? „Ja, da wurde nicht alles richtig gemacht. In der Nachwuchsförderung und vor allem bei der Trainerausbildung, aber da sollte uns die neue DFB-Akademie helfen. Ich denke, die Weichen sind gestellt.“
Andere Nationen wie Frankreich haben die Trends früher erkannt, „wir müssen aufholen, aber ich sehe uns dazu in der Lage“. Der ewige Interessenskonflikt zwischen den Proficlubs und dem Amateurlager? „Den gibt es, aber auch da erlebe ich, dass beide Seiten wissen, dass es ohne den jeweils anderen nicht geht.“

Die Kimmichs dieser Welt fangen bei einem Amateurverein an, nicht bei den Profis. „Wir sind aufeinander angewiesen“, weiß Brandt, dessen Verband umgekehrt etwa einen Teil der Zuschauereinnahmen des SC Freiburg kassiert.
Geboren wird Brandt am Niederrhein nahe Aachen, aber schon als Kind zieht es die Familie an den Bodensee. Die alte Heimat wirkt dennoch nach, „ich bin Mitglied bei Borussia Mönchengladbach“, erklärt Brandt. Die Fohlenelf im Sinn, spielt er in der Jugend beim FC Radolfzell und den Teilortclubs SV Markelfingen und FC Böhringen.

1978 pfeift er mit 15 Jahren sein erstes Spiel als Schiedsrichter. Zwei, drei Jahre kickt er noch selber, dann verschreibt er sich ganz der Kunst der Spielleitung. Nach dem Gymnasium geht es für zwei Jahre zur Bundeswehr, es folgt eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann, dann studiert er Jura.
Im Radolfzeller Strandbad lernt er seine Frau Regula kennen, mit der er bis heute die Leidenschaft für die Fasnacht teilt. Mit Anfang 30 ist er in der Justiz tätig, in seiner Freizeit fährt er gerne Motorrad.
21 Landesverbände zählt der Deutsche Fußball-Bund, die jeweiligen Präsidenten treffen sich regelmäßig in Frankfurt oder per Videoschalte. Für Brandt kommen Termine in Freiburg dazu, wo der SBFV seine Geschäftsstelle unterhält.
Amateure, die Spieler bezahlen
Während in anderen Verbänden mehrere Erst-, Zweit- oder Drittligisten beheimatet sind, wird Südbaden von Amateurclubs geprägt. Was nicht heißt, dass hier kein Geld fließt, dass selbst in untern Ligen Spieler bezahlt werden. Wie er das findet? „Man muss sich solchen Gegebenheiten stellen, da man sie nicht mehr rückgängig wird machen können.“
Umgekehrt sei es wichtig, dafür zu werben, dass es noch um andere Dinge gehe, als um sportlichen Erfolg oder finanzielle Aspekte. „Der Zusammenhalt, der sich in einem Verein entwickeln kann, begeistert mich immer, wenn ich so etwas etwa bei Jubiläen erleben darf. Auch das ist ein Wert.“ Und dass Vereine, die mit Geld schnelle Erfolge kaufen, auch schnell wieder von der Bildfläche verschwinden können, habe die Vergangenheit zur Genüge gezeigt.
Pyrotechnik in der Kreisliga
Manche Themen beschäftigen die große wie die kleine Fußballwelt. Dass der DFB sich beispielsweise gegen Pyrotechnik ausspricht, sei unverhandelbar. Wenn Chaoten in vollen Stadion Feuerwerkskörper auf andere Zuschauer werfen, kann es dazu auch keine zwei Meinungen geben. Aber in der Kreisliga? Auf offenem Feld, was ja auch sanktioniert wird?

„Darüber könnte man ja sprechen“, sagt Brandt, „allerdings müssen dazu Voraussetzungen her, die bislang von den Fans meist abgelehnt werden.“ Abgesperrte Bereichen und feste Zeiten, damit wäre schon was möglich. Reden, einen Konsens finden, das ist dem 60-Jährigen wichtig.
Überhaupt: Das Miteinander – die wichtigsten Themen des neuen Präsidenten drehen sich darum. Wie kann, wie muss gelebte Gemeinschaft aussehen? Im Fußball, aber auch darüber hinaus?
Rentenpunkte für das Ehrenamt
„Ehrenamtliche Leistungen“, so Brandt, „müssen besser honoriert werden.“ Es brauche Anreize, um junge Menschen für ein Engagement im Verein zu begeistern. Aufwandsentschädigungen würden dazu zählen, es könnten aber auch Modelle sein, die es bislang noch nicht gibt. „Etwa zusätzliche Rentenpunkte oder ein früherer Renteneintritt für Menschen, die sich besonders um die Gemeinschaft verdient machen.“
Die nächsten Termine stehen an, Reinhold Brandt muss los. Das Gespräch, das mit dem Tod begann und dann doppelt so lange dauerte wie geplant, schließt mit dem Leben und den Möglichkeiten, selbiges zu gestalten.