Der Donnerstag ist ein fester Termin im Kalender der Konstanzer Fußball-Veteranen. Jede Woche treffen sich die ehemaligen Aktiven des FC Konstanz, um bei ihrem Stammtisch in Erinnerungen zu schwelgen.
Meist geht es um die Goldene Zeit ihres Sports am Bodensee, als in den 1950er- und 1960er-Jahren große Erfolge gefeiert wurden. Der FCK nahm an Deutschen Amateurmeisterschaften teil, wurde Südbadischer Amateurmeister, feierte etliche Südbadische Pokalsiege und spielte zweimal im DFB-Pokal mit.
In diesen Tagen allerdings bestimmt ein anderes Thema die Debatten: „Die größte Ungerechtigkeit in der Geschichte des FC Konstanz“, wie es in der Vereinschronik heißt, jährt sich zum 70. Mal. Am 24. Juli 1955 unterlag die Konstanzer A-Jugend dem VfB Stuttgart im Endspiel um die Süddeutsche Meisterschaft – nach einem fragwürdigen Losentscheid.
„Diese Sache hat uns als junge Fußballer hart getroffen“, erinnert sich Dieter Graf, einer von vier noch lebenden Spielern, die damals auf dem Platz standen.
Halbfinalsieg über Kickers Offenbach
Doch der Reihe nach: Zwei Jahre zuvor hatten Eberhard Schwarz und Winfried Riegel bereits die Süddeutsche A-Jugend-Meisterschaft gewonnen, nun wollen sie mit Dieter Graf, Ludwig Huber und ihren weiteren Mannschaftskollegen dieses Kunststück wiederholen.
Im Sommer 1955 fahren die Konstanzer als Badische Meister nach Bad Wörishofen, um sich mit den Besten aus Bayern, Hessen und Württemberg zu messen. Im Halbfinale gewinnen sie mit 2:0 gegen Kickers Offenbach. In der anderen Partie profitiert der VfB Stuttgart nach einem 2:2 gegen den BC Augsburg davon, dass zu jener Zeit nach einem Unentschieden nach Verlängerung das Los den Sieger bestimmt.
Als tags darauf das Endspiel zwischen dem FC Konstanz und den Stuttgartern lange torlos bleibt, beschließt – laut einem Artikel aus jener Zeit – der Jugendausschuss des Süddeutschen Fußballverbands, „keinen Losentscheid durchzuführen, sondern beide Mannschaften zu Meistern zu erklären“, wie es in dem Bericht heißt. Als die Partie auch nach 20-minütiger Verlängerung 0:0 endet, wird jedoch nur eines der Teams Meister: der VfB. Und das unter kuriosen Umständen, wie Dieter Graf erzählt.
„Der Schiedsrichter hatte zwei Lose und unser Kapitän Eberhard Schwarz zog das, auf dem FC Konstanz stand“, blickt der 87-Jährige zurück. „Wir haben natürlich sofort gejubelt, auch wenn es nicht schön war, per Los zu gewinnen. Dann kam jedoch Paul Flierl, der zweite Vorsitzende des Süddeutschen Fußballverbands, und sagte: Das erste Los entscheidet nur, wer zuerst ziehen darf.“
Beim zweiten Versuch hält Schwarz den Namen VfB Stuttgart in der Hand. „Der VfB wurde also Meister, ohne ein Spiel gewonnen zu haben. Das muss man sich einmal vorstellen“, sagt Graf, der nicht der einzige ist, den diese Partie in den folgenden 70 Jahren noch beschäftigt.
„Die Proteste des Südbadischen Jugendwarts konnten zwar an der Entscheidung des Jahres 1955 nichts mehr ändern“, heißt es in der Konstanzer Vereinschronik, „die Verbände einigten sich aber darauf, ab dem Jahr 1956 die Meisterschaft im Modus ‚Jeder gegen jeden‘ auszutragen.“
Vor 20 Jahren schrieb Dieter Graf das Präsidium des Bundesligisten an und erinnerte an den unverdienten Titelgewinn aus dem Sommer 1955. „Die Stuttgarter können ja nichts dafür. Aber ich dachte, ich versuche es einfach mal, vielleicht reagieren die ja“, erklärte Graf damals.
Das taten die Schwaben und schickten zehn Freikarten für das Heimspiel des VfB gegen Hertha BSC nach Konstanz, das Klaus Böhm, Herbert Geiser, Manfred Lieb, Winfried Riegel, Manfred Hirn, Ludwig Huber, Eberhard Schwarz, Werner Graf, Dieter Graf und der damalige FC-Vorsitzende Lutz Grüneberg dann auch besuchten.
Heute werden die vier noch lebenden einstigen Jugendspieler Graf, Schwarz, Riegel und Huber bestimmt wieder über alte Zeiten diskutieren. Schließlich jährt sich ihr unseliges Los-Endspiel genau an einen Donnerstag zum 70. Mal.